Mein großes Geheimnis. Buzz Bissinger
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Название: Mein großes Geheimnis

Автор: Buzz Bissinger

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

Серия: Fernsehen

isbn: 9783854456377

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СКАЧАТЬ im Einklang, in mir herrschte ein totales Durcheinander.

      Die Episode geriet bald in Vergessenheit. Aber ich hatte eine wertvolle Lektion gelernt: Wenn die Frau in dir sich im Kinderzimmer vor den Spiegel stellt, sollte sie sichergehen, dass der Computer ausgeschaltet ist.

      Aber zurück zu meiner Verwandlung. Die Augen sind am Wichtigsten, denn sie sind schließlich das Fenster zur Seele. Wenn man die Augen richtig hinbekommt, klappt es mit dem Rest von selbst. Und dieses Mal sieht es richtig gut aus; ganz offensichtlich werde ich jedes Mal besser. Manchmal werde ich in solchen Situationen aber auch übermütig, und dann sitze ich da, der größte Athlet der Welt, und versuche mir mit zitternden Händen falsche Wimpern anzukleben, was dann aber nur dazu führt, dass ich irgendwann überall schwarzen Kleber auf den Lidern habe.

      Schließlich betrachte ich mich im großen Spiegel des Hotelzimmers. Ich gehe ein paarmal auf und ab und prüfe kritisch, ob ich wirklich eine passable Frau abgebe. Von Kris habe ich mir auch eine kleine Handtasche „geborgt“ – was inzwischen etwas schwieriger ist, da sie besser aufpasst als früher.

      Dann bin ich fertig und verlasse das Zimmer. Normalerweise nehme ich lieber die Treppe, weil ich vermeiden möchte, anderen Hotelgästen im Fahrstuhl auf engem Raum gegenüberzustehen. Aber meine Suite liegt in einem der oberen Stockwerke, und ich möchte nicht, dass mein sorgfältiges Styling schon gelitten hat, wenn ich unten ankomme. Also doch der Fahrstuhl. Ich sage kein Wort, denn meine helle Männerstimme, mein Singsang und mein Akzent – eine Mischung aus Mittelwesten und Massachusetts – würden mich sofort verraten; nach all der Zeit bin ich der Öffentlichkeit zu gut bekannt. Also wende ich den anderen Leuten den Rücken zu, mache ein bisschen auf arrogante Zicke und gehe leicht in die Knie, damit ich nicht ganz so groß wirke.

      Unten verlasse ich den Fahrstuhl und spaziere zwanzig Minuten in der Lobby herum. Bedenkt man, dass ich bestimmt eine Stunde gebraucht habe, um mich zu stylen, klingt das nach einer wenig lohnenden Bilanz. Aber für mich ist es aufregend, und manchmal frage ich mich, ob die wahre Motivation dahinter ist, dass mein Leben ansonsten keine echten Kicks mehr bietet (es sei denn, dass man eine Runde Golf gegen sich selbst als aufregend bezeichnen wollte, und das wäre nach meiner Erfahrung wirklich übertrieben). Das Leben mit den Kardashian-Frauen und mit Kendall und Kylie hat natürlich viele Höhepunkte, sicher. Sie sind alle faszinierend, und tatsächlich wird schon bald Keeping Up With The Kardashians viele Millionen Zuschauer vor die Fernsehschirme locken. Meine eigene Rolle in dieser Reality-Show ist die eines gutmütigen, aber etwas tapsigen Patriarchen, der kein eigenes Leben hat, von den Frauen um ihn herum komplett dominiert wird und nur das tut, was seine Gattin ihm sagt.

      Eine völlig wahrheitsgetreue Darstellung also.

      Nach einer langen Runde durch die Lobby drehe ich mich um und kehre in mein Zimmer zurück. Ich halte mich nirgendwo lange auf. Bleibe nie stehen. Gehe nie ins Restaurant. Stattdessen bleibe ich lieber in den Winkeln und Ecken, und ich vermeide möglichst jeglichen Augenkontakt, weil mir genau bewusst ist, dass ich ausgecheckt werde. Schließlich weiß ich nur zu gut, wie das aussieht; Bruce Jenner ist schon viele tausend Male ausgecheckt worden.

      Aber jetzt gibt es einen anderen Grund für die Blicke. Vor einer Entdeckung habe ich keine Angst, denn selbst wenn jemand meinte, er hätte Bruce Jenner in einem Kleid gesehen (was ja stimmt), dann würde er das vermutlich selbst nicht glauben, jedenfalls nicht, falls er zu denen gehört, die sich noch an die Olympiade damals erinnern. Bruce Jenner ist einfach der letzte, dem man so etwas zutrauen würde. Mich kümmert nur eins: ob ich glaubwürdig aussehe. Das erkenne ich an der Länge der Blicke, die man mir zuwirft. Ein kurzer heißt: Nichts Besonderes, eine Frau wie alle anderen. Hinter einem längeren könnte eine fatale Überlegung stehen: Wer zur Hölle ist das denn? Manchmal finde ich, dass ich verdammt gut aussehe. Manchmal fühle ich mich aber auch wie eine dünne Ausgabe von Bibo aus der Sesamstraße, der überall heraussticht und über den alle kichern, wenn er vorübergeht. Altwerden hat ja wenig gute Seiten, aber eine gibt es: Man schrumpft ein bisschen. Wenn ich hundert werde, dann bin ich vielleicht nur noch einssiebzig und werde mich nicht mehr so schrecklich gehemmt fühlen.

