Название: Traumzeit für Millionäre
Автор: Roman Sandgruber
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783990401842
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Der Präsident der Anglobank Karl Morawitz gehörte ebenfalls zu den prägendsten Persönlichkeiten des österreichischen Bankwesens: Als Kettenraucher (sein 1904 von Philipp de Lászlo gemaltes Porträt zeigt ihn mit Zigarette), Workaholic und scharfzüngiger Kritiker gefürchtet, hatte auch er eine bemerkenswerte internationale Karriere hinter sich, bevor er an die Spitze der Anglobank aufrückte. Nach der Handelsschule war er nach Dresden gegangen, dann weiter nach Paris, zur Banque Imperiale Ottomane, war Sekretär bei Maurice Hirsch, dem „Türkenhirsch“, und später dessen Direktor der Orientbahnen. 1885 übersiedelte er endgültig nach Wien, wurde 1893 Generalrat und 1906 Präsident der Anglobank. 1913 folgte die Nobilitierung. Er hatte Wohnsitze in Wien, London, Paris und Brüssel und unterhielt enge Beziehungen zu englischen und französischen Banken und zu den Mächtigen des Osmanischen Reichs.73
Wilhelm Kux war Präsident, Max Feilchenfeld Vizepräsident und Felix Stransky Direktor der Niederösterreichischen Escompte-Gesellschaft. Kux, dem Freundeskreis von Karl Wittgenstein zurechenbar, hat seinen Namen aufs Innigste mit dem Aufstieg des von ihm geleiteten Instituts von der gediegenen Mittelbank zur Großbank verknüpft. Noch stärker mit Wittgenstein verbunden war Feilchenfeld. Aus Frankfurt an der Oder gebürtig, war er zum typischen Österreicher geworden und zum Katholizismus übergetreten. Carl Fürstenberg stellte ihn in seinen Erinnerungen als das Musterbeispiel der Verschmelzung norddeutscher Schärfe und Gründlichkeit mit dem weicheren und phantasievolleren Wiener Temperament zu einer Melange ganz besonderer Art hin. „Er trug einen Spitzbart, war klein von Figur und wurde mit dem Alter noch etwas kleiner. Er und sein Busenfreund, der Hüne Kestranek, bildeten ein merkwürdiges Paar … Don Quichotte und Sancho Pansa konnten keine würdigere Verkörperung finden.“74 Seine zwischen 1906 und 1909 in St. Gilgen errichtete Villa Feilchenfeld, aus Haupthaus, Pförtnerhaus, Glashaus, Boots- und Badehaus, Gartenpavillon, Kegelbahn, Eiskelleranlage und Tennisplatz bestehend, beeindruckt noch heute als Hotel Billroth durch die riesigen Dimensionen. Die im nahen Brunnwinkel seit mehreren Jahrzehnten in schlichten Bauernhäusern urlaubenden, der Wissenschaft verbundenen Familien Exner und Frisch, der auch der Nobelpreisträger Karl von Frisch zugehörte, waren entsetzt über solch neureiches Protzertum. Auch Feilchenfeld galt wie alle diese Manager als rastlos tätig, bis zum abrupten Ende. Im Juni 1922 stürzte er als Siebzigjähriger auf dem Heimweg von der Bank in einen nicht ordnungsgemäß abgesicherten Schacht zu Tode.
Maximilian Krassny Edler von Krassien, Direktor der Niederösterreichischen Escomptegesellschaft, begann seine Karriere beim Bankhaus Finali & Co in Florenz, später in Paris bei Horace Landau, bis er zum stellvertretenden Generaldirektor der Escomptegesellschaft aufrückte. 1911 in den erblichen Adelsstand erhoben, war er einer der großen Gegenspieler des Hauses Rothschild. Von seinem Branchenkollegen Richard Kola wird er als „persönlich von ausgesuchter Eleganz und großer Liebenswürdigkeit“ beschrieben, „geschäftlich aber von rücksichtsloser Energie und jedem Kompromiss abhold … “75 Laut Compass 1911 hatte er insgesamt 23 Verwaltungsratsposten.
