Mein großes Geheimnis. Buzz Bissinger
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Название: Mein großes Geheimnis

Автор: Buzz Bissinger

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

Серия: Fernsehen

isbn: 9783854456377

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СКАЧАТЬ Zehntausende erschwinglicher Häuser wurden gebaut, und für die aufstrebende Mittelklasse ging es immer weiter nach oben. Amerika war ein sicherer, guter Ort – wie gesagt, wenn man weiß war – und ich fühlte mich in diesem Schoß geborgen, während ich mit meinen Eltern und Geschwistern in Westchester County im Staat New York und im Osten von Connecticut aufwuchs.

      Mein Vater William (Bill) Jenner hatte einen hintersinnigen Humor und einen vordergründigen Bostoner Akzent und war ein typischer Vertreter der Generation, die schon die Große Depression und den Zweiten Weltkrieg mitgemacht hatte. Er traf meine Mutter Esther im Frühjahr 1942 auf einer Rollschuhbahn in White Plains, New York – kurz nachdem sie aus dem Mittleren Westen an die Ostküste gezogen war. Er war ein hervorragender Rollschuhläufer und hatte ein Talent für viele verschiedene Sportarten. Wenn er sich etwas Neues beibringen wollte, gelang ihm das meist sehr schnell – eine Eigenschaft, die er mir vererbt hat. Meine Mutter hingegen war noch unsicher auf ihren Rollschuhen, woran sie sich mit der für sie typischen Unverblümtheit erinnert:

      „Dürfte ich diese nächste Runde mit dir fahren?“

      „Von mir aus – aber auf eigene Gefahr.“

      Esther war aus Ohio und hatte einen großen Teil ihrer Jugend auf einer dreißig Hektar großen Farm verbracht, die von der Kuppe eines sanft geschwungenen Hügels auf den Ohio River hinunterblickte. Ihr Vater war Porträtfotograf und besaß die Fähigkeit, sich auf Dinge, die ihn interessierten, mit unglaublicher Entschlossenheit zu konzentrieren – eine Eigenschaft, die ich wiederum von ihm geerbt habe, und die mir beim Training für den Zehnkampf ausgesprochen gute Dienste leistete. Er baute das Haus für die Familie, bescheiden und solide. In seiner Freizeit betätigte er sich als Geologe und Astronom und baute Teleskope. Er liebte es, knifflige Dinge zu basteln und mechanische Experimente zu machen. Genau wie ich.

      Bill war in St. John’s in Neufundland geboren worden, dann mit seiner Familie nach Somerville in Massachusetts und später nach Westborough gezogen. Als er noch klein war, wütete ein schrecklicher Hurrikan über Neuengland und entwurzelte viele tausend Bäume. Die Stämme wurden im Wasser der nahen Seen gelagert, und Bills Vater leitete eine mobile Sägemühle, die sich von einem Gewässer zum anderen verlagern ließ. Dort arbeitete auch Bill noch ein Jahr nach der High School, bevor er Ende der Dreißigerjahre nach Tarrytown in Westchester County zog.

      Esther fand Bill unwiderstehlich gutaussehend, und offenbar ging es Bill umgekehrt genauso (ja, Eitelkeit liegt in der Familie). Er arbeitete für seinen Bruder, der Bäume fällte und beschnitt, und hatte eine fröhliche Natur, die Esther einfach ansteckend fand. Sie verliebten sich schnell, wie das damals so oft geschah – vielleicht, weil ihnen bewusst war, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb.

      Die Hochzeit fand im September 1942 statt, als Esther sechzehn war. Amerika hatte sowohl Deutschland als auch Japan den Krieg erklärt, und Bill war wie so viele junge Männer seiner Zeit wild entschlossen zu kämpfen. Da er noch immer kanadischer Staatsbürger war, durfte er jedoch nicht einfach so in die US-Armee eintreten. Allerdings bestand die Möglichkeit, sich zur Einberufung zur Verfügung zu stellen, allerdings auch erst mit zwanzig, und Bill war neunzehn. Beinahe täglich erschien er bei seinem Armee-Anwerber in New York, bis der endlich ein Einsehen hatte.

      „Hast du deine Geburtsurkunde dabei?“

      Bill zeigte sie vor.

      „Lass mal sehen.“

      „Jawohl, Sir.“

      Daraufhin änderte der Anwerber das Geburtsdatum mit Bleistift und machte Bill ein Jahr älter.

