Traumafolge(störung) DISsoziation. Zora Kauz
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Название: Traumafolge(störung) DISsoziation

Автор: Zora Kauz

Издательство: Автор

Жанр: Медицина

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isbn: 9783969405482

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      Letzteres wird wiederum in drei Bereiche unterschieden, von denen uns hier zwei besonders interessieren: das sympathische und das parasympathische Nervensystem. Der Sympathikus ist der aktivierende Teil, der Parasympathikus hemmend. Jeweils geht es ohne das andere nicht. Aktivierung ohne Bremse ist nicht lange funktionell und Bremse ohne Aktivierung ist wenig lebendig. Der Begriff Autonomes Nervensystem, geprägt vom britischen Physiologen J. Langley, hat schon Sinn. Wir können nämlich nicht mitentscheiden, ob unser Sympathikus die reaktive fight-flight-Energie aufbringt oder nicht. Das ist auch ganz gut so, weil wir im Falle des Falles dafür zu viel Zeit bräuchten. Gefahr bedeutet physiologische Reaktion und unüberlegtes Kampf- oder Fluchtverhalten.

      Der größte Nerv des Parasympathikus ist auch noch einmal aufgeteilt. (Damit sind wir hier jetzt auf der letzten Differenzierungs-Stufe angelangt.) Das ist der Vagusnerv. Er ist der einzige der zwölf Hirnnerven, die zumeist dem Hirnstamm entspringen, welcher über den Hals hinaus in die inneren Organe des Körpers verläuft und in seiner Größe mit der Wirbelsäule zu vergleichen ist. Ist also ein sehr großes, ziemlich bedeutendes Ding. Charles Darwin hat schon Ende des 19. Jahrhunderts, lange vor der Zeit der psychosomatischen Medizin, die wechselwirkende Verbindung vom Körper zum Gehirn erkannt. Er schrieb vom heutigen Vagus als „pneumo-gastric nerve“. Der Vagus besteht aus dem ventralen (vorderen) Vagus System, das sind Fasern des Nervs mit einer Biomembran als Sensibilitäts- und Beschleunigungs-Isolierung, und dem dorsalen (hinteren) Vagusnerv, welcher primitiver ist und ohne Markscheide. Das Dorosal Vagal System besaßen schon primitive knochenlose Fischen vor 500 Millionen Jahren. Es sorgt laut Stephen Porges für den „shutdown“, für Immobilität in der Unterwerfung, für Dissoziation. Nach Porges’ Aufarbeitung reagieren Menschen bei Angst auf Bedrohung zunächst mit einer hochentwickelteren Säugetier-Taktik. Wir nutzten das Ventral Vagal System, welches für soziale Einbeziehung und die Kommunikation von Emotionen (viel über Mimik) zuständig ist. Dieser Teil des Nervs ist relativ neu (ca. 80 Millionen Jahre alt) und kommt nur in Säugetieren vor. Wir suchen mit dem Social engagement system (SES) des Ventral Vagal Systems nach Kontakt und Schutz oder Besänftigung durch andere. Was auch erklärt, warum schon die Präsenz eines wohlwollenden Mitmenschens und Erdung durch akustische oder taktile Signale das Alarmsystem herunterfahren und in einen ruhigeren Zustand bringen kann. Wenn das nicht klappt oder niemand da ist, der Schutz bieten kann, schaltet sich der Sympathikus ein. Der Sympathikus stellt die Kampf- oder Fluchtenergie in unseren Gliedern bereit. Sind wir ernsthaft bedroht, brauchen wir alle Kraft, die möglich ist, um kämpfen oder fliehen zu können. Wenn auch das unmöglich ist, frieren wir ein, denn tote Beute ist für die meisten Raubtiere uninteressant. Doch zunächst sind wir innerlich hocherregt, im potentiellen Flutchtmodus. Wir sind zwar unbeweglich, aber auf der Suche nach Möglichkeiten, der Situation zu entkommen, und somit extrem wachsam. Wenn wir wirklich oder jedenfalls für unsere Wahrnehmung keine Möglichkeit mehr zur Flucht haben und die Todesangst weiter besteht, wird das Dorsal Vagal System ausgelöst. Dieses wird ausschließlich bei Todesangst aktiviert. Wir verlieren alle Energie, unser Organismus schaltet auf stand-by, oder, im schlimmsten Fall, ganz aus; Es gibt das Phänomen des Voodoo-Todes. Hier führt die Todesangst zum Tod, obwohl keine lebensbedrohlichen Verletzungen vorliegen, weil der primitive Teil des Vagusnervs den Organismus bis zum Herzstillstand und oder Atemdepression herunterfährt. Bei Tieren wurde dies beobachtet und aufgezeichnet, von erwachsenen Menschen ist es selten beschrieben, aber nicht unbekannt, bei Säuglingen im Bezug auf Vernachlässigung wurde es aufgewiesen; sie können neben dem „klassischen“ Freeze-Voodoo-Tod auch durch fehlende Pflege, Fürsorge und Bindung „verhungern“, da sie noch nicht in der Lage sind, ihre physiologischen Sub-Systeme zu koordinieren, Affekte selbst zu regulieren.

