Krawattennazis. Peter Langer
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Название: Krawattennazis

Автор: Peter Langer

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783942672870

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СКАЧАТЬ eine Cordhose und einen für die Innentemperaturen deutlich zu warmen irischen Aranpullover aus dicker Wolle. Seine Stellvertreterin aus Heringhausen griff gerne zu Batikhalstüchern. Bei den Besuchern registrierte Kleine als ersten Hermann Gröner, den Besitzer des großen Hotels am Diemelsee, eine unübersehbare Erscheinung, ein Mann, der in jedem Film aus den fünfziger Jahren die Rolle des Unternehmers hätte geben können. Nur ohne die damals obligatorische Zigarre. Vor einigen Jahren war er bundesweit in die Schlagzeilen gekommen, weil er den Bau der Drahtseilbrücke quer über den Diemelsee vom Muffertfelsen in luftiger Höhe bis auf das andere Ufer unterstützt hatte. Politisch und mit Geld. Der Diemelsee müsse attraktiver werden, es müssten mehr Gäste in die Region kommen. ‚Action‘ sei die Freizeitdroge schlechthin, die Leute wollten den Kick und so weiter und so weiter, wie Kleine sich noch gut erinnerte. Viele hatten ihm zugehört. Nur wenige mahnende Stimmen gab es, dass es bereits schon andere hehre Großprojekte gab, die in Bausch und Bogen gescheitert waren. Etwa in den achtziger Jahren, als in Rhenegge, einem Ort zwischen Adorf und Heringhausen am Diemelsee, eine Klinik geplant und gebaut wurde. Die Sonnenklinik, so der Name, hatte nie viele Gäste beherbergt. Die Investoren hatten damals einfach zu viel Schwarzwaldklinik im Fernsehen gesehen und gedacht, das Prinzip funktioniere ohne Reibungsverluste auch in ihrer Region. Die Ruinen standen heute noch und wurden gerne von Paintball-Ballernden als Kulisse genutzt – nach einer kurzen und wenig rühmlichen Rolle als Flüchtlingsunterkunft. Den Mahnern schenkte man bei solchen Prunkprojekten kaum Beachtung.

      Trotz vieler Bedenken wurde das Projekt der Drahtseilbrücke weiterverfolgt – mit Gröners Geld und dem der Gemeinde – und hatte das schönste Postkartenmotiv des Diemelsees, den hohen St. Muffert, eine Felsklippe auf dem Eisenberg über dem See, für immer zerstört. Kleine musste lächeln, als er an eine wenig durchdachte und trotzdem liebenswerte „Rettungsaktion“ Grimmelmanns dachte, die ebenfalls auf ihre Weise Schlagzeilen gemacht hatte. Der Naturfreund hatte nämlich im schattenverwöhnten Uferbereich und auf den Wiesen über dem Ufer des Sees, die für einen Busparkplatz vorgesehen waren, Lurche ausgesetzt, um dem Plan ein Ende zu setzen. Eine seltene Schwanzlurchart. Zumindest glaubte später jeder am Diemelsee zu wissen, dass der verschrobene Grüne und seine Parteifreunde dahintersteckten, ganz raus kam das nie. Prompt wurden die Tiere auch von Wanderern und Anglern gesichtet, schließlich ein Exemplar gefangen. Der Aufschrei war groß. Lurche! Leute, wir dürfen den Lebensraum dieser armen, wehrlosen Tiere nicht zerstören! Wochenlang war der Lurch das Thema in den lokalen Ausgaben der Tageszeitungen. Dann machte er in der Bundespresse Karriere und hatte schon eine eigene Facebook-Seite und einen Twitteraccount, bis Biologen dem ganzen Spaß ein Ende setzten und nachwiesen, dass diese Art Lurch – Kleine erinnerte sich nicht mehr an die genaue biologische Bezeichnung – nicht in der Region lebte, niemals gelebt hatte und auch niemals leben würde. Schilda ließ grüßen.

      Die Brücke war schließlich gebaut worden. Nachdem der Busparkplatz für einen Sommer gut gefüllt war und Tagesgäste etwas Geld in die Kassen gespült hatten, suchte sich die Gemeinde der Nervenkitzelfans schnell andere Thrills. Seit gut zwei Jahren hing das Ding nun da herum und kostete Unsummen an Geld. Jeder am See kannte das gespenstische Heulen, wenn an trüben Herbstabenden der Wind durch die Spanndrähte pfiff. Weder die Gemeinde noch der Unternehmer hatten bedacht, dass Tagesausflügler, die in ihrer Freizeit auf Nervenkitzel stehen, diesen, einmal gehabt, schnell an anderer Stelle suchen würden und immer noch eine Steigerung mehr benötigten. Der letzte Schrei war in diesem Sommer eine Messerwurfanlage in Thüringen. Kleine schüttelte innerlich den Kopf.

