Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit. Gisela Mayr
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit - Gisela Mayr страница 21

СКАЧАТЬ und FLA (Foreign Language Anxiety) umzugehen. Nicht nur diese neurolinguistischen, kognitiven und emotionalen Aspekte beeinflussen den Spracherwerb, sondern auch die Lernumgebung, die Quantität und Qualität des Input und fremdsprachenspezifische Faktoren. Die Erfahrungen in der Lernumgebung sind ausschlaggebend für Einstellungen und Haltungen. Einen relevanten Beitrag leisten auch eine erweiterte Lebenserfahrung und Weltwissen, die beim Erlernen einer L3/Lx zum Tragen kommen. Die Lernenden kennen Phänomene der Sprachmischung bereits und können sich darauf einstellen, verfügen z.B. bereits über Strategien beim Vokabellernen (Hufeisen & Neuner 2003b: 9; Allgäuer-Hackl et al. 2015: 12). Diesem entscheidenden kognitiven und emotionalen Unterschied sollte beim L3-FSU Rechnung getragen werden. So könnten komplexere und anspruchsvollere Inhalte im Unterricht behandelt werden, da von einem beschleunigten Spracherwerbsprozess ausgegangen werden kann:

      Faktorenmodell Hufeisen 2010: 204

      4.4.2 Das DMM (Dynamic Model of Multilingualism)

      Das DMM ergänzt Hufeisens Faktorenmodell insofern als es einen Erklärungsversuch der Funktionsweise mehrsprachiger Sprachverarbeitungssysteme im Menschen anhand der Systemtheorie darstellt (Herdina & Jessner 2002). Dabei wird angenommen, dass sich bei mehrsprachigen Menschen ein einziges Sprachensystem entwickelt, das sich in seiner Gesamtheit durch äußere Einflüsse ändert, und dass diese Veränderungen nicht vorhersehbar sind. Dieser Prozess verursacht laut Jessner (Jessner 2004: 34) eine Reihe von Reaktionen, CLIN (Cross Linguistic Interacition) genannt. Darunter versteht Jessner alle Transfer- und Interferenzphänomene sowie Code-switching, Borrowing, Translanguaging. Das Erkennen und Sich-zunutze-machen „interlingualer sprachlicher Einheiten, Kontraste und Regularitäten“ (Morkötter 2004: 31), der metakognitive translinguale Transfer / CLIN (Cross Linguistic Interaction) ist zwar selbstgesteuert und weitgehend unbewusst (vgl. Cenoz et al. 2001; De Angelis 2005; Hammarberg 2009; De Angelis & Dewaele 2011; Ringdom 2011; Wunder 2011; Vidgren 2013), kann jedoch durch Bewusstmachung konstituierender Teil der MKK werden, da dadurch Ressourcen und Strategien zur Bewältigung komplexer mehrsprachiger kommunikativer Situationen verfügbar gemacht werden. Normabweichungen sind in diesem Falle Zeichen eines kreativen Umgangs mit Sprache und Beweis für sprachübergreifende und -vergleichende Hypothesenbildungen. Im Unterschied zu Kecskes/Papp (Kecskes & Papp 2000: XVI, 38), die von Überlappungen der Sprachsysteme sprechen, geht Jessner einen Schritt weiter, indem sie folgende Hypothese aufstellt:

      DST theory presupposes a complete metamorphosis of the system involved and not merely an overlap between two subsystems. If this is applied to multilingual development, it means that the interaction between the three systems results in different abilities and skills that the learners due to their prior language learning experience. In other words as part of the M-factor [Multilingual Factor, Anmerkung vom Autor] third language learners develop, for instance, an enhanced level of metalinguistic awareness and metacognitive strategies which considerably contribute to the quality of CLIN in multilinguals. (Jessner 2004: 35)

      Sprachen bilden demnach ein einziges dynamisches System mit dem Ziel, sich selbst zu erhalten. Um diese Aufrechterhaltung zu gewährleisten, bedarf es eines erheblichen Aufwandes. Diese sog. Maintenance-Leistung und der dafür nötige erhöhte Energieaufwand führen im mehrsprachigen System zu einem erweiterten metasprachlichen Bewusstsein. Ein wichtiger Aspekt dieses metasprachlichen Bewusstseins ist die erweiterte sprachvernetzte Wortsuche, bei der in zunehmendem Maße auf prozedurales und deklaratives Wissen auf L2 und Ln zurückgegriffen wird, L1 hingegen verliert seine Rolle als ausschließliche Transfersprache, was darauf zurückzuführen ist, dass L1 und L2 unterschiedlich erworben worden sind (vgl. vorhergehendes Kapitel). Fehlererkennung und Analyse im grammatischen Bereich sind bei mehrsprachigen SprecherInnen viel effektiver und zielführender (vgl. Gibson & Hufeisen 2003; Bialystok 2001). Außerdem neigen laut Jessner erfahrene SprachenlernerInnen zu größerer Risikobereitschaft beim Sprachvergleich und Inferieren von Kognaten, da sie über eine erhöhte kognitive Kontrolle ihrer Sprachverarbeitungsprozesse verfügen. Auch in diesem Fall besteht Verbindung zum Sprachniveau. Cenoz postuliert unterschiedliche Sprachbewusstseinsniveaus, die sich auf die Organisation des mentalen mehrsprachigen Lexikons auswirken (vgl. Cenoz 2001, 2003). Eng mit CLIN und metasprachlichem Bewusstsein verbunden sind laut Jessner die sog. mehrsprachigen Kompensationsstrategien (Multilingual Compensatory Strategies, Jessner 2004: 87).

