Traumzeit für Millionäre. Roman Sandgruber
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Название: Traumzeit für Millionäre

Автор: Roman Sandgruber

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783990401842

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СКАЧАТЬ in seinen Sechzigern heiratete, war ein phänomenaler Reiter, Jäger und Polospieler und interessierte sich für Anatomie, Botanik und Kunst. Während die englischen Rothschilds nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr außergewöhnlich reich waren, blieb Louis Rothschild, der letzte Chef der österreichischen Linie, auch nach 1918 der weitaus reichste Österreicher.29 Aber auch sein Vermögen war schon stark geschmolzen und bewegte sich nach dem Zusammenbruch der Credit-Anstalt im Jahr 1931 in steilem Fall. Die Nationalsozialisten raubten den immer noch riesigen Rest. Die Rückstellungen nach 1945 wickelte er in der Art eines Grandseigneurs ab, zugunsten seiner ehemaligen Beschäftigten und zugunsten des österreichischen Staates. Für einen Rothschild im sowjetisch besetzten Teil Österreichs standen die Perspektiven nicht gut. Von Witkowitz, dem größten Stahlwerk der Tschechoslowakei, erhielt er immerhin eine Ablöse von einer Million Dollar. Als Louis am 15. Jänner 1955 in Montego Bay auf Jamaika ertrank, war sein Tod den Zeitungen keine großen Nachrufe mehr wert. Mit dem Tod von Eugène Rothschild im Jahr 1976 waren die österreichischen Rothschilds in männlicher Linie endgültig ausgestorben.

       Die Branchenstruktur der Millionäre

       Anmerkung: Die Zuordnungen sind wegen der Mischerwerbe der meisten Einkommensbezieher unscharf. Zur Frage und Definition des jüdischen Anteils vgl. den entsprechenden Abschnitt.

      Von den 929 Wiener „Millionären“ des Jahres 1910 bezeichneten sich 82 als Bankiers oder Bankinhaber. Nicht alle, die man aus heutiger Sicht dem Bankgeschäft zuordnen würde, sahen sich in ihrem damaligen Selbstverständnis als solche: Die Schoeller bezeichneten sich als „Großindustrielle“, die Miller-Aichholz und die Gutmann als „Händler“. Die Ephrussi hingegen, die im Großhandel ihr Vermögen gemacht hatten, verstanden sich 1910 bereits als „Bankgeschäftsinhaber“. Manche Bankiers und Kreditvermittler nannten sich bloß „Büroinhaber“ oder „Hypothekenvermittler“. Das Wiener Adressbuch, der Lehmann, unterschied bei den Bankiers zwischen Bankhäusern, Geldwechslern und Kommissionshändlern mit Börseeffekten.

      Bei den Bankhäusern gab es Aktienbanken und Privatbankiers. Während die Aktienbanken als publikationspflichtige Institute gut dokumentiert sind, ist von den Privatbankiers oft nicht viel mehr als eine Adresse bekannt. Man meint fast, 1910 sei ihre Zeit bereits vorbei gewesen. In Wahrheit war es ihre letzte große Blüte. In Wien zählte das Bankiersbuch um 1910 etwa 230 Banken und Bankiers, davon 21 Aktienbanken und 192 Privatbankiers.30 Die Wirtschaftsgeschichte hat bislang ihr Augenmerk viel zu sehr auf die Aktienbanken gelegt, deren Jahresergebnisse und Beteiligungen in den Zeitungen viele Seiten füllten, während die Privatbankiers im Hintergrund diskret ihr Geld verdienten und verwalteten.

      Was die Einkommen betrifft, sind die Privatbankiers den Spitzenmanagern der Aktienbanken mehr als ebenbürtig. Rothschild nahm sowieso eine Ausnahmestellung ein. Das Bankhaus S. M. v. Rothschild war auch Hauptaktionär der größten österreichischen Aktienbank, der „Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe“. Für zahlreiche Privatbankiers war solch eine Doppelstellung charakteristisch. Diese großen Privatbankiers kamen auf extrem hohe Einkünfte: die Reitzes, die Gomperz, die Lieben, die Thorsch.

      Richard v. Lieben, der 1910 ein Einkommen von 644.975 Kronen versteuerte, war zwar Vizepräsident der Credit-Anstalt. Sein Hauptinteresse aber galt der Bildung und Wissenschaft. Der ausgebildete Mathematiker war Präsident der Wiener Handelsakademie und betrieb nationalökonomische Forschungen. Zusammen mit seinem Cousin, Schwager und Compagnon Rudolf Auspitz hatte er ein Werk zur Preistheorie verfasst, das mit seiner mathematischen Ausrichtung dem Stand der damaligen volkswirtschaftlichen Theorie weit vorausgeeilt war. Gemeinsam mit seinem Bruder Leopold hatte er 1862 das Bankhaus „Lieben & Co.“ gegründet, das sich bis zum Börsenkrach von 1873 sehr erfolgreich an großen Bank- und Finanzgeschäften beteiligt hatte, aber rechtzeitig auf Vermögensverwaltung und Geldanlage in Industrieunternehmen umgestiegen war. Leopold, der lange Zeit Präsident der Wiener Börsenkammer war, war mit Anna Todesco verheiratet, deren Mutter Sophie den berühmten Salon im Palais Todesco führte. Die Lieben, die sich im Lieben-Haus, in Sichtweite der Neuen Universität, die einzelnen Stockwerke teilten, ganz oben im Dachgeschoß der berühmte Chemiker Adolf Lieben und seine Gattin Mathilde, geborene Schey von Koromla, prägten durch ihre Salons und Gesprächsrunden die geistige Kultur der ganzen Epoche.31

