Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit. Gisela Mayr
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Читать онлайн книгу Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit - Gisela Mayr страница 18

СКАЧАТЬ sozialen Identität. Dieser Identität wohnt die Sehnsucht und das Bestreben inne, sich mit dem anderem, dem Fremden zu identifizieren, sei dies nun ein anderer Sprecher, eine andere Sprache oder ein anderes Selbst. Eine solche Sehnsucht wird von Kristeva als desire bezeichnet (Kristeva 1980: 203) bzw. als Wunsch, aus den Einschränkungen der eigenen sprachlichen Realität zu entfliehen und nach Selbsterfüllung zu streben (Kramsch 2009: 14).

      Sprache ist also ein symbolisches Medium, mittels welches Gegenstände, Handlungen, Kontexte und Menschen dargestellt werden. Symbolisch ist daher für Kramsch auch die Konstruktion von Wahrnehmung, Einstellungen, Glauben, Werten, Bestrebungen und Sehnsüchten, die darin Ausdruck finden (ibid.: 6). Besonders junge Menschen haben laut Kramsch das Bedürfnis, ihren innersten Gefühlen und Wünschen Ausdruck zu verleihen, da sie sich auf der Suche nach der eigenen Identität und ihrer Positionierung in der Erwachsenenwelt befinden. Im Sprachenunterricht können sie sich erstmals ihrem eigenen Sprachgebrauch kritisch gegenüberstellen und die enge Beziehung zwischen ihrer Sprache, ihrem Körper und ihren Gedanken erkennen (ibid.: 5). Durch MKK gelingt es Lernenden, beeinflusst durch die unterschiedlichen Bedeutungen, die in Sprachgemeinschaften zur Beschreibung von Ereignissen Anwendung finden, diese symbolische Dimension von Sprache zu begreifen und eine neue Selbstwahrnehmung zu entwickeln.

      Da Subjektivität teils aus der bewussten, im Geistigen verankerten und teils unbewussten körperlichen Bedeutung besteht, die wir selbst dank der Vermittlung symbolischer Formen geben, ist das sprechende Subjekt durch diese Eigenschaft bestrebt, sich selbst und die anderen nicht nur als das zu sehen, was sie im Augenblick darstellen, sondern auch deren Vergangenheit und deren Geschichte. Ebenso kann zukünftiges sprachliches Handeln erahnt werden. Ein Subjekt zu werden bedeutet für Kramsch, ein Bewusstsein für die Leerstellen zwischen den Wörtern und Sprachen zu entwickeln und für die möglichen vergangenen und zukünftigen Bedeutungen, die darin liegen (ibid.: 18).

      Durch die soziale Interaktion ergibt sich Intersubjektivität, denn jedes Subjekt kann sich selbst nur vollständig erkennen, wenn es sich in einem anderen spiegelt. Intersubjektivität kann nur durch strukturierte und an einen Kontext gebundene Gesprächspraktiken erfolgen, unter Voraussetzung eines geteilten Weltwissens. Sie wird gestaltet durch Gesprächsroutinen und Strategien, die ständig angepasst und verändert werden müssen. Es werden dabei in dem Augenblick, in welchem durch Sprechakte soziale Realität geschaffen wird, soziale und kognitive Anforderungen an die Sprechenden gestellt (vgl. Gumperz 1982; Duranti & Goodwin 1994). Diese Realität wird in einem bestimmten Kontextualisierungsrahmen und vor dem Hintergrund eines geteilten Auslegungssystems anhand spezifischer Sprechverhalten konstituiert.

      4.2.2 Kulturelle und soziale Rekontextualisierung

      In der mehrsprachigen Kommunikation sind multiple kulturelle und soziale Kontextualisierungen vorhanden, daher muss gemeinsame Bedeutung im Diskurs erst gefunden und neue Symbole erschaffen werden, damit Kommunikation funktionieren kann. Andererseits ist zu tolerieren, dass manchmal Kommunikation eben nicht möglich ist. Zu berücksichtigen ist dabei, dass das mehrsprachige Subjekt unterschiedliche Sprachrollen einnehmen kann. Dazu ist nicht nur der gegenwärtige Rahmen nötig, sondern auch die kulturelle und geschichtliche Vielfalt, die die einzelnen Sprachen mit sich bringen, gebunden an die Subjektivität des Einzelnen, seiner ganz persönlichen Auslegung der Symbole, seiner Erinnerungen und Visionen (Kearney 2016: 47).

      Diese Intersubjektivität ist laut Kramsch gleichzustellen mit Intertextualität (Kramsch 2009: 20). Intersubjektives Handeln im mehrsprachigen Kontext befähigt die Lernenden in erhöhtem Maße, Genres und ihre Eigenschaften in den verschiedenen Sprachen zu erkennen, sie zu vergleichen und in ihren mehrsprachigen Gesprächspraktiken zu nutzen, indem sie bewusst ins Gespräch eingebaut, vermischt, neu interpretiert oder parodiert werden. Laut Kramsch gehören Genres zum Sprachhabitus. Sie prägen sich durch ihren routinemäßigen Gebrauch in die mentalen Skripts ein und werden als selbstverständlich angenommen, sie formen unsere mentalen Muster und Denkweisen, ohne dass wir uns dessen bewusst werden, dabei erleben wir die Welt durch sie. Sie prägen das Denken und die Wahrnehmung der Welt mit, ohne dass ein Bewusstsein darüber entstehen kann.