      Der Bürgermeister saß direkt an der Stirnseite des Raumes. Er trug einen dunklen, dreiteiligen Anzug und eine Krawatte. Wie der Journalist blätterte auch er noch in verschiedenen Unterlagen und schien sich, hoch konzentriert, von dem Stimmengemurmel im Saal nicht ablenken zu lassen. Neben ihm stand eine auf Hochglanz polierte Sitzungsglocke. Andreas Figge, ein Parteiloser, war seit fast zehn Jahren im Amt und konnte auf eine gediegene Arbeit verweisen. Und das will hier in der Region etwas heißen, dachte Kleine immer wieder. Skandale wie in Großstädten gab es in diesen ländlichen Regionen eher seltener. Die Finanzen waren solide, es wurde nichts veruntreut und nichts korrumpiert. Dafür standen Versorgungsthemen verschiedenster Art regelmäßig auf der Tagesordnung. Wie ist es zu schaffen, genügend Ärzte für eine medizinische Grundversorgung der immer älteren Bewohner in der Gegend zu halten? Was ist mit Geschäften für die Nahversorgung mit Lebensmitteln? Was ist mit der Versorgung in puncto Bildung? Welche Schulform ist die bestmögliche in einem Landstrich, in dem nahezu jedes Kind mehr als eine Viertelstunde mit dem Bus zur Schule und wieder zurückfahren musste? Was geschieht mit den jungen Leuten, die in Korbach auf dem Gymnasium ihr Abitur machen? Wie können Jobs geschaffen werden, die eine Rückkehr in die Region nach dem Studium attraktiv machen? Wie können überhaupt Jobs geschaffen oder bewahrt werden in einer Region, die in früheren Jahren zu beinahe einhundert Prozent von der Landwirtschaft und dem Erzbergbau abhängig war – beides Wirtschaftszweige, die es nun gar nicht mehr oder zumindest nicht mehr in der Form gab, in der sie früher einmal prosperiert und gleich mehrere Generationen auf einem Hof gut ernährt hatten. Die jähe Insolvenz eines Fleisch- und Wurstzulieferers mit über 200 Beschäftigten im benachbarten Twistetal – der Betrieb war über Nacht nach einem Lebensmittelskandal geschlossen worden – hatte auch in der Gemeinde für einen sprunghaften Anstieg an Arbeitsuchenden gesorgt und das ganze Können Figges gefordert. Kleine schaute auf sein Tischchen. Er war jedes Mal aufs Neue betroffen, wenn er darüber nachdachte, was sich hier in Nordhessen in den vergangenen drei Jahrzehnten alles unwiederbringlich gewandelt hatte. Mit einigem Entsetzen hatte er vor einigen Jahren bemerkt, dass es kaum noch Ferien auf dem Bauernhof zu buchen gab. Mit Grimmelmann, der nicht nur Experte für Amphibien war, sondern mit seiner Frau auch eine Ferienwohnung auf seinem Hof vermietete, hatte er darüber ein langes Gespräch geführt. „Tja“, hatte der gesagt. „Die Ansprüche sind einfach zu hoch. Da muss dann schon eine Kälbchengeburt und mindestens ein Maislabyrinth dabei sein, damit die Kids was zu posten haben. Keine Instagramfähigkeit, kein cooler Urlaub.“ Sie hatten lange geschwiegen.

      Bei solchen Gesprächen mit den Einheimischen merkte Kleine jedes Mal, wo seine eigenen Wurzeln lagen. Denn eigentlich war er einer von hier, seine Jahrzehnte in Düsseldorf bildeten nur eine Zwischenstation in seinem Leben. Als Sohn eines in den fünfziger Jahren an den Niederrhein gekommenen Handwerkers hatte er früh erkannt, dass Lesen und noch mehr Lesen das war, womit er sein Brot verdienen wollte. „Dann musst du Journalist werden“, hatte seine Mutter gesagt. Kleine hatte im Alter von sechs Jahren nicht die geringste Idee, was das war, ein Journalist, aber das Wort alleine klang schon mal irgendwie gut. Zumindest besser, als Feuerwehrmann und Lokführer, die beiden anderen Wunschberufsgruppen, die bei Fragestunden im Kindergarten und in der Grundschule regelmäßig am häufigsten genannt wurden. Und er hatte damals auch stets die Anfangsmelodie einer Politiksendung im Fernsehen im Kopf, die sein Vater stets mit großem Ernst am frühen Sonntagabend zu gucken pflegte. Zu einer Zeit, in der er selbst ins Bett musste. „Das ist Politik, das ist noch nichts für dich“, hatte sein Vater immer gesagt, während auf der Mattscheibe bereits Pauken, Bassposaunen und eine langsam von links oben ins Bild rotierende Weltkugel mit Verheißungen der großen Nachrichtenwelt lockten. Nun, später hatte er diese Verheißungen als Fluch kennengelernt. Gründlich. Vielleicht mehr, als ihm lieb war. Der Spruch seines Vaters, „Politik, das ist nichts für dich“ schien inzwischen auf den Großteil der Deutschen zuzutreffen.

      Das helle Läuten der Glocke riss ihn aus seinen Gedanken. Es war 18 Uhr. Der Bürgermeister hatte sein Aktenstudium beendet. Das Gemurmel im Raum ebbte mit einem Mal ab. Als hätte jemand auf die Beschleunigungstaste eines Videogeräts gedrückt, kam Bewegung in die Gesprächsgruppen, die Ratsleute und Gäste strebten ihren Plätzen zu. Andreas Figge blickte über den Rand seiner Hornbrille in die Runde, schaltete das Tischmikrofon ein und prüfte mit einem kurzen Antippen die Funktion. „Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Bürgerinnen und Bürger“, erklang seine Stimme blechern aus den aufgestellten Boxen wie bei einer Sportübertragung vergangener Zeiten. Er atmete durch und machte eine kurze Pause, als wolle er sich ins Gedächtnis rufen, was er nun sagen wollte. Ein kurzer Blick zum Oppositionsführer, dann zum Pressesprecher der Gemeinde. Beide Männer nickten dezent und zeigten dem Bürgermeister – und auch dem aufmerksamen Beobachter – auf diese Weise ihre Einverständniserklärung mit dem, СКАЧАТЬ