      Zu diesen Strategien gehören laut Poulisse Sprachenwechsel (Code-mixing), wörtliche Übersetzungen, Verfremdung, Beschreibung, Suche nach bedeutungsähnlichen Wörtern und Lehnübersetzungen. Dabei wechseln die Lernenden zu einem sog. Metamode (Jessner 2004: 89; De Angelis & Selinker 2001), in dem die Sprachproduktion ständig monitorisiert und analysiert wird zum Zweck der Fehlersuche und Selbstverbesserung. Ist sprachliches Wissen nicht verfügbar, kommt es zu einem Ausgleichsverhalten, indem strategische Instrumente eingesetzt werden, um ein Gleichgewicht beizubehalten.

      Mehrsprachige LernerInnen können also laut Jessner auf ein Metasystem zurückgreifen (Interlanguage), das sich im Drittspracherwerb herausbildet und sich auf eine zweisprachige Norm beruft (Jessner 2002: 131 und 61). Diese werden unter dem Begriff M-Faktor zusammengefasst (Multilingualism Factor) und sind keineswegs als gegebene Fähigkeiten und Kompetenzen zu verstehen, sondern sie entwickeln sich, indem die Sprachsysteme miteinander interagieren im Sinne der Multicompetence. Je mehr also Sprachsysteme miteinander vernetzt werden, desto ausgeprägter ist der M-Faktor, was wiederum eine qualitative und quantitative Veränderung des gesamten Systems bedingt (ibid.: 221). Das MLA (Multilinguales Bewusstsein) entsteht eben aus diesem Kontakt der Systeme und setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen: MLA, dem sprachlichen Bewusstsein, und XLA, dem zwischensprachlichen Bewusstsein. Letzteres, das Bewusstsein der Interrelationen der Sprachen untereinander, impliziert die Fähigkeit, auf alles implizite und explizite, also prozedurale Wissen zurückzugreifen und Zusammenhänge festzustellen. Dabei können alle Sprachen als Brückensprachen, wenn auch in unterschiedlicher Form, fungieren.

      Eine Folge dieses erhöhten und erweiterten MLA ist, dass mehrsprachige Menschen laut Jessner eine besondere pragmatische Sensibilität aufweisen. Das heißt, sie können sich im Gespräch gut auf ihre Gesprächspartner einstellen, da sie über ein besonderes Gespür für pragmatische Feinheiten und Färbungen verfügen (Jessner 2004: 106). Diese interaktionale Kompetenz befähigt mehrsprachige Sprechende im mehrsprachigen Gespräch, auf das Sprachverhalten der Gesprächspartner angemessen zu reagieren und notfalls lenkend oder korrigierend einzugreifen. Darüber hinaus gewinnen sie durch ihr Gesprächsverhalten eine Vorbildfunktion und können, da sie für die Aufrechterhaltung und Entwicklung des Gespräches sorgen, das Gesprächsverhalten anderer positiv beeinflussen. Sie übernehmen die Funktion, zwischen Sprachen, Kulturen und Weltanschauungen zu vermitteln.

      Diese Mittlerfunktion ist aufgrund der besonderen Gegebenheiten in Südtirol sehr wichtig. Wie bereits im vorhergehenden Absatz erwähnt, findet sich hier eine für den Spracherwerb z.T. sehr problematische Situation. Die DLC (Dominant Language Constellation) ist üblicherweise Deutsch; Italienisch und Englisch, Englisch folgt also auf Italienisch und ist demzufolge L3. Aufgrund der geschichtlichen Ereignisse und der daraus resultierenden Konsequenzen auf sprachlicher Ebene ergibt sich bei vielen SchülerInnen folglich eine als problematisch anzusehende Sprachkonstellation, da L2 (Italienisch) weitgehend negativ behaftet ist, wie unter anderem auch aus der KOLIPSI-2-Studie der EURAC hervorgeht (2017). In der vorliegenden Studie ist zu zeigen, dass ein mehrsprachiger Unterricht, der Italienisch nicht gesondert von anderen Sprachen behandelt, sondern es integriert und durch diese Gleichbehandlung in seiner Funktion und seinem sozialen Prestige aufwertet, die subjektive Wahrnehmung der Sprachkonstellation einzelner Lernenden dahingehend positiv beeinflusst, dass Italienisch psychotypologisch und emotional anders empfunden wird und somit das metasprachliche Bewusstsein und sein Potenzial für den Sprachenerwerb und die kulturelle Begegnung besser ausgeschöpft werden kann. Ein wichtiges Instrument hierfür ist der mehrsprachige Aushandlungsprozess, weil unter anderem durch die Mittlerfunktion mehrsprachiger СКАЧАТЬ