      Über so etwas denke ich wirklich nach.

      Bei einer meiner Hotellobby-Runden kam einmal ein Mann auf mich zu. Panik überfiel mich; ich war mir sicher, dass er mich durchschaut hatte. Aber er lächelte und reichte mir eine Rose. Also erwiderte ich sein Lächeln, zog mich aber so schnell es ging zurück. Auf keinen Fall wollte ich mit ihm reden. Bei den vielen Dutzend Hotellobby-Spaziergängen habe ich nie mit jemandem geredet. Aber ich fühlte mich geschmeichelt.

      Anschließend setze ich mich in meinen Mietwagen und fahre eine Stunde durch die Gegend. Auch das mache ich gern, wenn ich Lust und Zeit dazu habe. Wenn ich dann an einem Einkaufszentrum vorbeikomme, stelle ich den Wagen möglichst weit am Rand des Parkplatzes ab, wo es keine Überwachungskameras gibt. Dort gehe ich wieder ein bisschen spazieren, die Autoschlüssel immer fest in der Hand: Falls etwas Unvorhergesehenes passiert, kann ich schnell wieder zum Auto rennen. Glücklicherweise habe ich ja vernünftige Schuhe an. Das alles dauert nicht lange, aber selbst diese kleine Möglichkeit, kurz einmal am Rand eines Parkplatzes auszusteigen, fühlt sich befreiend an. Es ist schrecklich aufregend – der Puls schlägt schneller, die Herzfrequenz steigt, und mich überkommt eine Mischung aus Kitzel und Selbstvertrauen, der Wunsch, die ganze Welt herauszufordern, und ein Glücksgefühl, ein überwältigendes Glücksgefühl.

      Immer noch versuche ich herauszufinden, warum das so ist, und denke immer wieder an meine Kindheit zurück. Wie war das, als ich zehn war? Habe ich wirklich eine Geschlechtsidentitätsstörung, eine sogenannte Genderdysphorie, die von der American Psychiatric Association als „erkennbare Nichtübereinstimmung des zugewiesenen Geschlechts mit dem Identitätsgeschlecht“ definiert wird? Bin ich vielleicht nur ein Transvestit, dem das Tragen von Frauenkleidern einen sexuellen Kick gibt? Manchmal frage ich mich, ob das Aufstylen so ist, als hätte ich Sex mit mir selbst, weil ich gleichzeitig männlich und weiblich bin. Auf all das weiß ich keine konkreten Antworten.

      Manchmal wage ich mich sogar über die Parkplätze hinaus. Wie das eine Mal, als ich im Opryland Hotel in Nashville übernachtete. Das Einkaufszentrum Opry Mills lag gleich gegenüber. Dort gab es auch ein Multiplex-Cinema, und ich überlegte: Hey, ich könnte doch einfach mal allein ins Kino gehen?

      Also schaute ich im Laufe des Tages dort vorbei und ließ Bruce ein Ticket kaufen. Am Nachmittag hielt ich wieder einen Vortrag: „Finde den Sieger in dir.“ Anschließend kehrte ich ins Hotel zurück und zog mich um, verwandelte mich in die Frau in mir. Im Kino ging ich gleich in den dunklen Saal, da ich mein Ticket ja schon hatte. Eigentlich hätte ich gern Popcorn gehabt – das gehört zum Kino doch irgendwie dazu. Aber ich hatte zu viel Angst, zum Verkaufstresen zu gehen. Glücklicherweise war es ein guter Film, der mich ganz und gar fesselte, und für zwei Stunden dachte ich einmal an nichts anderes.

      Nach dem Film musste ich aufs Klo. Das wäre vermutlich für niemanden sonst ein Problem gewesen – wenn man muss, dann geht man eben. Aber ich dachte nur: Oh mein Gott, was mache ich denn jetzt? Zwar war ich bei früheren Ausflügen schon einmal auf der Damentoilette gewesen. Wie bei allen anderen Dingen hatte ich mir auch dafür eine Strategie zurechtgelegt: Erst wartete ich draußen, bis ich sicher war, dass niemand mehr im Vorraum sein konnte. Dann ging ich hinein und nahm die Kabine, die am weitesten von der Tür entfernt war. Wenn jemand reinkam, wartete ich, bis sie wieder ging, und dann sah ich zu, dass ich mich schnell verdrückte.

      An dem Tag stand allerdings eine lange Schlange vor dem Damenklo. Warten hätte keinen Zweck gehabt. Also hastete ich so schnell wie möglich wieder ins Hotel zurück.

      Als ich von meinem aktuellen Lobby-Ausflug zurückkehrte, fühlte ich mich noch immer gut. Niemandem war etwas aufgefallen. Aber mein Flug ging am nächsten Morgen ganz früh, und das hieß, dass es Bruce wieder in seiner ganzen Herrlichkeit geben würde. Also musste alles wieder runter.

      Wenn СКАЧАТЬ