Название: Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit
Автор: Gisela Mayr
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik
isbn: 9783823301912
isbn:
Kristeva unterscheidet zwischen einer semiotischen, vorsprachlichen Bedeutungswelt, in der Stimmen, Symbole, Gesten, Farben und Rhythmus vorherrschen, und einer symbolischen Welt, in der sich Bedeutung geschichtlich entwickelt und klar kodifiziert ist. Die symbolische Sprache wird vom Kind im Übergang zur Erwachsenenwelt erworben. Es bleibt aber eine Welt ohne Worte in jedem erhalten, als Erinnerung an die Kindheit. Das veranlasst den Menschen, sich ständig zwischen diesen beiden Welten zu positionieren. Er befindet sich daher an Grenzen, er ist von Natur aus Grenzgänger und hat sich ständig in Frage zu stellen, da er in der symbolischen Welt nicht zu Hause ist (Kristeva 1980: 99f.). Durch kreativen mehrsprachigen Sprachgebrauch, mehrsprachige Spielereien von Lernenden und deren poetischen Gehalt kann die semiotische vorsprachliche Bedeutungswelt durchdrungen und die symbolische Ordnung umgestaltet werden (Kramsch 2009: 98). Die Polysemie von Wörtern, ihre Bezugnahme auf unterschiedliche Referenzsysteme und nicht zuletzt der intertextuelle Umgang mit Genres sind Instrumente, die zur Umgestaltung der symbolischen Ordnung von mehrsprachigen Sprechern genutzt werden können. Die Vorliebe für poetische Formen und metaphorische Sprache beim Erzählen von Geschichten zeugt davon, dass der Erwerb fremder symbolischer Formen tief im kindlichen Gedächtnis verankert ist. Mehrsprachige Lernende erleben einerseits die Not, sich in einem fremdem Symbolsystem zurechtfinden zu müssen, andererseits können sie dieses symbolische System eben durch ihre Fremdheit in seiner Konstitution erkennen und aufbrechen und sich in das semiotische zurückversetzen. Dabei kommen Ironie, Entfremdung und Humor mit ins Spiel, aber auch Rhythmus und Klang. Es können allgemein für wahr geltende Annahmen und Überzeugungen in Frage gestellt werden.
In diesem Sinne entsprechen Sprachen unterschiedlichen Zeitachsen, die gebunden sind an den Zeitpunkt, zu dem die Sprachen erworben wurden und daran, wie sie sich später weiter entwickelt haben. Daraus ergibt sich, dass Sprachen unterschiedliche Zeitwahrnehmungen innewohnen: die Sprache des Berufes, der Schule und die Sprache der Familie. Diese Wahrnehmungen können sich in der Mehrsprachigkeit ausdehnen und zusammenziehen, wodurch unterschiedliche Resonanzen entstehen, die, verbunden mit Emotionen, dem Selbst die Erfahrung der Erweiterung ermöglichen (Kramsch 2009: 71).
4.3 MKK und Sprach(en)bewusstheit
Wie bereits in Kapitel 2 vorweggenommen, stellt der FREPA eine sehr große Anzahl von Indikatoren für die Erhebung mehrsprachiger Kompetenz zur Verfügung. Dabei werden alle Sprach(lern)erfahrungen zu einem mehrsprachigen Repertoire zusammengefasst. Dieses Repertoire gilt es zu mobilisieren und bewusst zu machen, um es aktiv im Sprachlernprozess nutzen zu können (Martinez 2008: 83; Prokopowicz 2017: 23). Das mehrsprachige Repertoire wird so zur Kompetenz, mittels welcher deklaratives bzw. prozedurales Wissen und persönliche Ressourcen aktiviert werden. Metakognitive Fähigkeiten und Sprach(en)bewusstheit spielen in diesem Zusammenhang bei der Beobachtung des eigenen Sprachlernverhaltens eine wesentliche Rolle (cf. 2.3.). Sie dienen als Instrument zur Automatisierung sprachlichen Wissens und folglich zur Beschleunigung des fremdsprachlichen Aneignungsprozesses.1 Der prozessorientierte Kompetenzerwerb wird durch Sprach(en)bewusstheit erst ermöglicht. Es handelt sich dabei laut Gutzmann (1997) um eine auf fast alle anderen Kompetenzbereiche übergreifende Teilkompetenz und versteht sich im Spracherwerb als die Fähigkeit, Sprache(n) analytisch zu hinterfragen. Dabei kristallisieren sich fünf Bereiche heraus, die durch Sprachen(en)bewusstheit eine Veränderung erfahren können: ein affektiver Bereich, ein sozialer, ein politischer, ein kognitiver und eine Performanz-Domäne. Die affektive Domäne besteht aus Gefühlsäußerungen, Haltungen und Einstellungen gegenüber Sprachen (vgl. James & Garett 1992; Eichler & Nold 2007).