      Auch Viktor Ephrussi in seinem fast benachbarten Palais interessierte sich mehr für Wissenschaft und Kunst als für Geld und Geschäft. Er war nicht für die Arbeit geschaffen. Er las die Zeitung, ging ins Kaffeehaus und in den Club, beschäftigte sich mit seinen Inkunabeln und widmete sich dem Nichtstun, schreibt Edmund de Waal in seinem einfühlsamen Ephrussi-Roman über seinen Urgroßvater.32

      Die aus Odessa stammenden Ephrussi waren nach dem Krimkrieg nach Wien und Paris übersiedelt. Innerhalb weniger Jahre hatten sie einen sagenhaften Reichtum erwirtschaftet. Die sogenannte „Wunderernte“ des Jahres 1867, als das Getreide in der Ukraine hervorragend und in Westeuropa sehr schlecht gediehen war, muss ihnen ganz fantastische Gewinne gebracht haben. Ignaz Ephrussi heiratete in die Familie Porges, wurde 1871 zum Ritter ernannt, ließ sich im selben Jahr von Theophil Hansen ein riesiges Palais an der Ringstraße erbauen und verheiratete seinen Sohn Viktor mit einer Freifrau von Schey-Koromla. Nachdem Ignaz 1899 gestorben war und sein älterer Bruder sich mit dem Vater zerkracht hatte, übernahm Viktor eher widerwillig das Unternehmen. Seit 1900 betrieb die Firma ausschließlich Bankgeschäfte. Viktor Ephrussi selbst soll 1921 bekannt haben, er werde „finanziell allgemein überschätzt“. Auch de Waal überschätzt ihn. Er war keineswegs mehr der zweitreichste Bankier der Stadt, sondern rangierte 1910 an 258. Stelle der Einkommensskala. Vor dem Kriegsausbruch hatte Viktor zwar ein erhebliches Vermögen in Effekten besessen, dazu das Palais, etliche weitere Häuser und nicht zuletzt eine großen Kunstsammlung mit über hundert alten Bildern. Aber er sammelte anders als seine französischen Verwandten keine Moderne. Im Krieg und durch die Hyperinflation war vieles verloren gegangen: Er habe, so behauptete Viktor Ephrussi 1921, nicht wie viele andere sein Vermögen rechtzeitig in fremde Valuta transferiert. Vor dem Krieg habe er zwar ein Vermögen von zehn bis zwölf Millionen Kronen und ein Einkommen von mehreren Hunderttausend Kronen gehabt, doch dieses Vermögen habe sich reduziert. Es bestand, so gab er 1921 an, aus zwei großen und unbelasteten – allerdings nicht mehr gewinnbringenden – Mietshäusern, aus Effekten im Wert von 50.000 britischen Pfund und Forderungen im Wert von weiteren 40.000 britischen Pfund.33

      Auch der Ruhm der Gomperz liegt in der Kultur: Ein Großteil des Einkommens von Max Gomperz kam wohl aus dem Vermögen und nicht aus der laufenden Geschäftstätigkeit in der Bank und den Funktionen in der Leitung der Credit-Anstalt. 1913 schrieb die Neue Freie Presse, früher habe das Bankhaus Gomperz auch an großen Bankgeschäften teilgenommen, seit geraumer Zeit widme es sich aber vorwiegend der Vermögensverwaltung. Anfang 1922 löste Philipp Gomperz das Bankgeschäft ganz auf.34

      Reitzes war ein Reizwort für Antisemiten: Das Bankhaus Sigmund & Max Reitzes war 1870 ins Wiener Handelsregister eingetragen worden. Sigmund Reitzes, in Lemberg geboren, hatte sich als geschäftsführender Gesellschafter zunächst mit Kommissionsgeschäften durchgeschlagen. In der Wirtschaftskrise von 1873 hatte er mit Baissespekulationen sein Vermögen verdient. Er erwarb große Beteiligungen an zahlreichen Eisenbahngesellschaften und vor allem an der Wiener Pferde-Tramway. Als Hauptaktionär soll er nicht nur lange deren Elektrifizierung verhindert haben, sondern wurde auch von Kritikern – sowohl von Victor Adler, dem Begründer der Sozialdemokratie, wie auch von Karl von Vogelsang, dem Wegbegleiter der Christlichsozialen – für die schlechten Arbeitsbedingungen in dem Unternehmen verantwortlich gemacht, die zu dem großen Streik der Wiener Tramwaykutscher von 1889 führten. Sigmund Reitzes hinterließ bei seinem Tod im Jahre 1906 ein Vermögen von 33,6 Mio. Kronen und zahlreiche in- und ausländische Beteiligungen. СКАЧАТЬ