      „In ein paar Wochen hörst du von uns. Und jetzt geh mir nicht mehr auf die Nerven.“

      Ein Vierteljahr nach der Hochzeit wurde Bill einberufen, und Esther bekam ihn drei Jahre lang nicht mehr zu Gesicht. Sie schrieb ihm aber jeden Tag, obwohl es bald nichts Interessantes mehr zu berichten gab. Natürlich machte sie sich Sorgen um meinen Vater, und dazu hatte sie auch allen Grund. Er gehörte zu den Army Rangers, einer Spezialeinheit, die oft in den schwierigsten und gefährlichsten Manövern eingesetzt wurde. Seine Ausbildung hatte er im Fifth Ranger Battalion in Camp Forrest in Tennessee durchlaufen, war dann nach Fort Pierce in Florida verlegt worden und hatte dort einen Vorgeschmack auf das bekommen, was ihm bevorstand. Die Truppe wurde mit dem Schiff auf den Atlantik hinausgebracht und musste dann in Landungsbooten und mit Zwanzig-Kilo-Gepäck auf dem Rücken an Land zurückkehren. Bill war das Wasser vertraut, aber einige seiner Kameraden konnten nicht einmal schwimmen. Danach hatte vorher auch niemand gefragt.

      Auf einem Armee-Stützpunkt in Schottland wurde er für die amphibische Kriegsführung und im Nahkampf ausgebildet. Schließlich kam er ins Hauptquartier des Fifth Ranger Battalions und befehligte dort acht Soldaten, deren Aufgabe es war, den Funkverkehr zwischen dem Hauptquartier und den Truppen im Feld aufrecht zu erhalten.

      Er wusste, dass es an die Front ging.

      Schon drei Tage im Voraus erhielten Bill und seine Kameraden die Nachricht, dass sie zum ersten Schwung derer gehören würden, die bei der geplanten Landung der Alliierten die Strände der Normandie angreifen würden, und ein Schiff sie über den Ärmelkanal brächte. Am 6. Juni 1944 beluden sie um sechs Uhr früh ihre Landungsboote. Auf den ersten zehn Seemeilen wurde noch viel gelacht; sie alle brannten nach den zwei Jahren harter Ausbildung darauf, endlich zum Einsatz zu kommen. Die See war sehr rau, und es waren braune Papiertüten verteilt worden, falls jemand seekrank werden sollte.

      Mein Vater war der zäheste Kerl, der mir je begegnet ist. Ihn warf nichts um. Nach den Olympischen Spielen in Montreal kaufte ich mir einen Pitts-Doppeldecker, weil ich das Fliegen liebte und ständig meine Grenzen austesten wollte. Es war ein Zweisitzer, bei dem der Passagier vor dem Piloten saß. Viele meiner Freunde, die knallhart zu sein glaubten, hatten mich schon herausgefordert, und alle hatten um eine vorzeitige Landung gebettelt, weil ihnen übel geworden war. Der einzige, der nicht genug bekam, war mein Vater. Ich versuchte alles – Loopings, doppelte Loopings, Drehungen oder Absinken aus großer Höhe. Ich griff richtig in die Vollen, aber er bekam nicht genug.

      Außer am D-Day.

      Zwar wurde ihm im Landungsboot nicht übel. Aber vielen anderen, und zwar so heftig, dass die braunen Papiertüten nicht viel nützten. Als sie sich der französischen Küste näherten, sahen sie bereits Granaten am Strand explodieren. Kugeln pfiffen ihnen um die Ohren. Plötzlich waren alle still. Die wilde Kampfeslust war von der Realität ausgelöscht worden, von Tod, Feuer, Blut und Angst. Als Bill den Omaha Beach genannten Strandabschnitt erreichte, tobte um ihn herum das Chaos, und die Unterweisungen, die sie erhalten hatten, erwiesen sich als nutzlos. Es war unmöglich, eine stabile Kommunikation aufzubauen, und Bill wurde mit der Maschinenpistole, deren Handhabung er in der Ausbildung gelernt hatte, ins dichteste Kampfgetümmel geschickt. Der Soldat vor ihm wurde von einem Artilleriegeschoss getroffen, das ihm den ganzen Körper aufriss. Bill hielt eine Sekunde inne. Er wollte etwas tun. Aber im Gegensatz zu all dem, was man in Filmen sieht oder in Büchern liest, wollten die Soldaten, die in der Normandie an Land gingen, nichts anderes als das eigene Leben retten. Also rannte er zu dem Wall, der den Strand begrenzte, und kauerte sich dort am ganzen Körper zitternd zusammen. Als er sich umsah, wurde er Zeuge, wie ein Landungsboot, das Flammenwerfer transportierte, getroffen wurde und wie ein Feuerball explodierte. Er sah, wie Männer brennend über Bord sprangen und musste sich erschüttert abwenden. Er verband die blutüberströmte Hand eines Kameraden, der mehrere Finger verloren hatte. Er beobachtete, wie die befehlshabenden Offiziere vor Entsetzen durchdrehten, zu fliehen versuchten und mit Gewalt aufgehalten werden mussten. Sobald er sich zehn Minuten lang irgendwo aufgehalten hatte, suchte er sich einen neuen Unterschlupf, weil er fest daran glaubte, dass dieser Platz dann als Zufluchtsort verbraucht war und nicht mehr die Magie besaß, ihn vor dem Tod zu bewahren. Stück für Stück arbeitete er sich den Strand hinauf, vorbei an den Leichen amerikanischer Soldaten. Später, СКАЧАТЬ