      Wir tragen die Überlebens-Kettenreaktion in uns, weil Traumata an sich vorkommen, weil lebensbedrohliche Situationen und Todesangst in unserer gesamten Evolution vorkamen und logischerweise von einem Leben mit Tod am Ende nicht wegzudenken sind. Wir brauchen diese Funktion, um zu überleben. Es ist total genial, dass sich unser Organismus so schützen kann vor Situationen, die wir nicht überleben würden, wenn wir unsere neuen komplexen Hirnareale dafür benützten. Es sollte allerdings keine Dauerlösung sein. Denn auch wenn Lebensgefahr zum Leben dazugehört, so ist chronisch traumatisierende Gewalt nichts, was einfach so zum Leben dazugehören sollte. Überlebens-Mechanismen sind nicht dafür ausgelegt chronisch genutzt zu werden. Denn dann sitzen wir in der Therapie und bemerken, dass wir unserem Hirn 420 Millionen Jahre Evolutionsnachhilfe geben müssen (500 Mio. minus 80 Mio.), weil wir mit dissoziativen Störungen im primitiven Fischstatus festhängen, weil wir dauerhaft abspalten.

      Es fühlt sich zumindest manchmal nach so viel Arbeit an. 420 Millionen Jahre.

      Wenn wir z. B. zu Beginn der Stunde in der Psychotherapie-Praxis umkippen, weil das Nervensystem sagt: Anders kommen wir hier nicht raus. Wobei die Gefahr nur ein Trigger war und das Umkippen keine den Umständen angepasste Taktik ist, um sich einer Gefahrensituation zu entziehen. Wir brauchen also Nachhilfe und müssen mit vielem tatsächlich von vorne anfangen. Wir brauchen das Erregungsniveau unseres Nervensystems in einem funktionellen Mittelfeld, denn nur dann kann unser Gehirn Orientierung und Integration koordinieren. Funktionelles Mittelfeld heißt, dass wir nicht in lähmender Todesangst und Untererregung feststecken und uns auch in keiner impulsiven Übererregung befinden. Erst dann können wir den neueren Teil des Vagus aktivieren und damit irgendwann die Abkapselung verändern und uns als Teil dieser Welt empfinden. Weil wir erst dann sozialen Kontakt herstellen können, ohne von der Scham isoliert und der Erfrierung abgehalten zu werden.

      Etwa 80 Prozent der Fasern des Vagus, die Körper und Gehirn verbinden, sind sensorisch, also vom Körper zum Hirn kommunizierend. Die anderen 20 Prozent motorisch und kommunizieren vom Hirn zum Körper. Im Verhältnis 8:2 steht also, was der Vagus dem Hirn vom Körper erzählt, was er so empfindet, zu dem, was er dem Körper vom Gehirn erzählt, was der machen soll. Jetzt sag mir eine_r: „Das ist nur in deinem Kopf.“ Nein. Traumatisierungen sind sehr körperlich verankert. Auch all das, was unser Kopf abspalten konnte. Das erklärt, warum Traumata nicht ausschließlich mittels „Drüber-reden“ oder kognitiver Analyse zu „heilen“ sind, weil wir nichts analysieren können, wofür wir keine Worte oder Gedanken haben. Wir müssen grundlegend lernen, Empfindungen wahrzunehmen, diese auszuhalten und unserem Körper zuzuhören. Unser Kopf herrscht nicht über unseren Körper, vielmehr forschen und untersuchen unsere Gedanken unsere Empfindungen, sind somit oft ihre unbewussten Folgen, nicht Auslöser.

      Der primitive Teil des Vagusnervs stellt auch eine kommunikative Verbindung zwischen den meisten unserer inneren Organe und dem Gehirn dar. Wir erleben Gefahr somit nicht nur von außen; Lähmungen, Übelkeit, Anspannung, Schmerzen können auch von innen Angst auslösen. Angespannte, rennbereite Beine und eine harte Mimik können dem Hirn z. B. Fluchtbereitschaft signalisieren, wodurch wir dann denken, dass es auch eine externe Gefahr geben muss. Prinzipiell ist der Fakt, dass unser Körper schneller auf Bedrohung reagiert als unser Kopf, natürlich sinnvoll. Um Reize richtig wahrnehmen zu können und zu sortieren und an ihren richtigen Speicherplatz zu verwiesen, ist in akuter Gefahr einfach keine Zeit. Es ist also eigentlich ziemlich gut, dass wir völlig „hirnlos“ (bzw. nach Anweisungen des Hirnstamms) reagieren können. Und wie Anspannung Gefahr signalisieren kann, genauso können entspannte Muskeln und tiefe Bauchatmung Sicherheit oder gar Wohlbehagen ans Hirn melden. Leider funktioniert das selten sofort, weil bestimmte Anteile ja genau dafür ausgebildet sind und diese Automatismen nicht einfach verschwinden, nur weil irgendwer sagt, dass die Gefahr vorbei ist. Wir müssen das üben und trainieren und üben und trainieren und dann noch ein bisschen üben, weil unser Gehirn nun mal dazugelernt hat und uns nicht einfach glaubt, sondern Erfahrungen braucht, um sich um-vernetzen zu können. Tatsächlich bilden sich Nervenfortsätze und Verbindungen aus, wodurch Kurzschluss-Lösungen neuroanatomisch stärker vertreten sind. Erdung bedeutet dann auch keine Heilung, aber sie führt dazu, Schritte dahin zu ermöglichen. Da durch den chronischen Überschuss an Stresshormonen die Aktivität des Hippocampus gehemmt wird, bauen sich dort auf Dauer Neuronen ab. Allerdings kann er auch wieder wachsen, wenn СКАЧАТЬ