Название: Luft an Land
Автор: Lili B. Wilms
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783960894759
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Ein grellroter Blitz riss ihn aus den Gedanken. Sein Blick raste umher. Fuck, nicht dieselbe Stelle wieder. Dieser verdammte Blitzer. Panisch sah er auf den Tacho. Wieviel … wieviel war er zu schnell gewesen? Fuck! Fuck! Nein! Das durfte nicht wahr sein. Nicht schon wieder. Er hatte erst Punkte und ein massives Bußgeld kassiert. Das … nein … das durfte nicht passieren. Wenn er das richtig in Erinnerung hatte, würde das bedeuten … Aber das konnte es nicht bedeuten. Er brauchte seinen Führerschein.
Fabian ließ einen markerschütternden Schrei los und schlug mit einer Hand auf das Lenkrad ein. Das! Das genau war der Grund, wieso er mit seinen Gedanken bei der Sache bleiben musste und sich nicht mit blauäugigen Meermännern beschäftigen sollte. Der kleinste Fehler und seine Familie war aufgeschmissen. Seine Unzuverlässigkeit hatte Konsequenzen, mit denen er gut leben konnte, aber nicht seine Familie, die sich auf ihn verlassen musste. Die bekannten Worte seines Vaters hallten in seinem Kopf wider. »Fabian, wenn ich nicht da bin, bist du der Mann im Haus.« Wie oft hatte sein Vater das wortwörtlich betont?
Nochmals schrie er auf. Ein Witz war er, mehr nicht. Das war’s. Er konnte nur hoffen, dass dieses Blitzlicht die Warnung gewesen war, die er gebraucht hatte, um sich Izi aus dem Kopf zu schlagen. Denn genau das würde er tun. Ein für alle Mal. Er war kein kleines Kind, das einen Freund oder einen Spielgefährten brauchte, egal, wie heiß und warmherzig und aufmerksam und so unglaublich heiß dieser auch sein mochte.
Die folgenden Wochen waren ein Spießrutenlauf für Fabian. Jeden Tag leerte er schweißgebadet den Briefkasten, in Sorge, der erwartete Bußgeldbescheid wäre darunter. Wobei er hoffte, dass es ein Bußgeldbescheid war, der ihn erwartete, und nicht ein Fahrverbot. Es durfte kein Fahrverbot oder die Aberkennung des Führerscheins sein.
Der Tag auf der Baustelle war anstrengend gewesen. Der Bauherr war anwesend und hatte seine eigenen Ideen, wie eine Baugrube auszuheben war, deutlich machen wollen. Fabian war nur der Baggerfahrer und musste sich mehrmals auf die Zunge beißen, um den Herrn nicht in klaren Worten deutlich zu machen, dass ein bisschen »ich baue mir mein Haus« googeln nicht ausreichte, um den Bauvorschriften zu genügen. Dazu hatte ihnen die Sonne auf den Kopf gebrannt. Er war nur noch froh, endlich daheim zu sein.
Seine Kollegen hatten seine Angespanntheit längst bemerkt. Nachdem er aber nicht rausgerückt hatte, was ihn so bedrückte, hatte ihn auch Mark, der Einzige unter ihnen, den er als Freund bezeichnen würde, in Ruhe gelassen. Sollte er eine Mitfahrgelegenheit zur Arbeit benötigen, würden sie es noch schnell genug erfahren. Jede freie Minute hatte er genutzt, um sich über spezialisierte Anwälte zu informieren. Sollte es so weit sein, würde er sofort handeln. Er hatte bereits bei einer Kanzlei angerufen, die ihn aber vertröstet hatte. Erst wenn die verhasste Nachricht bei ihm eintraf, ergab es Sinn, dass er sich bei ihnen meldete.
Er parkte in der Garage. Sein Elternhaus war ein typisches Mittelklassehaus, in dem schon seine Großeltern gelebt hatten.
Heutzutage war es nahezu unmöglich, ein Haus in diesem Vorort zu erwerben. Die Kosten für den Erhalt schnürten ihm ohnehin schier die Luft ab. Das Haus müsste längst wieder gestrichen werden. Dass die Heizung seit Jahren ausgetauscht werden sollte, verdrängte er nach jedem überstandenen Winter erneut und hoffte auf ein weiteres Jahr, in dem sie durchhielt. Dass sowohl die Dämmung des Daches wie auch die Fenster ausgetauscht werden mussten, um besagte Heizkosten zu senken, würde er, solange es nicht durchtropfte, ebenfalls wieder vergessen. Er legte regelmäßig Geld zurück für derartige Unterfangen. Aber während er noch für das erste Projekt sparte, gesellten sich bereits die nächsten Probleme des alten Hauses dazu. Letztendlich waren dies Luxusprobleme. Gesundheit war das, was zählte.
