Krawattennazis. Peter Langer
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Название: Krawattennazis

Автор: Peter Langer

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783942672870

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СКАЧАТЬ zugetragen hat. Carl Lieberknecht, ein hier am Diemelsee stets sehr gerne gesehener und von uns allen geschätzter Gast, ein Mann, der Großes mit dieser Gemeinde vorhatte …“ Es schien, als würde sich die Stimme von Figge vorsichtig vortasten wie ein Soldat auf vermintem Terrain. Kleine bemerkte, dass Grimmelmann unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutschte. Der Hotelier dagegen hob in stiller Erwartung das Kinn. Kleine war sich sicher, dass Gröner informiert worden war über das, was nun folgte. „… ist durch eine abscheuliche, unfassbare Tat von uns gegangen. Ich möchte Sie aus Gründen des Respekts gegenüber dem Verstorbenen und als Form der Anteilnahme gegenüber der Familie bitten, sich für eine Schweigeminute von Ihren Plätzen zu erheben.“

      Das Geräusch von rückenden Stühlen, Stimmrauschen und Raunen ging durch die Reihen, als sich der Gemeinderat und die weiteren Anwesenden in der Halle von ihren Plätzen erhoben. Alle, bis auf die Mitglieder der Fraktion der Grünen. Grimmelmann und seine vier Fraktionsmitglieder blieben wie festgeklebt sitzen. Der Fraktionschef faltete trotzig die Arme über der Brust zusammen und drehte sich noch mal kurz zu seinen Fraktionskollegen um. Bürgermeister Andreas Figge schien es zunächst gar nicht zu bemerken, als Ruhe bei den Besuchern und den Lokalpolitikern einkehrte, doch dann sah er, was dort vor sich ging. Seine Stimme nahm einen kühlen tadelnden Ton an, als er das Mikro zur Seite drehte und sprach. „Herr Grimmelmann, wir wollen angesichts der Ereignisse unsere möglichen Differenzen ad acta legen. Hier geht es nur darum, einem Verstorbenen die Referenz zu erweisen. Ich bitte und fordere Sie auf, dies ebenfalls zu tun.“

