Название: Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit
Автор: Gisela Mayr
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik
isbn: 9783823301912
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Die Frage nach einem qualitativen Unterschied zwischen zweisprachigem und mehrsprachigem CS wird von Edwards & Dewaele mit Nein beantwortet. Es handele sich lediglich um einen quantitativen Unterschied, da bei mehrsprachigem CS die gleichen Techniken angewendet werden, jedoch die Anzahl der zur Verfügung stehenden Sprachen größer ist und demzufolge auch die Vernetzungs- und Wahlmöglichkeiten (Edwards & Dewaele 2007: 225/235). Dawaele & Pavlenko nehmen das von Cook entworfene Konzept der Multicompetence ( Cook 1991: 125f.), auf und erweitern dessen Definition im Sinne der dynamischen Systemtheorie nach Herdina & Jessner:
It is in a constant state of flux both within and between individuals (two persons will never have isomorphic multicompetence). Metaphorically one could compare the languages in contact in the individual’s mind to two liquid colours that blend unevenly, that is, some areas will take on the new colour resulting from the mixing, but other areas will retain the original colour, while yet others may look like the new colour, but a closer look may reveal a slightly different hue according to the viewer’s angle. Multicompetence should be seen as a never-ending, complex, nonlinear dynamic process in speaker’s mind. This does not mean that parts of the system cannot be in equilibrium for a while; but a change in the environment, i.e., a change in the linguistic input, may cause widespread restructuring with some ‘islands’ remaining in their original state. (Dewaele & Pavlenko 2003: 137)
Versteht man Mehrsprachigkeit in diesem Sinne als einen dynamischen, sich ständig verändernden Prozess (cf. 4.4.2.), so kann auch das Verständnis von CS in seinem Umfang und seiner Wirksamkeit um vieles erweitert werden. CS zeugt demzufolge von einem kreativen Umgang mit sprachlichen Normen. Mit anderen Worten: CS setzt ein sehr hohes Niveau an Sprachgefühl und Bewusstheit voraus. So ist es bei fast allen CS möglich, besondere Intentionen und Strategien der SprecherInnen zu erkennen und subtile, auf das soziolinguistische Umfeld abgestimmte Begründungen zu finden (vgl. Franceschini et al. 2004; Gafaragna 2009; Aronin & Singleton 2012;).1
Der Prozess der mehrsprachigen Interaktion, so Jessner/Allgäuer-Hackl (2015), ist als eine alltagsweltliche Form der Kommunikation zu verstehen, in der neue Eigenschaften und Fähigkeiten mehrsprachiger Lernenden zutage treten. CS gehört somit zu den Transferleistungen und werden als Strategie verstanden, die vielfältig eingesetzt werden können. CS-Praktiken inkludieren auch Varietäten und Dialekte (cf. 6.1.), was international üblichen Kommunikationssituationen entspricht und leider im Unterricht kaum Beachtung findet oder sogar als unangemessen oder fehlerhaft unterbunden wird. Dadurch dass diese Form der Kommunikation auch unterschiedliche Erstsprachen und Dialekte im Unterricht mit einschließt, mobilisiert sie auch Ressourcen, auf die üblicherweise nicht zurückgegriffen wird (Jessner & Allgäuer-Hackl 2015: 213f.). So ist z.B. L1 für viele Sprechende die Sprache der Emotionen und ein CS kann in diesem Sinne zur Erweiterung des emotionalen Spektrums führen. Das Verständnis des Spracherwerbs als komplexes System setzt voraus, dass komplexe Interaktionssituationen in Anlehnung an die mehrsprachige Alltagskommunikation im Klassenzimmer simuliert werden, da auch im Unterricht kein Sprachsystem getrennt von den anderen betrachtet werden darf.
CS im Klassenzimmer legt die Koexistenz verschiedener Kommunikationsrahmen offen. Edmondson bezeichnet diese Koexistenz als World-switching (Edmondson 1985, 2004). Diskursanalytisch betrachtet stellen diese Rahmungen das Nebeneinander von sehr unterschiedlichen kommunikativen Welten und sozialer Rollen dar. Besonders klar wird dieser Unterschied beim CS der Lehrperson im Klassenzimmer. CS kann den Wechsel von der Lehrerrolle in die institutionelle Rolle bezeichnen und legt somit die Koexistenz dieser beiden im Klassenzimmer verborgenen Welten offen (Edmondson 2004: 162). Die Verwendung der Fremdsprache in der Lehrerrolle wird allgemein für den Lernprozess als wichtig erachtet. Bei Mitteilungen institutioneller Natur hingegen hat das Verständnis höchste Priorität, weshalb es als zulässig gilt, auf L1 zurückzugreifen. Genauso können Lernende sog. multifunktionelle Äußerungen dazu nutzen, z.B. MitschülerInnen halblaut die Antwort auf von der Lehrperson gestellte Fragen zu geben und gleichzeitig die Lehrperson darüber zu informieren, dass sie die Antwort wissen. In diesem Falle überlagern sich zwei kommunikative Absichten, es überlagern sich demnach zwei Realitäten, Edmondson spricht von Superimposed Discourse Worlds (ibid.: 163). CS legt diese parallelen Diskurswelten offen, die unabhängig vom Diskurs des tatsächlichen Unterrichts existieren und unterschiedliche soziale Funktionen übernehmen.
