Traumzeit für Millionäre. Roman Sandgruber
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Traumzeit für Millionäre - Roman Sandgruber страница 11

Название: Traumzeit für Millionäre

Автор: Roman Sandgruber

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

Серия:

isbn: 9783990401842

isbn:

СКАЧАТЬ J. H. Stametz, schon vorher. Auch die Familie Hofmannsthal gehörte 1910 nicht mehr zu den Millionären. Rudolf Friedrich Frh. v. Geymüller war 1910 nur mehr Gutsherr und Rentier. Vom Vermögen der Sina zehrten ihre hochadeligen Schwiegersöhne. Auch Robert Biedermann Freiherr von Turony gab 1910 bei der Steuerbehörde nur mehr Grundbesitz als zentrale Erwerbsgrundlage an. Die 1921 neu gegründete Biedermann-Bank, mit der der berühmte Ökonom Joseph Schumpeter als Generaldirektor sein Geld und das anderer Leute verlor und seinen Ruf als Wirtschaftsfachmann aufs Spiel setzte, hatte mit dem alten Bankhaus der Biedermann nicht mehr viel zu tun. Der traditionelle Name sollte der Bankgründung in der Hyperinflation nur einen soliden Anstrich verleihen.47

      Julius Bachrach, 1910 noch Privatbankier und Millionär, mit einem Jahreseinkommen von 104.579 Kronen und 1909 von 82.307 Kronen, endete 1912 mit Selbstmord. Arthur Schnitzler lässt uns in seinem Tagebuch die Dramatik der letzten Lebenstage miterleben: Am 14. Oktober 1912: „O. kam mit Steffi von Bachrachs. Der Alte hat in diesen zwei Tagen 6 Millionen verloren. Steffi, die reiche Erbin ein armes Mädel! Über sein Wesen. Spielernatur. Geiz. Wenn’s schlecht geht, isst er Käs und Fleisch von demselben Teller. Für versetzte Ohrringe muss seine Frau Jahre Zinsen zahlen, weil er die kleine Summe zum Auslösen nicht gibt … “ Am 25. November notierte Schnitzler die telefonische Mitteilung von Steffi Bachrach: „Nachricht Vater ‚plötzlich gestorben‘, telephonisch mit ihr gesprochen, natürlich Selbstmord.“ Am 2. Dezember meint Schnitzler: „Zu Bachrachs. Die Verhältnisse scheinen desolat, Haltung gut. Sie werden wahrscheinlich von einer Rente leben, die die Banken an sie auszahlen werden, wo der Vater beschäftigt war.“ Am 9. Dezember 1912 erfährt die Familie die volle Tragweite, auch wenn aus der Sicht eines Industriearbeiters oder Stubenmädchens ihre Situation immer noch eine goldene war: „Man hat ihnen (Bankdirektor P.) in verletzender Weise eine Jahresrente von 6000 Kr. zur Verfügung gestellt. ‚Die Mädeln sollen verdienen.‘ Steffi weint bittre Tränen.“ Am 5. Jänner 1913 fasst Schnitzler zusammen: „Nach dem Nachtmahl Steffi. Bilanzen des Vaters. Vor 10 Jahren hatten sie auch 4 Millionen, im Jahr darauf eine (heuer im Sommer ca. 6).“ Und am 13. 2. 1916 reflektiert Schnitzler die Ereignisse noch einmal: „Dass der alte Bachrach, ihr Vater, im Juni 6 Millionen hatte – und sich ein paar Monate später umbringen musste.“48 Die Tochter Steffi Bachrach arbeitete im Krieg als Krankenschwester. Am 15. Mai 1917 beging sie mit einer Überdosis Veronal und Morphium Selbstmord. Schnitzler schreibt: „Erschütterung – und doch nicht. Wir sahn es zu sehr voraus.“49

      An erster Stelle der Einkommensliste von 1910 steht Rothschild. An zweiter Stelle, wenn auch weit abgeschlagen, liegt – durchaus vergleichbar mit heute – mit Theodor Taussig bereits ein Bankmanager. Während die Privatbankiers eine führende Rolle im Wiener Geistes- und Kulturleben einnahmen, auch Zeit und Interesse für Wissenschaft und Kunst fanden, in ihren Palais große Gesellschaften geben konnten und über ihre Frauen eine berühmte Salonkultur pflegten, war die Welt der Manager zwar nicht viel weniger exklusiv, aber viel nüchterner. Die Bankdirektoren besetzten die Spitze der Einkommenshierarchie. Gefürchtet war ihre Macht. Ihr Arm war lang. In ihren Banken waren sie Gott. Sie herrschten als Autokraten. Der Führungsstil glich dem von Privatbankiers. Sie waren voller Pläne, die sie in der Regel im Alleingang durchzogen, ohne Vorstandskollegen zu informieren oder mit ihnen zu beraten. Nahezu die gesamte Wirtschaft war von ihnen abhängig. Sie waren nicht nur Bankleute. Sie saßen in unzähligen Verwaltungsräten der Industrie und regierten die größten Konzerne und Kartelle des Landes, Taussig in der Bodencredit oder Morawitz in der Anglobank. Auch das Kaiserhaus, der hohe Adel und die christlichsozialen, antisemitischen Politiker waren auf ihre Hilfe angewiesen. Das Lob der Bankiers steht in den Nachrufen und Festschriften. In der öffentlichen Meinung waren sie Feindbilder: jüdisch, unermesslich reich, menschenverachtend. Hinsichtlich des Einkommens machte es kaum einen Unterschied, ob es sich um Selbständige oder um Angestellte handelte, um Manager von Aktienbanken oder Privatbankiers. Von der Machtfülle, der Zahl der Mandate in Verwaltungsräten, auch der Bekanntheit in der Öffentlichkeit lagen die Direktoren der großen Wiener Aktienbanken an der Spitze. Für die Privatbankiers hingegen hatte Diskretion Vorrang.

