Mein großes Geheimnis. Buzz Bissinger
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Название: Mein großes Geheimnis

Автор: Buzz Bissinger

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

Серия: Fernsehen

isbn: 9783854456377

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СКАЧАТЬ junge Französinnen töten, die mit deutschen Offizieren verheiratet waren und den Alliierten als Heckenschützen aufgelauert hatten.

      Mein Vater sprach nicht oft über seine D-Day-Erlebnisse, als ich jünger war, sondern sagte nur, dass eines allein einen Soldaten im Kampf wirklich retten kann: Glück.

      „Dies war nicht der Tag meines Todes.“

      Aber hin und wieder erzählte er dann doch die eine oder andere Geschichte.

      Einmal beschrieb er die letzten Augenblicke, bevor das Landungsboot den Strand erreichte. Der englische Bootsmann, der es lenkte, stoppte die Maschine und wollte, dass die Männer von Bord sprangen, obwohl ihnen das Wasser noch bis zum Hals reichte. Einige waren bereits ertrunken, weil das Zusammenspiel von Wellen und Strömung und fünfzig Kilo Ausrüstung auf dem Rücken eine tödliche Kombination darstellte. Dennoch wollte der Engländer das Boot nicht näher an Land bringen, bis ein amerikanischer Offizier ihm eine Pistole an den Kopf hielt und sagte, er würde ihm das Hirn wegpusten, wenn er nicht sofort weiter auf den Strand zuhielte.

      Wie mein Vater sagte, klärte das recht schnell die Situation im Sinne der Amerikaner.

      Die andere Geschichte war keine Geschichte. Es war ein kleines Schwarzweißfoto, das er geschossen hatte, nachdem seine Rangers-Einheit im April an der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald beteiligt gewesen war. Das Bild zeigte die Pritsche eines Eisenbahnwaggons, auf der die ausgemergelten und entkleideten Leichen der Opfer wie Dachziegel aufeinandergestapelt worden waren.

      Mein Vater zeigte mir das Bild, als ich noch klein war. Warum, das verstand ich nicht. Es war völlig uncharakteristisch für ihn, und ein Kind von neun oder zehn konnte ein so extremes Bild auch nicht verarbeiten. Aber letztlich half es mir, ihn zu verstehen und zu begreifen, dass seine langen Phasen des Schweigens ihre Wurzel in den Dingen hatten, die er als junger Mann mit ansehen musste und niemals vergessen konnte. Darin lag der Grund für seine emotionale Distanz – eine Eigenschaft, die ich später auch an mir wiederfand.

      Manche Leute haben mich als mutig bezeichnet, weil ich im Frühjahr 2015 mit 65 Jahren meine Transition von Bruce zu Caitlyn durchgezogen habe. Das ist sehr schmeichelhaft, und ich weiß das sehr zu schätzen. Aber verglichen mit dem, was mein Vater und so viele andere durchgemacht haben, braucht es keinen Mut, zu seinem eigentlichen Ich zu stehen. Für mich war es eher eine Art von Feigheit, dass ich so lange damit gewartet habe.

      Mein Vater war eine freundliche Seele, trotz allem, was er im Krieg erlebt hatte. Er empfand keine Bitterkeit, gegen nichts und niemanden, und auch ich bin niemand, der anderen etwas lange nachträgt. Ich habe mich oft gefragt, was er wohl von all dem halten würde, wenn er es noch miterlebt hätte. Er war so stolz auf meine sportlichen Erfolge in meiner Jugendzeit. Und als ich bei den Olympischen Spielen siegte, war er unfassbar begeistert. Er ging richtig darin auf, dass ich zum amerikanischen Helden wurde. Wie unser Gespräch wohl abgelaufen wäre? Was hätte er gesagt oder auch nicht gesagt? Wie hätte er mich angesehen? Ich wollte meinen Vater nie enttäuschen – alles, nur das nicht. Und er hätte meine Transition nie im Leben verstanden. Das hätte er nicht begriffen, ebenso wenig wie die meisten anderen aus seiner Generation. Und es fällt heute noch vielen schwer zu verstehen, dass die Transition von einem Mann zu einer Frau oder umgekehrt nichts mit der sexuellen Orientierung zu tun hat, sondern nur mit dem Geschlecht, das von Geburt an in dir verankert ist, völlig unabhängig von den körperlichen Merkmalen.

      Wahrscheinlich wäre er zunächst einmal schockiert gewesen. Aber ich bin der festen Überzeugung: Sobald er erkannt hätte, dass ich in meiner jetzigen Lage viel Gutes für eine sehr marginalisierte Community tun kann, wäre er auf Caitlyn genauso stolz gewesen wie auf Bruce. Ich weiß, er hätte gewollt, dass ich glücklich bin. Und vielleicht wäre er glücklich darüber gewesen, dass das Gefühlschaos in meinem Leben vorbei ist.