      Tatsächlich stand Grimmelmann auf. Der Rest seiner Fraktion jedoch nicht, und Kleine und allen anderen im Raum war auch sofort klar, dass er den Worten des Bürgermeisters nicht folgen würde. Er stand nur auf, damit er besser zu verstehen war. „Sehr geehrter Herr Bürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Gäste.“ Kleine blickte kurz zu Emde hinüber, der erwiderte den Blick: Grimmelmann hatte sich seine Worte vorher zurechtgelegt. Dies war keine spontane Aktion. „Nichts würde uns fernerliegen, als diese Zusammenkunft zu provozieren. Doch ich halte eindeutig fest, dass der hier zu ehrende Verstorbene, der gewiss unter tragischen Umständen ums Leben kam, in unseren Augen ein rücksichtsloser Profiteur war, dessen einziges Anliegen es hier in unserer Gemeinde war, sich die eigenen Taschen zu füllen. Ohne Rücksicht auf die Natur, ohne Rücksicht auf weitere Nachteile für die Gemeinde.“ Ein erstes Raunen setzte ein, bei den Besuchern rief ein Mann laut „Buuh!“ Grimmelmanns Stimme stieg vor Empörung in die Höhe. „Man ehrt mit einer Schweigeminute Verstorbene, die sich im Leben durch ihr Tun Ansehen, Respekt und Ehre erworben haben. Carl Lieberknecht gehört nach unserer Auffassung nicht dazu. Ich danke Ihnen.“ Grimmelmann nahm wieder Platz, das Stimmgemurmel unter den Zuhörern wurde lauter. An anderer Stelle im Raum war ein einsames Klatschen zu hören. Kleine sah nicht, wo. Er registrierte bei seinen Journalistenkollegen emsig über Papier kritzelnde Kugelschreiber. Die Schlagzeile war im Kasten und sicher war es für die lokalen Ausgaben auch noch nicht zu spät, das mitzunehmen. Gröners Gesicht war eine düstere Landschaft wie aus Gestein geworden. Er bekam sichtbar nicht verarbeitet, was er gerade gesehen und gehört hatte. Gut gemacht, Grimmelmann. Wieder mal ein Zitat für die Ewigkeit. Die Titelstory geht an dich. Die Unruhe, die nach den Worten Grimmelmanns im Saal aufgekommen war, ebbte nur langsam ab. Bürgermeister Figge, der zunächst wie viele um Luft und Fassung gerungen hatte, musste mit der Tischglocke nachhelfen. „Ich rufe Sie alle zur Ruhe auf. Bitte, stellen Sie das Reden ein, Ruhe bitte!“ Noch ein energisches Klingeln der Glocke, schließlich war es still im Saal. Alle schauten auf den Bürgermeister, als wäre nur er in der Lage, eine angemessene Reaktion zu liefern. So war es dann auch. „Herr Grimmelmann …“ Figge suchte nach Worten. Er war offenbar unvorbereitet. Dabei hätte man eigentlich damit rechnen können. Die Rivalität zwischen den Grünen und dem Unternehmer war ja nicht erst seit gestern bekannt, dachte Kleine. „Herr Grimmelmann, Ihre persönliche Fehde mit Herrn Lieberknecht bleibt Ihre private Angelegenheit. Ich schließe Sie und Ihre Fraktion nicht von der Sitzung aus. Ich werde jedoch über eine geeignete Form der Rüge nachdenken, spreche einen Tadel aus und fahre nun mit der Tagesordnung fort.“ Spreche einen Tadel aus, Kleine musste schmunzeln. Wie in einer Schulklasse. Lokalpolitik blieb ein spannendes Spielfeld voller Überraschungen. Fast war es, als würde ein kollektives Aufatmen der Erleichterung durch den Rat und auch alle Zuhörerinnen und Zuhörer gehen. Keiner im Saal war erkennbar auf Krawall aus. Keiner. Bis auf … Kleine rückte sich seine Lesebrille zurecht, um über die Gläser hinwegzuschauen, als sein Blick durch die Reihen glitt. Scheinbar bis auf einen gertenschlanken, sportlichen Mann Mitte 40, der ihm vorher gar nicht aufgefallen war, was möglichweise an dem absolut unauffälligen Dutzendgesicht lag. Kurzhaarfrisur über einer hohen Stirn. Eine modische Blockstreifenkrawatte und ein weißes Hemd mit Kentkragen zum dunklen Anzug wiesen ihn allerdings als einen Nichteinheimischen aus. So etwas trug hier im Alltag kaum einer. Nur zu festlichen Anlässen. Fast war es Kleine, als würde er ein diebisches Grinsen der Zufriedenheit auf dem Gesicht dieses Mannes ablesen können, das dessen eigentlich sympathischen Gesichtszügen etwas Diabolisches, fast schon Bösartiges gab. Ein Streitsucher, wie er im Buche stand. Einer, der vielleicht eine Rechnung mit Grimmelmann oder Lieberknecht offen hatte und sich nun darüber freute, dass der eine Dank seiner hochkochenden Emotionen und seinem Mangel an Diplomatie und Empathie ein weiteres Mal nach dem ‚Lurchgate‘ nun in eine Situation hineingeraten war, für die er sich möglicherweise noch würde rechtfertigen müssen – und der andere in der Gerichtsmedizin in einer Edelstahlwanne lag. Wer bist du? Kleine kam es so vor, als hätte er dieses Gesicht schon mal gesehen. Doch er wusste nicht, wo. Vor einigen Monaten oder Jahren? Kein Gesicht, das einem beim Einkaufen im Supermarkt in Adorf, beim Bummel durch die Professor-Bier-Straße in Korbach oder beim Wandern begegnete und dann im Gedächtnis haften blieb. Eher so eines, das man auf Fotos irgendwelcher Ehrungen in der Zeitung sah. Mit Prominenten, ein Sektglas haltend, das Foto meist mit der Unterzeile ‚von links nach rechts‘ versehen, aber dann irgendwie nie an erster Stelle genannt. Ein Mann der stillen zweiten Reihe, in der effektiv gearbeitet anstatt geglänzt und geprotzt wurde. Der Mann hatte eine frappierende Ähnlichkeit mit dem ehemaligen Landesvorsitzenden einer nicht ganz demokratisch gesinnten Partei. Oder …? Plötzlich glaubte Kleine die Antwort zu ahnen. Er schickte einen stillen, ganz und gar undiplomatischen Fluch gen Himmel, dass es vor einigen Jahren verboten worden war, aus Rats- oder Ausschusssitzungen heraus Smartphones zu benutzen. So sollte und wurde auch erfolgreich die ständige Twitterei und Versendung sonstiger Kurznachrichten – und damit auch die produktive Unterhaltung der Gerüchteküche – erfolgreich eingedämmt. Zwar konnte der Journalist nicht überprüfen, ob er mit seiner Vermutung richtig lag. Doch wenn er sich nicht irrte, musste es sich bei dem Unbekannten um Thomas Bergmann handeln. Der Anwalt und lokale Ortsfürst einer kleinen und leider noch nicht verbotenen politischen Gruppierung – Partei wollte Kleine sie nicht nennen und auch die Presse mied das Wort in diesem Zusammenhang – namens Nationale Einheit. Hervorgegangen war die NE oder schlicht Einheit, wie deren Mitglieder sich selbst nannten, aus der Alternative für Deutschland, der AfD, als diese sich nach einer aus ihrer kruden Sichtweise erfolgreichen Saison im Bundestag aufgespalten hatte. Kleine erinnerte sich noch gut. Einige gefährlich kluge Köpfe der AfD hatten damals die Seiten gewechselt. Keine Schreihälse und tumben Raufbolde, sondern ausnahmslos Akademiker, Hochschulabsolventen mit Doktortiteln in Rechts- und Politikwissenschaften aus bestem Hause. Und daher umso gefährlicher. Denn das Licht der Öffentlichkeit suchte diese Bande nicht, sondern knüpfte Verbindungen im Stillen, schuf Synergien und wartete auf den richtigen Augenblick – ohne auf die Drohgebärden und Einschüchterungen von Schlägertrupps mit Glatzen zu setzen. Außerdem machte sie in dieser Zeit durch messerscharfe Leserbriefe hart am rechten Rand der Legalität, durch Petitionen auf allen erdenklichen durch die Verfassung gedeckelten Wegen und durch gezielte kurze Zwischenrufe bei öffentlichen Veranstaltungen von sich reden. Niemals laut. Niemals plump. Aber immer in bösartiger Weise wachsam und lauernd. Stets die Wählerschicht im Auge, die sich niemals als antisemitisch oder rassistisch bezeichnen würden, deren politische Diskussionen aber oft von Sätzen wie „eigentlich haben die doch Recht“ geprägt waren. Sie waren richtige Krawattenazis, stets modisch akkurat und immer dem Anlass angemessen gekleidet. Stets korrekt und niemals grob unhöflich. Und wahrscheinlich, so vermutete Kleine, in Schliff und Manieren der damaligen SS so nahe, wie es mitunter sicherlich nur Historiker am ehesten nachvollziehen konnten. Diese Spezies wusste, was sie tat. Bis zum Endsieg ihrer СКАЧАТЬ