Название: Traumzeit für Millionäre
Автор: Roman Sandgruber
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783990401842
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Ein Kennzeichen, das diese Warenhäuser einte, war, dass sie als jüdisch galten und einer entsprechend von Hass erfüllten antisemitischen Agitation ausgesetzt waren. 86,2 Prozent der Millionäre dieser Branche waren jüdisch. Das nutzten Stefan Esders und sein Bruder Henri, die sich, ausgehend vom deutschen Emsland, mit Filialen in Brüssel, Berlin, Paris, St. Petersburg, Rotterdam und 1895 auch in Wien ganz bewusst als katholische Unternehmer zu positionieren versuchten. In ihrem nach den modernsten Pariser Vorbildern errichteten fünfgeschossigen Etablissement „Zur großen Fabrik“ in der Mariahilfer Straße mit 39 großen, bereits elektrisch beleuchteten Auslagen in Parterre und Mezzanin, mit einem von Glas überdachten Innenhof und Verkaufsräumen auf zwei Etagen im Ausmaß von 12.000 m2 standen 120 Verkäufer bereit. Mit den von Esders neu eingesetzten Schaufensterpuppen konnte die Konfektion entsprechend attraktiv präsentiert werden. Neben Herren- und Knabenbekleidung sowie Herrenwäsche wurden auch Herrenhüte, Schuhe, Handschuhe und Schirme angeboten. Erst später kam auch Damenmode dazu. Im dritten und vierten Stockwerk war die Kleiderfabrik untergebracht, im fünften die Wohnung des Eigentümers. Stefan Esders präsentierte sich bewusst katholisch: Er stiftete die Wiener Kaasgrabenkirche, in deren Gruft er auch beigesetzt wurde. Seine Villa (Stefan-Esders-Platz 1) wurde nach seinem Tod dem Orden der Schwestern vom Armen Kinde Jesu übergeben. Auch in ihrem Geburtsort, in Haren im Emsland, hatten die beiden Brüder für die Errichtung der neuromanischen Pfarrkirche St. Martinus, auch Emsland-Dom genannt, insgesamt 110.000 Mark, knapp die Hälfte der gesamten Baukosten, beigetragen. Religiös bewusste bzw. antisemitisch geprägte Kunden gingen selbstverständlich zu Esders, etwa die oberösterreichischen Landadeligen Coreth: Am Tag seiner Einschreibung ins Jesuitenkolleg Kalksburg erhielt der junge Coreth eine komplette Ausstattung von der berühmten Firma Esders.115 Weil im Falle Esders die antisemitisch-antikapitalistische Propaganda kleingewerblicher Gruppierungen, nur bei „Christen“ einzukaufen, ins Leere ging, kehrte man die Argumentation um und kritisierte das internationale Kapital, das diesmal im christlichen Gewand eine „besonders schlaue Form gewählt“ habe. Die christlichsoziale Reichspost vom 6. April 1895 meinte, es sei zu bedauern, dass man „in einem Geschäftszweige, der in Österreich bisher ausschließlich ein Ausbeuteobject in Judenhänden war, nunmehr auch einem Christen begegnen müsse“. Das neue Etablissement werde hunderte kleingewerbliche selbständige Existenzen vernichten.116
Die Warenhäuser gingen auch in die Vorstadt und in die Provinz. Das 1890 gegründete Vorstadtwarenhaus Dichter im 16. Wiener Gemeindebezirk war in den 1930er Jahren das größte Kleiderhaus außerhalb des Wiener Gürtels.117 Große Kleiderhäuser entstanden auch in den Provinzhauptstädten Graz, Innsbruck, Linz und Salzburg. Das Grazer Warenhaus Kastner & Öhler geht auf einen 1873 von Carl Kastner und Hermann Öhler in Troppau (Opava, Tschechien) gegründeten Kurzwarenhandel zurück. Das Kapital für die Firmengründung, 30.000 fl, stammt aus einer Erbschaft, die Carl Kastner von seiner Großmutter gemacht hatte. Die Anteilsverteilung an dem Unternehmen war von Anfang an zwei Drittel Kastner, ein Drittel Öhler. Die Wiener Niederlassung wurde 1877 eröffnet. 1883 folgte der Schritt nach Graz, das man zum Hauptsitz wählte. 1887 wurde mit dem Postversand begonnen und ein Katalog aufgelegt. 1912 waren bereits 60.000 Versandkunden erreicht. 1897 wurde eine Niederlassung in Agram begründet, die sich rasch zum größten Warenhaus der ungarischen Reichshälfte entwickelte. 1912 bis 1914 wurde der Grazer Standort durch die Wiener Architekten des Büros Fellner & Helmer um etwa 1,5 Mio. Kronen in eines der damals modernsten Warenhäuser ausgebaut. Es wurden zwei Kundenlifte, ein Stromaggregat und eine Rohrpostanlage installiert. Zur bestehenden Damenkonfektion kamen auch Herrenkonfektion, Schuhabteilung, Damen und Herrenhüte, Parfümerie, Lederwaren und Papierwaren, ab 1915 auch Spielwaren und eine Haushalts- und Ofenabteilung.118
Österreichische Präsenz am türkischen Markt: Im Istanbuler Stadtteil Galata befand sich ein großes Textilkaufhaus der Brüder Victor und Konrad Tiring. Foto, um 1920.