4.3.1 Die performative und soziale Dimension
Der Begriff Sprach(en)bewusstheit wird zunächst mit der Performanz-Domäne in Verbindung gebracht, da Fehleranalyse und Autokorrektur durch erhöhte Aufmerksamkeit und Kognition ermöglicht werden. Durch Sprach(en)bewusstheit kann laut Burwitz-Melzer (Burwitz-Melzer 2012: 29) auch transkulturelles Lernen initiert und gefördert werden. Die Lernenden erkennen, dass der Sprachlernprozess eine starke emotionale Komponente mit sich führt, die die Lernbereitschaft stark beeinflussen kann. Sie können erfahren, dass Sprachen politisch und sozial geprägt und sich demzufolge geschichtlich entwickeln und umgekehrt durch geschichtliche Entwicklungen stark beeinflusst werden. Dies führt letztlich zur Akzeptanz unterschiedlicher Sprachen, Sprachvarietäten, Kulturen und Minderheitenkulturen. Denn Sprach(en)bewusstheit oder Language Awareness in seiner sozialen und politischen Dimension umfasst auch das Hinterfragen von Machtverhältnissen zwischen Sprachen, Sprechern, sozialen Schichten, Kulturen und nicht zuletzt Genderproblematiken (ibid.: 29; vgl. hierzu auch Morkötter 2004: 28ff.).
Sprach(en)bewusstheit als Teilkompetenz und Instrument zur Kognitivierung kann sich in einem mehrsprachigen Lernprozess am besten entfalten, da hier Sprachen einerseits eng miteinander in Verbindung gebracht, aber auch verglichen und in ihren Besonderheiten geschichtlicher und sozialer Natur erkannt und kritisch hinterfragt werden können. Bevorzugt wird hier jedoch nach wie vor die Performanz-Domäne, wie bei der Ausrichtung der didaktischen Ansätze ersichtlich wird. Auch Krumm rückt ganz in diesem Sinne die „Bündelung sprachbezogener Lernprozesse“ (Krumm & Reich 2012: 87) in den Mittelpunkt. Diese begünstigt laut Königs (Königs 2012: 77) den Sprachlernprozess und wirkt sich motivationsfördernd und hilfreich auf das Lernen aus, da vorgelernte Wissensbestände aktiviert werden. Allerdings wird wie in der Interkomprehensionsdidaktik auch hier betont, dass eine solche Beschleunigung des Lernprozesses nur innerhalb typologisch ähnlicher Sprachen möglich ist (ibid.: 77 und 79), da die Brückensprachenfunktion nur zwischen typologisch eng miteinander verwandten Sprachen gelingen kann. Eine Meinung, die in dieser Form nicht geteilt werden kann, da Sprachlernstrategien und mehrsprachige kommunikative Kompetenz, wie in der vorliegenden Studie gezeigt wird, sich auch in einer heterogenen Sprachkonstellation entfalten können und unabhängig von der Sprachtypologie übergreifend zur Anwendung kommen (Budde 2016: 1).
Das Konzept der Metalinguistic Awareness (Bono 2011 a; Herdina & Jessner 2002; Gibson & Hufeisen 2011) ist der Versuch, das Konzept der Sprachbewusstheit auf der Performanz-Ebene bei mehrsprachigen Menschen zu umschreiben. Die Mehrsprachigkeitsforschung sieht einen klaren qualitativen Unterschied zwischen dem Erwerb von L2 bzw. L3-Lx. Dieser sog. Multilingual Factor (Sanchez 2011: 86) stellt ein Bündel an Kompetenzen und Strategien dar, die bei mehrsprachigen Lernenden (besser) ausgebildet sind und diese klar von einsprachigen unterscheiden: Dazu gehören höhere strategische Kompetenzen, die Fähigkeit, Probleme in der Kommunikation vorherzusehen, ein Repertoire an Fertigkeiten, um mit Unzulänglichkeiten sprachlicher bzw. kommunikativer Natur umzugehen, die Fähigkeit, sprachliche Strukturen selektiv zu analysieren und diese als Problemlösungsmöglichkeiten einzusetzen und insgesamt eine erhöhte Aufmerksamkeit und ein ständiges Monitorisieren des gesamten Sprachverarbeitungs- und Produktionsprozesses vonseiten des mehrsprachigen Sprechers. Dieses sog. Language Monitoring ermöglicht eine teils bewusste und teils unbewusste Überwachung aller mentalen sprachlichen Prozesse zum Zweck der Fehleranalyse und Korrektur sowie der Kommunikationsoptimierung (Bono 2011a: 25; Bialystok 2001:126). Allerdings СКАЧАТЬ