Unterm Strich hatten sie mit dem Haus Glück gehabt. So traten sie sich nicht auf die Füße und jeder hatte seinen Rückzugsort. Er wusste nicht, wie sie in der Münchner Innenstadt in einer kleinen Mietwohnung überleben sollten, schoss es ihm durch den Kopf, als er das ganze Spielzeug im Garten liegen sah. Mit pochendem Herzen blieb er am Gartentor stehen und öffnete den Briefkasten. Leer. Gott sei Dank. Wobei ihn das Warten auf den Brief mittlerweile genauso belastete, wie die Angst vor dessen Inhalt.
Er schloss die Haustür auf und hörte bereits eifriges Geklapper in der Küche. Seinen Schlüssel hängte er an das Board und noch bevor er seine Schuhe ausziehen konnte, hatte er ein Bündel in pink um seine Hüften hängen.
»Fabian, du bist daheim!«
»Wir haben uns heute Morgen gesehen, du kleine Kröte.«
»Ich hab dich so vermisst.« Dieselben grauen Augen, die er auch hatte, strahlten ihn an.
»Ich hab dich auch vermisst. Den gaaanzen Tag.«
Lena lachte ihn offen an. »Das glaube ich dir nicht. Du musst doch arbeiten. Hast du ein Haus gebaut?«
»Ah, ich hab’s versucht. War nicht so einfach. Erzähl mir lieber wie’s in der Schule war.«
»Ich habe ein Bild von uns gemalt und Mama geschenkt. Tonia hat mich heute besucht und es war ganz toll.«
Fabian strich ihr über das Haar, das in zwei Zöpfe geteilt war. »Wo ist denn die Mama?«
»Die kocht. Ich helfe ihr«, erklärte Lena stolz.
»Na dann lass uns mal sehen, was es gibt.«
Lena nahm Fabians Hand und zog ihn in die Küche, in der ihre Mutter am Herd stand. Sie drehte sich schnell um und lächelte ihm zu, während sie das Schneidemesser aufgriff und begann, in einem wahnsinnigen Tempo Karotten zu schneiden.
Obwohl Sigrid fast gänzlich ihr Augenlicht eingebüßt hatte, kannte sie ihre Küche wie ihre Westentasche. Das gesamte Haus war ihr Untertan und sie kam problemlos zurecht. Überhaupt hatte sie größte Probleme, Hilfe anzunehmen. Egal von wem. Ihre Grenze erreichte sie allerdings im Straßenverkehr. Autofahren war mit dem Sehverlust und dem milchigen Schleier, der ihre Sicht trübte, ausgeschlossen.
Somit hatte es sich Fabian mit dem Tod seines Vaters zur Aufgabe gemacht, für seine Mutter und Schwester da zu sein. Lena sollte in ihrer gewohnten Umgebung bleiben, somit war ein Umzug der beiden ohnehin ausgeschlossen. Vielmehr war er wieder in sein Elternhaus gezogen, hatte seine Arbeitsstunden gekürzt, um flexibler die beiden wichtigsten Menschen in seinem Leben unterstützen zu können. Er wollte nicht darüber nachdenken, was es für Folgen für seine Schwester hätte, könnte sie ihre Fördertermine nicht mehr wahrnehmen, wegen seiner Dummheit. Sie war zehn und es trennten sie genau achtzehn Jahre von ihrem Bruder, von dessen Zuverlässigkeit sie abhängig war. Dazu kamen die Termine seiner Mutter. Er wollte nicht darüber nachdenken, welche Folgen dies alles hätte.
»Wie war dein Tag?«, wollte seine Mutter wissen.
»Alles Bestens! Und bei euch?«
»Du hast Lena gehört. Sie hatte heute Besuch. Das Highlight der Woche.«
Fabian sah zu seiner Schwester, die Perlen auf eine Schnur aufzog. Dass ihr 21. Chromosom dreimal vorhanden war, nahm Fabian im Alltag nicht mehr wirklich СКАЧАТЬ