In Linz begann der aus Königswart/Lázn Kynžvart in Westböhmen zugewanderte Franz Hofmann 1853 im prominent am Hauptplatz gelegenen Palais Weißenwolff mit einer Tuchhandlung und Greißlerei. Im selben Haus befand sich auch das Handelshaus und Posamentierwarengeschäft Karl Schober und Eduard Kraus. Der ebenfalls aus Königswart gebürtige Wilhelm Hirsch, der eine Tochter Hofmanns heiratete, kaufte Kraus & Schober, vereinigte es mit der Fa. Franz Hofmann und eröffnete 1910 das erste Linzer Warenhaus. Ein Firmenbericht aus dem Jahr 1913 sprach von einer „für die Warenhäuser typischen nur kleinen Stammkundschaft, aber einer großen Laufkundschaft”, die von „Zeit zu Zeit, aber doch sehr regelmäßig das Etablissement aufsuche und nicht immer kaufe, aber das müsse man nicht“.119 Man durfte lustwandeln, Lift fahren und sich an den Waren erfreuen. Wilhelm Hirsch, der 1898 nach Wien übersiedelt war, starb 1916. Seine Tochter Hilda Greiff, die mit dem Gesangspädagogen Paul Greiff/alias Paul Goldschmidt verheiratet war, schaffte die erfolgreiche Weiterführung nicht. 1930 wurde über das Unternehmen der Ausgleich eröffnet. Die Mehrheitsbeteiligung wurde von der Salzburger Unternehmensgruppe Walter, Paul und Max Schwarz übernommen, die das Warenhaus Schwarz in Salzburg, den gleichnamigen Betrieb in Graz, das Kaufhaus Bauer & Schwarz in Innsbruck und das Warenhaus Falnbigl in Wien führte.
Abenteurer und Imperialisten
Es war das Zeitalter des Imperialismus. Österreichs Möglichkeiten waren hier sehr beschränkt. Doch österreichische Unternehmer konnten mit ihren Warenhäusern auch auf dem ägyptischen und türkischen Markt Fuß fassen. Von ihren Stammhäusern in Wien aus dirigierten Albert Mayer, Doro Stein und die Brüder Victor und Konrad Tiring die berühmtesten Kaufhausketten im Osmanischen Reich, von Kairo und Alexandria bis Istanbul und Thessaloniki. Nur der vierte unter den aus der Habsburgermonarchie kommenden Orient-Konfektionären, Orosdi-Back, 1856 von Adolf Orosdi und Hermann Back gegründet, scheint 1910 nicht auf der Wiener Millionärsliste auf. Dieses Unternehmen hatte seine Zentrale schon nach Frankreich verlagert.120
Seinem aus Pressburg gebürtigen Großonkel Albert Mayer, der ab 1874 von Wien aus mit seinem Bruder Sigmund im gesamten Osmanischen Reich zahlreiche Warenhäuser gegründet hatte, verdankte es der bekannte Historiker Eric Hobsbawm, dass er in Alexandria geboren wurde. Mayer hatte Hobsbawms Mutter zur Maturareise nach Ägypten eingeladen. Sie verliebte sich dort und blieb. Nach dem Ersten Weltkrieg mussten die Hobsbawm wie auch die Mayer nach Wien zurück.121 Mayer war einer der ersten gewesen, der mit Konfektions-Textilien den ägyptischen Markt bedient hatte, nachdem er die französische Konkurrenz ausgeschaltet hatte. Der Hauptsitz befand sich in Alexandria; eine Niederlassung wurde 1882 in Istanbul eröffnet; weitere Standorte gab es in Izmir und Aleppo.122 Nach dem Ausscheiden Sigmund Mayers im Jahr 1909 wurde Albert Mayer Alleingesellschafter.
Eine ähnliche Karriere machten Salomon und Doro Stein. Mit einem Geschäft für Konfektionsware in Kairo schuf Salomon Stein die Grundlage für die dominierende Stellung seiner Firma auf dem ägyptischen Bekleidungssektor. 1875 eröffnete er eine Niederlassung in Alexandria. Salomon Stein starb 1898 in Wien. Sein Sohn Doro ließ 1904 durch den Architekten Friedrich Schön das großzügige Verwaltungsgebäude in Wien 9, Althanplatz 6 (heute Julius-Tandler-Platz 6), errichten, mit einem imposanten, 4,5 Meter breiten Doppeladler und der bis heute erkennbaren Inschrift „S. Stein“, und ungefähr gleichzeitig am Ataba-El-Khadra-Platz in Kairo eines der größten Kaufhäuser Ägyptens, ebenfalls nach Plänen von Friedrich Schön und ebenfalls mit einem Doppeladler am Gesims der über 50 Meter langen Schaufensterfront. 180 Verkäufer bemühten sich um die Kunden in der Herren-, Damen- und Kinderabteilung. Es gab auch Abteilungen für Hüte und Schuhe. Ein elektrischer Aufzug führte in den ersten Stock. Zwei Generatoren СКАЧАТЬ