Traumafolge(störung) DISsoziation. Zora Kauz
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Название: Traumafolge(störung) DISsoziation

Автор: Zora Kauz

Издательство: Автор

Жанр: Медицина

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isbn: 9783969405482

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СКАЧАТЬ Viele zu sein bedeutet nicht, multiple, in sich funktionierende, alle Lebensbereiche erfüllende, dynamische Persönlichkeiten in einem Körper zu haben. Es bedeutet multiple, voneinander dissoziierte Teilidentitäten zu sein. Natürliche (er)leben wir uns oft als separierte, eigenständige Leute, aber wir haben dieses eine-Persönlichkeits-Ding, so ein wohliges Zusammengehörigkeits-Lebens-Gefühl nicht mehrfach, sondern gar nicht. Ich schreibe nicht, dass wir völlig kaputte Opfer sind. Ich schreibe, dass wir Menschen sind, die eine dissoziative Identitätsstruktur haben. Wir sind durchaus funktionell und lebensfähig zerbröselt. Aber halt zerbröselt, nicht vervielfacht. Sowohl das Modell der Strukturellen Dissoziation, als auch die Neurowissenschaften bestätigen ja, dass es um Abspaltungen, Trennungen, Separationen, Entfremdungen, undurchsichtige Membranen, nicht um Vervielfachung, geht.

      Der Grund, aus dem Persönlichkeitsanteile abgespalten werden, ist der Überlebenswille des Organismus, da wir evolutionsbedingt so angelegt sind, dass Reflexe/automatisierte Reaktionen das Überleben sichern, auch in Situationen, in denen der Verstand das nicht (mehr) kann.2 Sogenannte dissoziative

      Störungen sind eigentlich eine Überlebensstrategie, um überwältigende Erfahrungen zu überstehen. Ab einer gewissen Komplexität lässt sich sagen, dass es eine Überlebensstrategie von Kindern ist, die wiederholter Traumatisierung ausgesetzt sind, da chronische und komplexe Dissoziation mit frühen und anhaltenden traumatischen Erlebnissen verbunden wird. Mit Anteilen beziehen wir uns auf etwas, das in der klinischen Literatur unterschiedliche Namen trägt und wir meinen hier damit dissoziierte Persönlichkeitsanteile oder Teilpersönlichkeiten oder neurophysiologische Sub-Systeme, allerdings schreibe ich meist, auch der Einfachheit wegen, von Anteilen. Der Begriff „Anteil“ ist wenigstens mathematisch nicht falsch. Definitiv für uns stimmiger als Ego-State (Ich-Zustand), was in mancher Literatur nicht differenziert wird, wobei wir darunter integrierte, die Grenzen willentlich beschriebene, wechselnde Zustände eines jeden Selbst verstehen, auch wenn wir tatsächlich ja auch nur ein Mensch sind (zur Erklärung dieser Unterscheidung s. unten und Kap. 13). Einige Viele werden vermutlich mit diesem Begriff für sich nicht klarkommen oder andere Bezeichnungen brauchen, was absolut in Ordnung ist. Wir haben für diese Texte meist Anteile gewählt, da es eine Bezeichnung aus dem Vokabular der Fachliteratur ist und somit wiedererkannt werden kann. Für uns im Alltag bzw. untereinander ist der Begriff zwar nicht nutzbar, da ich glaube, dass es dafür eine Wahrnehmung des Ganzen bräuchte. Denn damit etwas ein Anteil von etwas sein kann, braucht es das große Ganze, welches alle solche Anteile umfasst, und da uns diese Wahrnehmung fehlt, kann der Begriff gar nicht stimmig sein. Mathematisch ist es aber anzunehmen.

       3.2 Anteile durch Traumatisierung

      Wenn sich Anteile abspalten, hat es immer einen wichtigen Grund, aus dem sie da sind. Wir teilen uns (lange) kein Bewusstsein. Wenn sich Anteile „melden“ oder wir die Widersprüchlichkeit mancher Entscheidungen oder die Amnesien bemerken, ist es das, was von einigen Betroffenen als breakdown beschrieben wird. Von außen sind es die – oft als psychotisch fehlgedeuteten – Symptome, wie das Stimmen hören (was für mich nichts Neues war, nur wusste ich vorher nicht, dass das „nicht normal“ ist; auch haben die Stimmen für mich keine konkret akustische Qualität wie eine tatsächlich von außen kommende Stimme, jedoch klingen sie anders als meine und drücken sich auch anders aus, als ich es tue), das Wahrnehmen von Dingen, die „nicht da“ sind (für unseren Körper und Gehirn schon), die Flashbacks, und (erkennbaren) Switches.