Die Länderbank, die als Exponent katholisch-konservativer Interessen galt und mit den Christlichsozialen eng vernetzt war, war 1898 von Bürgermeister Karl Lueger zur Hausbank der Gemeinde Wien gemacht geworden und finanzierte deren Kommunalprogramm. Nichtsdestotrotz hatte sie nahezu ausschließlich jüdische Direktoren: Der in Ungarisch Ostrau in ärmlichsten Verhältnissen geborene Samuel Hahn war um die Jahrhundertmitte in die Haupt- und Residenzstadt Wien gekommen, wo er zuerst in der Leopoldstadt wohnte und es mit Zähigkeit und Fleiß zum Oberinspektor der Südbahn brachte. Dort lernte er Paul-Eugène Bontoux kennen. Bei der Gründung der Länderbank machte ihn dieser zum Generaldirektor, ein Amt, das er siebzehn Jahre bis zu seiner Demissionierung im Jahre 1897 innehaben sollte.76 Hahn zog – dies verdeutlicht seinen sozialen Aufstieg – von der Leopoldstadt in die Innere Stadt, wo er zunächst in der Elisabethstraße, später in der Walfischgasse wohnte. Seine von Otto Wagner 1885 in Baden errichtete Villa beeindruckt bis heute durch ihre überbordende Monumentalität. Hahn, der 1881 gleich nach seiner Konversion in den Ritterstand erhoben worden war, galt in der Öffentlichkeit als rücksichtsloser Geldverdiener: Die Menschen hätten ihm nach Kolas Meinung nicht verziehen, dass er aus kleinen Anfängen heraus eine so hervorragende Position erlangt habe. „Hahn war sehr reich und hatte sein Vermögen in den mannigfaltigsten Papieren angelegt, hauptsächlich in englischen, französischen und amerikanischen … “77 Das brachte ihm auch noch 1910, mehr als ein Jahrzehnt nach seiner unfreiwilligen Pensionierung, ein Jahreseinkommen von mehr als einer halben Million. Kraus schrieb über ihn in Abwandlung eines auf den Stahlmanager Vilmos Kestranek gemünzten Bonmots: „Er war aus Stein und stahl.“78
Eduard Palmer, ab 1898 als Nachfolger Hahns Generaldirektor der Österreichischen Länderbank, war der Finanzratgeber des Kaisers und regelte auch dessen Finanzangelegenheiten mit Katharina Schratt. Die Fürstin Nora Fugger erzählt: „Bei Frau Schratt lernte ich auch den Generaldirektor der Länderbank Eduard Palmer kennen, einen selten lieben, alten Herrn. Er war der beste Freund und bewährte Ratgeber der Frau Schratt. Auch der Kaiser schätzte ihn sehr und empfing ihn oft in Ischl und in Schönbrunn in Privataudienz … “79 Er war wohl mehr lieb als tüchtig. Sein Standardsatz, Kola zufolge: „Hm, hm, die Situation ist nicht so einfach … “80 1907 musste er wegen großer Verluste in England als Generaldirektor zurücktreten. Sein Abschied wurde ihm mehr als versüßt. Die Ernennung zum zweiten Vizepräsidenten (neben Otto Seybel), die Beibehaltung aller Verwaltungsratsstellen (mit einer Garantie auf jährliche Tantiemen von zumindest einer Viertelmillion Kronen) und eine Palmer vorbehaltene Präsidentenstelle in der Trifailer Kohlenwerks-Gesellschaft erleichterten ihm die Demission. Kola zufolge erhielt Palmer bei seiner Demission als Länderbank-Generaldirektor aus verschiedenen Positionen ein jährliches Mindesteinkommen von einer Viertelmillion Kronen zugesichert.81 Damit lag er nicht falsch: 1910 versteuerte er 169.826 Kronen. Palmer gab öfters kleine, elegante Feste in seiner schönen, am Ring gelegenen Wohnung. Er besaß besonders schöne, sehr wertvolle Bilder und überhaupt viele Kunstschätze.
Als Generaldirektor folgte ihm von 1908 bis 1916 Ludwig Lohnstein. Er galt als ein enger Freund Karl Luegers und war dessen Finanzberater in Gemeindeangelegenheiten. Lohnstein lobte Lueger trotz dessen antisemitischer Ausfälle als „einen immer außerordentlich wohlmeinenden Freund und Beschützer, der, solange er lebe, in warmem, dankbarem Gedächtnis bleiben werde.82 Lohnstein war 1908 in fünfzehn Industrieaktiengesellschaften vertreten, in fünf als Präsident. Er galt als einer der großen big linker der Vorkriegszeit.
Auch Bernhard Popper, der Direktor des Wiener Bankvereines und 1915 als „von Artberg“ geadelt, entsprach dem Typus des Multifunktionärs. In seiner Machtfülle, was leitende Positionen betraf, war Popper mit 21 Verwaltungsratssitzen unerreicht: In neun Industrieaktiengesellschaften stand er an der Spitze des Verwaltungsrats, in fünf Papierindustrieunternehmen, in sechs Berg- und Hüttenwerken.83 Später wechselte er vom Direktor zum Präsidenten des Bankvereins, zuletzt zu dessen Ehrenpräsidenten. Durch viele Jahrzehnte war er auch Präsident der Wiener Börsekammer.
Karl Stögermayer, einer der ganz wenigen Nichtjuden unter den Spitzenbankern, verzeichnete eine spektakuläre Karriere beim Bankverein. Als Sohn eines Gerichtsaktuars in Enns geboren, war er nach der Realschule als 17-Jähriger in die Boden-Credit-Anstalt eingetreten und 1875 als Disponent und Prokurist in den Wiener Bankverein gewechselt. Nach Jahren als Direktorstellvertreter und Direktor des Bankvereins, dann Vizepräsident, beendete er seine Karriere 1924 bis 1929 als Präsident und dann noch ein Jahr bis zu seinem Tod als Ehrenpräsident. Sein Aufstieg war mit dem des Bankvereins eng verbunden, war doch der Bankverein eine der ganz wenigen Wiener Banken, die die Bankenkrise der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts einigermaßen unbehelligt überstehen sollten. Stögermayer gehörte auch dem Verwaltungsrat zahlreicher Konzernunternehmungen dieses Instituts an. Er war Präsident des Wiener Frauenvereins Settlement, der sich um Straßenkinder und alleinstehende Mütter kümmerte, und er war Vorstandsmitglied der Wiener Geographischen Gesellschaft.84
Auch nüchterne Bankdirektoren konnten sich literarisch ambitioniert geben. Adolf Dessauer, der stellvertretende Präsident des Verwaltungsrats der Depositenbank, СКАЧАТЬ