      Aber er hätte lange gebraucht, um es wirklich akzeptieren zu können. Meine Mutter, die ihn besser kannte als irgendjemand sonst, ist sich nicht sicher, ob es ihm überhaupt je gelungen wäre, unabhängig davon, wie er sich nach außen hin gegeben hätte.

      Da hast du dieses Bild von deinem Sohn, ein ziemlich fest gefügtes Image, und dann gibt es da auf einmal Caitlyn? Wer ist das? Was ist das?

      Trotzdem hätte ich es ihm gern gesagt.

      Die Chance hatte ich nicht.

      Mein Vater wurde nach dem Krieg Baumchirurg, gründete schließlich seine eigene Firma und arbeitete für einige große Anwesen in Westchester County und Connecticut. Er war besessen von dem Wunsch, ein guter Familienvater zu sein, und das war er auch. Meine Eltern widmeten sich jedes Wochenende ihren Kindern. Das waren meine ältere Schwester Pam, ich, dann Burt und als letztes Lisa.

      Wir lebten ein angenehm vorhersehbares Leben, machten jeden Sommer zwei Wochen Zelturlaub in den Adirondack-Bergen oder reisten zu der Farm in Ohio, auf der meine Mutter aufgewachsen war. In New York war ich genau einmal, bevor ich aufs College ging, obwohl die Stadt keine Stunde mit dem Zug von uns entfernt lag, und das war auf einem Schulausflug. Bevor ich auf die Junior High School kam, war ich noch nie einem Afroamerikaner begegnet. Die Leben draußen zeigten uns Zeitschriften wie Look oder Life. Nie hätte ich mir vorstellen können, dass ich einige Jahre später als gefeierter Sportler die Welt bereisen würde. Und noch verrückter wäre der Gedanke gewesen, dass in mir eine Frau steckte.

      Als Kind zeigte ich keine äußeren Zeichen von „Weiblichkeit“. Meine Mutter und meine Schwester Pam haben sich sehr gewundert, als ich ihnen sagte, ich hätte mit meiner Transition begonnen. Wie konnte es sein, dass sie damals mit mir unter einem Dach gelebt hatten, ohne zu bemerken, dass ich irgendwie anders war – abgesehen davon, dass ich immer etwas distanziert wirkte und mit Zuneigungsbeweisen nicht gut umgehen konnte? Nun, weil es nicht so deutlich erkennbar war. Ich habe mich nie feminin gefühlt, aber ganz klar als Frau. Was heißt das überhaupt, feminin? Das definiert doch jeder für sich anders. Bin ich etwa weniger weiblich, weil ich immer noch Autorennen, Motocross und Motorradfahren liebe? Das sind lediglich unsere abgedroschenen, rückständigen Definitionen von männlichen und weiblichen Eigenschaften, die zu dieser Überlegung führen.

      Als Kind hasste ich es, wenn man mir die Haare schnitt. Kleidung kaufen zu müssen, fand ich furchtbar. Heute frage ich mich, ob das vielleicht erste Anzeichen dafür waren, dass ich Transgender bin.

      Oder vielleicht fand ich Haareschneiden und Einkaufen auch bloß grässlich. Es gibt ja einfach Dinge im Leben, die man nicht mag.

      Sehr deutlich hingegen erinnere ich mich daran, wie unsicher ich mich fühlte, wenn ich in der Schule laut vorlesen musste, was ich nicht gut konnte. Ständig fürchtete ich, man würde sich über mich lustig machen. Ich war immer ein wenig gehemmt, als ob ich nicht ganz dazugehörte, und auch wenn das heute sehr viel besser ist, steckt das immer noch ein wenig in mir drin. Ich sehne mich nach Freundschaften, und das verleitet mich manchmal zu Verzweiflungstaten.

      Der ganze Stolz meines Vaters war seine Army-Ranger-Uniform. Sie hing im Schrank, mit all den an die Brust gepinnten Orden; auch ein Bronze Star für besondere Verdienste war darunter. Eines Tages bettelte Pam, eineinhalb Jahre älter als ich und damals etwa sieben, dass er sie doch einmal anziehen sollte. Mein Vater ging zum Schrank und holte die Uniform heraus, und da entdeckte er, dass die Orden fehlten. Zuerst gelang es mir, bei dem nun folgenden Kreuzverhör nichts preiszugeben. Aber irgendwann knickte ich dann doch ein und gab zu, dass ich die Medaillen genommen und jemandem geschenkt hatte, mit dem ich gern befreundet sein wollte; dafür hatte ich ein paar Entenküken bekommen, die ich im Garten großziehen wollte. Die Orden tauchten leider nie wieder auf. Und die Enten machten es auch nicht lange.

      Zu meiner Unsicherheit trugen zusätzlich die unvermeidlichen Vergleiche mit Pam bei. Ich vergötterte meine große Schwester. Sie war selbstsicher, ich nicht. Sie fand schnell СКАЧАТЬ