Mein großes Geheimnis. Buzz Bissinger
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Название: Mein großes Geheimnis

Автор: Buzz Bissinger

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

Серия: Fernsehen

isbn: 9783854456377

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СКАЧАТЬ Und die Stoppuhr des Lehrers bestätigte es: Ich bin der Schnellste der ganzen Schule!

      Vielleicht gab es also doch ein Gebiet, auf dem ich glänzen konnte. Und die sportlichen Erfolge brachten ja nicht nur Anerkennung. Was gab es Besseres, um seine Männlichkeit unter Beweis zu stellen? Oder um diese komische Sache irgendwie wegzuschieben? Sportskanonen zogen keine Frauenkleider an. Sportskanonen liefen auch nicht mit einem Kopftuch durch die Straßen. Die standen in der Umkleide und zeigten stolz, wie lang ihr Ding war. Wir waren die Größten.

      Sport war in den Sechzigern (wie heute übrigens auch noch) die perfekte Tarnung. Hier regierte die Männlichkeit, besonders die weiße. Eine gesetzlich geregelte Gleichberechtigung der Geschlechter gab es nicht. Eine Integration fand im College-Sport nur langsam und gegen viele innere Widerstände statt. Für alles, was mit dem Geschlecht oder der Sexualität zu tun hatte, bot Sport wiederum den perfekten Schutz. Ein Sportler, der sich in den Sechzigern als transgender outete? Unmöglich. Das Netzwerk existierte nur im Untergrund: Wer offen lebte, riskierte, belästigt oder verhaftet zu werden. Stonewall, das große Schicksalsereignis der LGBTQ-Bewegung, fand erst 1969 statt, als ich schon aufs College ging. Damals kam es bei einer Razzia im New Yorker Stonewall Inn zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, die weltweit Schlagzeilen machten. Besonders Transfrauen waren bei der Durchsuchung des Clubs mit den üblichen Polizeimethoden schikaniert worden: In New York war es damals gesetzlich vorgeschrieben, mindestens drei Kleidungsstücke zu tragen, die eindeutig dem biologischen Geschlecht zugeordnet werden konnten, und wenn die Polizei jemanden im Verdacht hatte, das nicht zu tun, kam er in Gewahrsam und musste sich abtasten lassen oder ausziehen.

      Eines der ersten Outings im Sport gab es 1975, als ich 26 Jahre alt war. Damals bekannte der Footballer Dave Kopay in einem Interview mit dem Washington Star, homosexuell zu sein. Zuvor hatte die Zeitung in einer Serie einen anonymen schwulen Footballer zitiert, und Kopay erkannte, dass es jemand war, mit dem er einmal geschlafen hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte er seine Profikarriere schon seit zwei Jahren beendet – hätte er das vorher getan, wäre seine Karriere automatisch vorbei gewesen. (Selbst heute gibt es in einer der großen Basketball-Ligen oder im American Football kaum offen schwule Sportler. Weibliche Profis gehen wesentlich offener mit ihrer sexuellen Orientierung um, was darauf hindeutet, dass die Atmosphäre dort nicht so feindselig ist, und die Athletinnen gehen viel ehrlicher und wertschätzender mit sich um.)

      Aber zurück zu diesem Schicksalstag in der fünften Klasse. Es war für mich tatsächlich ein Wendepunkt: Ganz unerwartet hatte ich meine Berufung gefunden.

      Als ich wenig später in die Junior High School kam, sprach sich schnell herum, dass ich schnell laufen konnte, und irgendwann kamen drei ältere Jungen auf mich zu.

      „Du bist also schnell, was?“

      „Denke schon.“

      „Dann lass uns doch mal gucken. Laufen wir um die Wette.“

      Ich bin schnell. Aber ich war nicht blöd.

      Klar lief ich.

      Aber nach Hause.

      Während ich mich als Jugendlicher mit diesen ganzen verwirrenden Gefühlen herumschlagen musste, war ich am meisten mit mir selbst im Einklang, wenn ich auf dem Footballfeld stand und mich mit jemandem messen konnte. Mit Aggression hatte das gar nicht viel zu tun, es war vor allem eine Möglichkeit, das eigene Ego auszuleben: Man hat das Gefühl, etwas beherrschen zu können, und will nicht mehr damit aufhören.

      Ich war nicht von Natur aus ein großartiger Sportler. Aber im Laufe der folgenden Jahre wuchs in mir das Bedürfnis, meine Stärken zu zeigen und andere Sportler zu überrunden, und dabei wurde der Zehnkampf immer wichtiger für mich. Der Wettbewerb mit anderen war dabei natürlich eine große Motivation, aber da war auch noch etwas anderes – der Drang, dass da in mir etwas ist, von dem ich mich immer wieder reinigen muss. Dieses Gefühl der Minderwertigkeit konnte ich nur durch die Zurschaustellung der eigenen Überlegenheit bekämpfen.