Der Begriff Translanguaging (TL) wurde vom walisischen Pädagogen Cen Williams bereits 1996 geprägt und dann von der Mehrsprachigkeitsforschung übernommen und erweitert (Garcìa & Kleyn 2016a/b; Garcìa 2014; Cenoz & Gorter 2015). Translanguaging setzt voraus, dass die Sprachen mehrsprachiger Sprecher keine getrennten Systeme sind. Mehrsprachige Sprecher wählen hoch flexibel Aspekte der einen oder anderen Sprache aus, um angemessen und effektiv zu kommunizieren (Velasco & Garcìa 2014). Es gibt demzufolge einen graduellen Unterschied zwischen CS und TL. Bei CS wird angenommen, dass die Sprachsysteme zwar vernetzt sind, aber sich nicht vollständig überlappen. TS setzt hingegen ein einziges mehrsprachiges Sprachensystem voraus (Álvarez et al. 2015: 65). TL gehört zum sprachlichen Repertoire zwei- bzw. mehrsprachiger Menschen und kann je nach Umfeld und Intention eingesetzt werden.
4.5.3 Translanguaging
Translanguaging1 wird von Busch als die Fähigkeit definiert, vorgelernte kommunikative Kompetenzen zu nutzen und miteinander zu vernetzen, um (neue) Bedeutung zu schaffen. Dabei ist die Bedeutungsgebung abhängig vom kommunikativen Kontext und von der Intention der Sprecher. Es werden dadurch Räume geschaffen für Kreativität und persönlichen Umgang mit Sprachstrukturen und Bedeutung. Gleichzeitig setzt diese Form der Sprachpraxis kritisches Hinterfragen des vorgelernten Welt- und Sprachwissen voraus. Denn will man mit Normen und Regeln frei umgehen, vielleicht sogar sich darüber hinwegsetzen, so müssen diese Normen, Regeln und Bedeutungen erst einmal erkannt, kritisch beleuchtet und hinterfragt werden (Busch 2013: 58; Li Wei 2011).
Für Aronin & Singleton und Hornberger & Link (Aronin & Singleton 2012: 154; Hornberger & Link 2012: 265) bedeutet TL, sich zwischen Sprachstrukturen und Bedeutungen zu bewegen, aber auch jenseits derselben. Durch TL werden soziale Räume geschaffen, in denen Mehrsprachigkeit ihre verschiedenen Dimensionen, Erfahrungen und Haltung in einer abgestimmten und in sich schlüssigen und sinnvollen Ausführung ausdrücken kann. Es handelt sich daher also keineswegs um Sprachvermischung oder fehlende Sprachdifferenzierung (Aronin & Singledon 2012: 154), sondern um eine Ressource, eine Kompetenz, durch die mehrsprachige Sprechende fähig sind, in einem Prozess der ständigen Entscheidungsfindung mehrsprachige Mittel einzusetzen, um spezifische kommunikative Wirkungen zu erreichen. Folglich setzt TL ein hohes Maß an Sprachsensibilität voraus, einhergehend mit einem höchst differenzierten Wissen um Sprachstrukturen und deren Anwendung (Garcia & Wei 2014: 89).
Im Translanguaging werden z.T. völlig heterogene sprachliche Elemente zusammengebracht, in ihrer Funktion entfremdet und einem neuen Bedeutungsfeld zugeordnet. In der aktiven Sprachproduktion kann das vom einfachen Zitat bin hin zur ironischen bzw. parodierenden Distanzierung gegenüber geläufigen sozialen oder ethnischen Annahmen führen. Stereotypen und Kategorisierungen aller Art werden translingual leichter aufgeworfen und thematisiert und auch auf sprachlicher und diskursiver Ebene hinterfragt. Dadurch kann СКАЧАТЬ