      Die Sprecher eignen sich Genres und ihre Eigenschaften im Gespräch an, um ihrem Selbst in vielfacher Hinsicht Ausdruck zu verleihen, denn sprachliche Interaktion kann „response to some remembered or anticipated utterance, it might be a mythic, ritualistic, phatic or ostensible statmetn (ibid. 20) sein. Identität begründet und äußert sich im Diskurs durch das Erzählen der eigenen Geschichte und der Geschichten anderer. Sie ist gebunden an Texte in ihrer vielfachen Ausprägung (geschrieben, gelesen, vorgetragen) und ihrem symbolischen Gehalt. Durch sie positioniert sich das Subjekt in seiner Umgebung, es kann sich selbst in seiner Ganzheit ausdrücken. Im mehrsprachigen Diskurs kann es sich gleichzeitig innerhalb und außerhalb des eigenen Diskurses und der Diskurse anderer positionieren und in der Spannung zwischen Text und Kontext Bedeutung neu rahmen und neu kontextualisieren. Erfundene und reale Welten sind hier gleichwertig, da beide in die subjektive symbolische Realität des Einzelnen eingeschrieben werden. Das symbolische Selbst entsteht durch das Erzählen aus der Spannung zwischen bekannter und neuer unkonventioneller Interpretation von Zeichen. Dieses Fluktuieren zwischen den Sprachen und Kontexten bezeichnet Kramsch als Third Space (Kramsch 2011: 359; Kearney 2016: 46).

      Dabei vermitteln die Sprechenden nicht nur zwischen sozialen Normen und pragmatischen Gegebenheiten, sondern auch zwischen ihrem Körper und ihrem Geist, zwischen sich selbst und den anderen (Kramsch 2009: 76). Mehrsprachiges generisches Lernen befähigt die Lernenden, zwischen den verschiedenen symbolischen Welten zu vermitteln, sich spielerisch zwischen diesen Welten zu bewegen und diese miteinander zu vernetzen und zu vermischen. Es befähigt Lernende, die Möglichkeiten und Grenzen auszuloten, wenn Erfahrungen von einer Sprache in die andere übertragen werden. Sie können erfahren, was es bedeutet, wenn sich die symbolischen Referenzsysteme für Erfahrungen ändern, oder sie können sich auf unterschiedliche Erzähltraditionen berufen und spielerisch damit umgehen (Kramsch 2009: 151).

      Laut der Blended Space Theory von Fauconnier und Turner ist Sprache von Natur aus metaphorisch, das heißt, dass Umstände und Handlungen durch das Zusammenführen mentaler Bilder beschrieben werden (Turner & Fauconnier 2002: 37). So hat z.B. das Wort independence für eine japanisch/deutsche Lernende in einem englischsprachigen Kontext eine Reihe von metaphorischen Bedeutungen, die durch den mehrsprachigen Entfremdungseffekt kritisch reflektiert werden können und durch Blending neue metaphorische Bedeutung bekommen (Kramsch 2009: 50). Es können durch Blending unterschiedlichste soziale, moralische, psychologische und geschichtliche Aspekte verschiedener Sprachen überlappt werden, um Bedeutung zu schaffen oder einzelne Aspekte der Bedeutung hervorzuheben. Blending ist an vergangene und gegenwärtige Erfahrungen und deren Manipulation gebunden.

      4.2.3 Ambiguitätstoleranz in multiplen Diskursen

      Mehrsprachigkeit bereichert Kommunikation durch eine Vielzahl an neuen Ressourcen, die aber auch Ambiguitäten mit sich führen können. So muss Mehrsprachigkeit in einer von multiplen Diskursen geprägten Gesellschaft, in der Massenmedien, Politik und Unterhaltungsindustrie in zunehmendem Maße an Macht gewinnen und Bedeutung formen, die Mechanismen der Bedeutungskonstituierung und Veränderung erkennen und hinterfragen. Daher ist es wichtig, dass Lernende Texte und Genres kulturell und geschichtlich verorten können, um zu erkennen, wie diese im Prozess des Erzählens an neue Umstände und Gegebenheiten angepasst und somit in ihrer Bedeutung verändert werden, indem sie rekontextualisiert werden (Kramsch 2006: 251, 2011: 355). MKK bedeutet, mit den Gegensätzen der modernen Gesellschaft umzugehen lernen, indem semiotische Zeichen in ihrer Vielfalt erkannt und richtig interpretiert werden. Es bedeutet aber auch, Ambiguität aushalten zu können, die diese semiotische Vielfalt verursacht, und sich die folgenden Fragen zu stellen: Wer hat das geschrieben? Welche Haltungen bzw. Absichten stecken dahinter? Zu welchem Zweck? Warum ist es in dieser Sprache geschrieben? Warum sind bestimmte Wendungen in einer Sprache möglich und in einer anderen nicht?

      Die СКАЧАТЬ