      Da mir natürlich bewusst war, dass man als Sportskanone ein großes Ansehen genoss, spielte ich an der Sleepy Hollow High School von Tarrytown auch die beliebten Mannschaftssportarten wie Football oder Basketball. Und das durchaus gern. Es machte mir Spaß. Aber lieber noch waren mir Wettkämpfe, bei denen alles nur von mir allein abhing. Ich wollte mein Schicksal selbst in der Hand haben – vielleicht, weil Kontrolle in meinem Leben ohnehin eine große Rolle spielte.

      Wenn ich gewann, war das mein Verdienst. Wenn ich verlor, war es meine Schuld. Anschließend konnte ich allein nach Hause gehen und mich damit auseinandersetzen, ich musste nicht noch mit meinen Mannschaftskameraden über die Niederlage lamentieren oder aber einen Sieg feiern. Letztlich war ich ein Einzelgänger, was vermutlich typisch ist für jemanden, der ein Geheimnis in sich trägt, das er nicht teilen darf. Zwar war ich immer freundlich, aber auch distanziert; ich hielt immer eine Armlänge Abstand. Und weil ich in dem, was ich tat, ziemlich gut war, ließ man mich in Ruhe. Ich hatte Freunde in den Football- und Basketball-Mannschaften, aber ich verbrachte nicht allzu viel Zeit mit ihnen. Die anderen mochten mich, wahrscheinlich, weil mein erstes Auto ein zum Leichenwagen umgebauter Cadillac Baujahr 1954 war (kein Witz) und bis zu 24 meiner High-School-Kumpels auf die für den Sarg vorgesehene Ladefläche passten (auch kein Witz). Aber ich wollte nicht, dass andere wussten, wer ich war, worüber ich nachdachte und womit ich mich herumschlagen musste. Vorsichtshalber gab ich mich ein bisschen tollpatschig, weil mich das noch weiter aus der Schusslinie brachte. Der Jenner tickte halt ein bisschen komisch.

      Dabei war es nicht so, dass ich nichts empfinden konnte, ich hatte nur Angst davor. Gefühle brachten mich immer nur durcheinander, sonst nichts. Ich stand gerne ein wenig abseits, weil mir das so gefiel. Es war sicherer, leichter, besser. Und ich war eben ein Einzelgänger.

      Der Sportbereich, der meinen Fähigkeiten am meisten entgegenkam, war die Leichtathletik. Vor allem der Stabhochsprung. Damit fing ich als Freshman in der High School an. Die Freiheit und das wie eine Spirale ansteigende Gefühl, mit sich selbst allein zu sein, sprachen mich an. Es war unvergleichlich, mit dem langen Stab in der Hand eine schmale Bahn hinunterzulaufen, die Spitze in den Einstichkasten zu stoßen und in einer langsamen Kurve emporzusteigen, um über die Latte zu federn. Körper und Geist waren beide gefordert, und der innere Aufruhr ließ dabei etwas nach. Mein Vater legte im Garten eine Sandgrube an, damit ich trainieren konnte. Noch zu High-School-Zeiten wurde ich Bester bei den Meisterschaften von Connecticut und zweimal herausragender Sportler meines Leichtathletik-Teams.

      Ich trieb allerdings nicht nur an der Schule Sport. Mein Vater war immer auf der Suche nach Aktivitäten, an denen sich die ganze Familie am Wochenende beteiligen konnte. Nachdem er sich für Wasserski entschieden hatte, kaufte er ein Boot. Damit ging es hinaus auf den Candlewood Lake in Connecticut. Ich hatte Angst, oder vielmehr, ich fürchtete mich vor einer neuerlichen Blamage, die meine Unsicherheit nur noch weiter vertiefen würde. Als Kind war ich oft genug bloßgestellt worden. Mein Vater kannte mich besser und bewunderte meine sportlichen Fähigkeiten viel mehr, als ich selbst es tat; meiner Meinung nach war ich nichts Besonderes. Nur ein verwirrtes Kind, das sich irgendwie durchzumogeln versuchte. Von meiner Legasthenie wusste mein Vater, aber er hatte keine Ahnung von meiner Faszination für den Kleiderschrank meiner Mutter, die mein Selbstbild zusätzlich beeinträchtigte. Und davon sollte er auch nie erfahren. Niemals. Das hätte ich ihm nie erzählt. Und es durfte nicht passieren, dass er mich erwischte. Niemals. Denn das war ja nur so ein komischer Tick, den ich damals gerade hatte. Irgendwann würde das schon wieder vergehen, warum sollte ich es also jemandem erzählen.

      Bei den Touren auf dem Candlewood Lake hatte er besonderen Spaß mit der so genannten „Peitschen-Technik“. Indem er einen weiten Kreis zog, wurden die Skier durch die Radialkraft immer schneller und schneller. Als er das zum ersten Mal tat, war ich erst zehn oder elf, und ich schrie, er solle aufhören. Er machte aber weiter, sodass ich noch mehr schrie. Meine Schwester Pam hatte dagegen СКАЧАТЬ