Название: Traumafolge(störung) DISsoziation
Автор: Zora Kauz
Издательство: Автор
Жанр: Медицина
isbn: 9783969405482
isbn:
War doch nicht hoffnungslos.
Uns ist etwas Ähnliches passiert. Uns wurde gesagt, dass etwas ziemlich kaputt sei. Da stimme was nicht. So könnten wir auf jeden Fall nicht rumlaufen. „’ne Schraube locker.“ Zu uns sagten sie: schizophren. Es sei sehr unsicher und kritisch. Sie sähen keine Möglichkeit, uns zu helfen.
Hoffnungslos.
Wir müssten wohl in eine andere Klinik, die das dann richten würden.
Aber wir hatten dort kein Glück. Niemand war bereit, sich das noch mal anzuschauen. Schade, denn die Symptome konnten auch für etwas anderes sprechen. Wir bekamen Medikamente zum Stilllegen einer akuten Psychose. Wir lagen auf einem Bett mit Fixiergurten. Natürlich nur zu unserer Sicherheit. Erniedrigung und Ausgeliefertsein, das kannten einige ja schon. Wir wurden für unzurechnungsfähig erklärt. Die wenigen Worte, die noch gesprochen werden konnten, lächelnd abgenickt. Zudem wirkte ich meist auch noch antriebslos und depressiv. Seltsam eigentlich bei solch hemmenden Medikamenten, wenn ich davon irgendwie „hier gehalten“ wurde. Vielleicht hätte es eine andere Erklärung gegeben. Vielleicht war das Problem gar nicht das Problem. Vielleicht war das Problem ein Zeichen von Prozess. Vielleicht wären andere Lösungswege möglich gewesen.
Vielleicht.
Es war keine Schizophrenie. Und genau genommen war es sogar auch keine Psychose. Es war Dissoziation und Trauma. Und das ist manchmal komplex und scheint wie eine Psychose. Aber da ist nichts Psychotisches. Da ist was Traumatisches. Es sind amnestische Barrieren zwischen einigen von uns. Und da läuft nicht alles ganz parallel in der Spur.
Und auch wenn es mir oft so erscheint, es ist nicht hoffnungslos.
3 Ein Einstieg zu uns
Wenn ich Dinge lese, um ein Grundwissen zu erlangen, um mich und unser Nervensystem besser kennenzulernen zu können, denke ich manchmal, ich habe es verstanden. Ich lese und denke darüber nach und schreibe die Ergebnisse sogar auf und bilde mir also wirklich ein, es verstanden zu haben. Aber zur Wissensaufnahme fähig, also kognitiv nicht völlig hängengeblieben zu sein, hat überhaupt nichts mit (geistiger und oder kognitiver) Flexibilität, also Anpassungsfähigkeit, im Bezug auf das eigene Leben zu tun. Wissen aneignen bedeutet nicht, Dinge begreifen zu können. Und um mich nachhaltig anders zu ver-halten, muss ich be-geifen, was ich da halte.
Es ist wie mit unserer Biografie. Irgendwie sind wir so durch die Jahre gekommen und dann blicken wir irgendwann zurück und fragen uns, wie es möglich war, so viel abzuspalten, ohne es zu bemerken. Wie es möglich war, so viel nicht zu verstehen, Dinge nicht zu sehen, zwischen den Welten verloren zu gehen, um sich ja nicht im Tempo der Erde zu drehen, damit wir unserer Realität nicht gegenüberstehen.
Ich versuche hier, einen Teil dieser Theorien zu beschreiben, weil Wissen doch Halt geben kann, was ich so vielen von uns wünsche. Trotzdem ist es nun mal so, dass sich Menschen nicht völlig in einer Theorie beschreiben lassen und Diagnosen, die die Persönlichkeitsstruktur betiteln, nur begrenzt etwas über ein Individuum aussagen. Grundlegend sind die Theorien gut, um manches nachvollziehen zu können, aber in weniger fachlich theoretischen Text(abschnitt)en wird deutlich, dass sich an der Theorie nur festhalten kann, wer nichts mit der Praxis zu tun hat.