      Von den 68 Aktienbanken der österreichischen Reichshälfte im Jahr 1911 hatten 21 ihren Sitz in Wien. Auf diese 21 Banken entfielen mehr als zwei Drittel des gesamten Bankaktienkapitals der österreichischen Reichshälfte. Wien zählte vor dem Ersten Weltkrieg acht große Aktienbanken, man würde heute sagen, systemrelevante Banken. Die weitaus größte davon, die 1855 nach dem Vorbild der Crédit Mobilier gegründete Credit-Anstalt, stand immer noch im Einflussbereich der Rothschilds. Die 1863 unter maßgeblicher Beteiligung der Crédit Foncier de France entstandene Boden-Credit-Anstalt galt als Bank des Kaiserhauses und des Hochadels und betrachtete sich als die vornehmste Bank der Stadt. Dazu kamen noch die ebenfalls 1863 gegründete Anglo-Bank, ferner die Union-Bank, die Verkehrsbank, die Niederösterreichische Escompte-Gesellschaft und der 1869 gegründete Bankverein, der in der Gründerzeit eine recht dubiose Rolle gespielt hatte, nach der Jahrhundertwende aber eine sehr erfolgreiche Entwicklung startete, und als letzte der großen Bankgründungen 1880 die Länderbank, die als christlich-konservative Gegengründung zu den jüdisch dominierten Banken intendiert war, aber nichtsdestotrotz fast ausschließlich von jüdischen Managern geleitet war. Dazu kam eine Reihe mittlerer Aktienbanken, von der Merkurbank bis zur Depositenbank, deren spektakulärste Zeit erst in der Hyperinflation unter ihrem Präsidenten Josef Kranz beginnen sollte. Im Schatten Wiens stand der Provinzbankensektor, der in sehr rascher Bewegung war, mit zahlreichen Neugründungen, aber mit ebenso vielen Krisenfällen. Unbedeutend hingegen waren der Sparkassen- und der Genossenschaftssektor, sowohl nach System Schulze-Delitzsch wie Raiffeisen. Die Mitwirkung als Sparkassenrat oder in Genossenschaften brachte über die damit vertretenen sozialen Anliegen vielleicht symbolische Reputation. Wirkliche Finanzmacht oder große Marktanteile waren damit noch nicht verbunden.

      Woher kamen die Bankmillionäre? Nicht alle aus begütertem Milieu. Einige schafften den Aufstieg von ganz unten. Nur vier waren nicht jüdisch. Der Geburtsadel war nur auf Ehrenposten zu finden, Montecuccoli als Präsident und Aushängeschild der Länderbank und Kasimir Freiherr von Pfaffenhofen, der die Repräsentationsfunktion eines Präsidenten der Anglobank innehatte. Anders als vor 1850 kam der typische Wiener Bankier nicht mehr aus dem Deutschen Reich, sondern, wenn er nicht ohnehin bereits in Wien geboren war, aus den Sudetenländern. Max Feilchenfeld war in seiner Verbindung von norddeutscher Präzision und Wiener Melange fast schon eine Ausnahme. Auslandserfahrung war nahezu Bedingung, mehrere Sprachen waren Pflicht. Obligatorisch war auch, wissenschaftlich oder publizistisch tätig zu sein, in der Neuen Freien Presse zu schreiben oder als Buchautor hervorzutreten.

      Völlig an der Realität vorbei gehen die Angaben und Schätzungen, die bislang über die Einkommen der Wiener Bankiers und Bankdirektoren der Jahrhundertwende angeführt wurden.50 Als Neurath 1906 von der Credit-Anstalt engagiert wurde, seien ihm 15.000 Kronen angeboten und Gesamteinkünfte von mindestens 45.000 Kronen garantiert worden. Auch Taussig, so heißt es, habe bis 1905 die 24.000 erreicht, dann 40.000 Kronen, Sieghart, sein Nachfolger, 50.000, Spitzmüller 56.000.51 Die Wahrheit sieht anders aus. Theodor Ritter von Taussig versteuerte 1910 mit über vier Millionen das zweithöchste Einkommen der Habsburgermonarchie, Morawitz 1,4 Millionen, Feilchenfeld mehr als 500.000 Kronen, Lohnstein mehr als 200.000, Mikosch 141.000 Kronen. Josef Redlich, immer gut informiert, rechnete, dass sein Intimfeind Sieghart 1911 als neu bestellter Gouverneur der Boden-Credit-Anstalt die fantastische Summe von 200.000 Kronen tangieren würde, und da dürfte er weit unter der Wahrheit geblieben sein.52 Morawitz hinterließ ein Vermögen von 30 Mio. Kronen. Auch Taussig, obwohl von recht armer Herkunft, brachte es mit 10 Mio. Kronen im Laufe seiner Karriere zu einem sehr bedeutenden Vermögen.

      Man muss bei den Einkommen der Bankmanager neben dem Grundgehalt in der Bank auf zwei weitere Einkommensquellen Bedacht nehmen, die Tantiemen aus den Verwaltungsratssitzen und die Erträge von Börsenspekulationen. Die meisten Direktoren spekulierten an der Börse.53 Die Grundgehälter lagen zwar unter der 100.000er-Schwelle. Aber den größten Teil des Einkommens machten die gewinnabhängigen Boni und die Einkünfte aus Verwaltungsratssitzen aus. Damit und mit spekulativen Börsegeschäften erreichten die Spitzenverdiener СКАЧАТЬ