      Es gibt verschiedene Grade der Abspaltung und somit auch Unterschiede, wie komplex wir, also Persönlichkeitsanteile und -Subsysteme, ausgebildet sind. Ob wir weitestgehend eigenständig handeln können, klar zu trennen sind, ob wir amnestisch zueinander stehen. Wir werden auch wegen unserer „Aufgabenbereiche“ und der Fähigkeit, komplex oder sinnvoll geplant zu handeln, nach dem Modell der strukturellen Dissoziation in zwei Hauptkategorien unterschieden: Anscheinend Normale Persönlichkeitsanteile (ANP) und Emotionale Persönlichkeitsanteile (EP) (Van der Hart et al.). Unter anderem ist die Komplexität und Schwere der Abspaltung abhängig von der individuellen Fähigkeit zu dissoziieren, den Voraussetzungen und Fähigkeiten, um vehemente und schwer ertragbare Emotionen zu regulieren und auszuhalten. Ferner spielen das Alter, in dem die Traumatisierungen erfahren werden, die Bedeutung, die wir dem Ereignis zuschreiben, die Heftigkeit, Unberechenbarkeit und andauernde Wiederholung eines Traumas eine Rolle. So haben wir, wenn die Dissoziationen nicht nur akute Abwehr sind – wie etwa durch Abspaltung das Schmerzempfinden ausschalten oder ein einzelnes Trauma tragen, in dem sie gefroren sind –, sondern als chronisch verwendeter Überlebensmechanismus grundlegend unsere Persönlichkeitsstruktur formen, eigene Aufgaben, Wahrnehmung und Sensibilität, Werte, Bedürfnisse, Eigenschaften und Fähigkeiten, unterschiedliches Körper- und Schmerzempfinden, Alter, Geschlecht, Symptomatiken und Stimmungen (können uns in diesen manifestieren – manche von uns haben eine Essstörung oder Anfälligkeit für Migräne ect., andere nicht). Kein Anteil kann umgebracht oder vernichtet werden, und es geht nicht darum, andere zu kontrollieren, sondern uns durch (Kennen)Lernen und Zusammenarbeit zu ent-wickeln. Es geht um mehr Integration, damit wir wissen wie und vor was wir uns schützen müssen, sogenannte internen Kommunikation, damit der aktuelle Kontext klar ist, wichtige Informationen verteilt werden und wir Menschen wiedererkennen und ihre Rolle, in der sie zu uns stehen. Wir haben uns so verwickelt, um Extremsituationen zu meistern. An sich ist genau das passiert, was hätte passieren sollen – unser Gehirn hat für Überleben gesorgt. Unsere Anpassungen waren also im Moment des Traumas lebensnotwendig, sind aber langfristig gesehen meist dysfunktional oder schädigend.

      Dadurch, dass wir alle eigene Erfahrungen, unterschiedliche Erinnerungen an bzw. durch die polaren Sichtweisen, verschiedene Auffassungen von der Autobiografie haben und auch unsere Stärken wie Schwächen verschieden verteilt sind, haben wir alle auch unterschiedliche Trigger, Auslöser. Sie können entweder Wechsel oder Flashbacks, Intrusionen, Panikattacken auslösen, was genaugenommen auch eine Form von interner Kommunikation ist. So gibt es manche Themenbereiche für die einzelne/einige Anteile zuständig sind, die dann auch nur diese Erinnerungen daran tragen. Das heißt, dass manche Anteile in bestimmten traumatischen Erfahrungen entstanden und festgehalten sind, wodurch sie, wenn sie getriggert werden, immer noch so fühlen und handeln wie damals, wohingegen sich der Rest des Systems nicht, oder einzelne vielleicht aus anderer Perspektive, daran erinnern kann, bzw. gar nichts von ihrer Existenz weiß.

      Manche sind auch nur für bestimmte Verteidigungsstrategien zuständig, welche sie, wenn sie getriggert werden, ausführen, egal ob sie heute noch angemessen sind oder nicht. Teilweise sind diese Strategien relativ primitiv und entsprechen eben nicht den aktuellen Zuständen. Das können entweder die traumatisch bedingten, „tierischen“ Strategien zum Überleben sein (Kämpfen-Flüchten-Erfrieren-Unterwerfen). Oder es sind Möglichkeiten, das Trauma und alles, was dazugehört, außerhalb des Bewusstseins zu halten, jegliche potenziellen Trigger zu vermeiden, was dann uns „ANPs“ (im Folgenden „Alltagsionäre“) zugeschrieben wird. In den Zeiten der Gewalt war es überlebensnotwendig, dass wir Wahrnehmungen der Welt geschaffen haben, durch die manche Anteile in der Illusion leben konnten, dass alles in Ordnung sei. Teilweise wurden diese Illusionen auch einzelnen Anteilen absichtlich auferlegt, damit wir nach außen verlässlich diese „heile Ordnung“ wiedergaben. Es kann Kinderanteile geben, die als sehr unauffällige, zufrieden scheinende Kinder auftreten, weil sie, wortwörtlich, in ihrer eigenen Watte-Welt leben, oder welche, die sich stets ins Spielen vertiefen, um den Rest der Welt auszuschalten. Sie scheinen eher zurückhaltend, ängstlich oder auch „zu sensibel“ (weil unbewusst ja Angst-Terror herrschte), aber sonst leise, glücklich und zufrieden. Das ist, wenn wir die Zeit betrachten, in der wir uns täglich in Gefahr befanden, keine verwerfliche Art, es irgendwie zu überstehen, und macht deutlich, warum es funktionierte, ohne aufzufallen.

      So sind oft einzelne Anteile für einen gewissen Bereich im Alltag zuständig, den sonst niemand übernehmen oder zumindest nicht so gut erfüllen kann.

      Erfahrungen СКАЧАТЬ