3.1 Wofür Anteile?
Was manche Menschen zu der Annahme verleitet, dass alle Menschen ein bisschen multipel seinen, ist der Fakt, dass jegliche Persönlichkeit eine Zusammensetzung von verschiedenen psychobiologischen Sub-Systemen ist. Ohne dissoziative Störungsbilder ergeben diese eine ganze, kongruente (Ambivalenzen und Vielschichtigkeit impliziert!) Persönlichkeit und funktionieren fließend zusammen. Verschiedene Anteile machen es auch erst möglich, in verschiedenen Kontexten effektiv und angepasst zu handeln. Diese Anteile haben dann aber keinen eigenen Sinn von „Ich“ und sind integriert, es liegen keine neuronalen, strukturellen und funktionellen Separationen vor, sodass es ein Gefühl von Zusammengehörigkeit als eine ganze Person gibt. So oder so ähnlich, ich kann das nicht genau sagen, vermute aber, dass Menschen selten umherlaufen und denken: „Ja, ich bin eine normativ integrierte Persönlichkeit und fühle mich sehr wohlig ganz“, eben weil es so ein als selbstverständlich angenommenes Einheitsgrundgefühl gibt und dadurch vermutlich gar nicht darüber nachgedacht werden muss. Hier denken/handeln/fühlen alle Anteile in einem Namen, obwohl jeder Mensch natürlich Ambivalenzen in sich trägt, also Aktionssysteme mit verschiedenen Motiven und Motivationen. Meist wird umgangssprachlich von „Seiten“ gesprochen. So kann eine mehr integrierte Persönlichkeit abwägen und Prioritäten setzen, was wir (lange Zeit zumindest) nicht können, weil wir von den Zielen der anderen im Innen gar nichts wissen. Als integrations-typischer Mensch sind Anteile im Groben bekannt, auch wenn nicht alle gleich annehmbar sind oder sich eben nicht ständig mit ihnen befasst wird, sie also auch nicht immer unbedingt präsent oder klar zu benennen sind. Aber es ist anscheinend so, dass wenn in sich gespürt wird, sich verschiedene Perspektiven/Motivationen etc. bewusst erkunden lassen, um diese dann als Anteile zu beschreiben. Und, was wir eben nicht können, ist, dass du entscheiden kannst, welcher Anteil gerade Vorfahrt hat – und trotzdem kannst du gleichzeitig auf das Wissen und die Fähigkeiten anderer zurückgreifen. Dein Ich kennt alle deine Erinnerungen, das ist bei uns nicht so.
Zunächst haben alle Menschen, auch als Kinder schon, verschiedene Rollen. Es gibt Rollen und Aufgabenfelder, die alle Personen haben. Einzelne Anteile können für eine Rolle zuständig sein, es können aber auch mehrere Anteile für eine Rolle benötigt werden sowie auch ein Anteil mehrere Rollen erfüllen kann. Das heißt, dass ein Anteil nicht das Gleiche wie eine Rolle ist. Die Rollen entsprechen den Aufgaben, Verhaltensregel, -mustern und Erwartungen, die an einen Mensch, der diese einnimmt, gestellt sind. Eine Rolle besteht also im Außen, auch ohne den jeweiligen Menschen. Anteile hingegen sind Subsysteme in uns, über die viele vielleicht nicht als Anteil wissen, weil sie eben Teil eines Ganzen sind und auch nur als solches wahrgenommen werden. Bei Kindern spielen diese noch nicht ganz so als integrierte, gefestigte Persönlichkeit zusammen. Dies macht es wahrscheinlicher, dass sich einzelne Elemente aus Anteilen separieren und traumatisch bedingt abspalten. Zudem sind wir als Kinder von Vornherein viel hilfloser und können allein nicht auf Bewältigungsstrategien zurückgreifen, die Integration möglich machen würden. Eine Amnesie bedeutet einen Erinnerungsverlust. Wenn diese Barrieren in der Kindheit entstanden und es so möglich war, das Leben weiterzuführen, bleibt das Unwissen übereinander meist viele Jahre bestehen. Wir verwickeln uns also mit voneinander getrennten physiopsychologischen Einheiten, neuronalen Teams oder eben dissoziierten Anteilen. Und weil unser Gehirn schlau ist und energieeffizient arbeitet, wird eine Taktik, die funktionierte, natürlich weiterverwendet und ggf. ausgebaut. So reagiert unser Gehirn auf weitere Traumata oder Erlebnisse, die unser Gehirn mit unseren Traumatisierungen verknüpft, mit derselben Strategie – der Dissoziation. Die Dissoziation ist ein biologisch garantiertes Phänomen, da unsere ganze Physiologie mit einbezogen ist. Bei späteren Traumata können schon bestehende Netzwerke neu belastet werden oder sich neue bilden. Pierre Janet schrieb, dass Dissoziation eine Teilung zwischen „Systemen mit Ideen und Funktionen, die die Persönlichkeit bilden“ (Janet 1907), einschließt.
Ich will ein Bild vorwegnehmen, damit all das Folgende vielleicht richtiger verstanden werden kann: Bisher noch mit Multipler Persönlichkeits(störung) benannt, aber eigentlich nur strukturell dissoziiert, sind wir keine „viele Menschen in einem Körper“. Wir sind nicht das Vielfache einer Persönlichkeit und wir haben auch keine schön, klar erkennbar abgepackten Traumapäckchen in anderen verstaut, was dann alles passend zusammen gerechnet uns als ganzen Menschen ergäbe. Beim Zerbröseln sind Lücken entstanden, es sind Dinge so fragmentiert, СКАЧАТЬ