Mein großes Geheimnis. Buzz Bissinger
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Название: Mein großes Geheimnis

Автор: Buzz Bissinger

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

Серия: Fernsehen

isbn: 9783854456377

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СКАЧАТЬ das Make-up die Kissen verschmiert (wofür ich mich an dieser Stelle bei den Hotelmitarbeitern entschuldigen möchte). Von außen betrachtet, habe ich ein schönes Leben: wunderbare Kinder, eine solide Ehe (jedenfalls war sie das, bevor es mit Keeping Up With The Kardashians losging), eine feste Arbeit und die Sympathien der Öffentlichkeit. Mein Image ist weiterhin sehr positiv.

      Aber es reicht nicht. Es wird niemals reichen. In diesem Augenblick in den Neunzigern, mit über vierzig, konnte ich mir nicht vorstellen, je meinen Seelenfrieden zu finden. Dazu hatten mich die gesellschaftlichen Zwänge und die Sorgen um meine Familie viel zu sehr im Griff.

      Tatsächlich denke ich heute ernsthaft darüber nach, testamentarisch festzulegen, zumindest mit dem Geschlecht begraben zu werden, das ich mein Leben lang gefühlt habe. Vielleicht ist das die einzige Möglichkeit für mich, die Frau zu sein, die ich immer war – in den Kleidern, die ich immer schon tragen wollte, für zwanzig Minuten durch eine Hotelhalle zu schlendern, in einem dunklen Kino zu sitzen oder ziellos durch die Gegend zu fahren.

      So will ich in den Himmel kommen. So soll Gott mich vor sich sehen, damit ich ihn fragen kann: Habe ich alles falsch gemacht? Hätte ich mehr tun können?

      Diese Antwort suche ich hier auf Erden. Aber bis ich sie finde, tue ich das, was ich am besten kann. Ich spiele Bruce.

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      Ich wurde dreimal geschieden. Mit den Möbeln, die ich im Laufe meines Lebens weggegeben habe, könnte man eine IKEA-Filiale bestücken. Wie oft ich mein Zuhause verloren habe, kann ich nicht mehr zählen. Jedenfalls sind mir nur wenige Fotos aus meiner Kindheit geblieben. Als ich mich 2013 von Kris trennte und mir ein Haus in Malibu mietete, richtete sie es in nur einem Tag mit einem Team von fünfzig Leuten aus dem Programm eines Möbelherstellers komplett neu für mich ein. Ich nahm nicht einmal meine Goldmedaille mit, die aus Sicherheitsgründen bei ihr im Safe lag. Aber das Akkordeon behielt ich.

      Keine Ahnung, wieso ausgerechnet dieses Instrument meine drei Scheidungen und zehn Kinder und Stiefkinder überstanden hat, wieso ich es immer noch mit mir herumschleppe, obwohl ich es seit fast sechzig Jahren nicht mehr gespielt habe. Wieso es jetzt in der Garage meines Hauses oben auf einem Regal schlummert und Staub ansetzt, ordentlich verstaut in seinem klobigen Originalkoffer. Mir ist überhaupt erst vor kurzem, als ich die Garage aufräumte, aufgefallen, dass es dort ist.

      Ich denke über viele Aspekte meines Lebens nach, das zu ungleichen Teilen wundersam und unglaublich absurd verlaufen ist. Über meine Beziehung zu meinen Kindern und Stiefkindern, von der ich gehofft hätte, dass sie enger werden würde, jetzt, da ich Caitlyn bin, aber das ist nicht geschehen. Ich überlege, ob ich die endgültige, geschlechtsangleichende Operation machen lassen sollte oder nicht. Mir gehen zudem all die Themen durch den Kopf, mit denen sich die Transgender-Community beschäftigt, und ich überlege, auf welche Weise ich sie unterstützen kann; das ist inzwischen eine geradezu heilige Aufgabe für mich. Zwar habe ich immer noch Angst vor der Einsamkeit, aber ich weiß auch, dass ich glücklicher und ausgefüllter bin als je zuvor in meinem Leben.

      Das Akkordeon ist nur ein Instrument, das Platz wegnimmt, ein Relikt aus der lange zurückliegenden Vergangenheit. Manchmal denke ich, wenn ich das Rätsel lösen kann, wieso ich es immer noch habe, dann käme ich auch dem Rätsel meines Lebens einen Schritt näher und würde mir endlich klar darüber, wer ich bin: ein Goldmedaillengewinner und Weltrekordler, der nach seinem Sieg kein Interesse mehr an irgendwelchen Wettkämpfen hatte. Ein Betrüger gegenüber seinem eigenen Ich. Eine schillernde Person des öffentlichen Lebens, privat nur ein Schatten. Ein guter Vater für seine Stiefkinder, der jedoch zeitweise kaum noch Kontakt zum eigenen Nachwuchs aus seinen beiden ersten Ehen hatte. Selbstbewusst und doch jeder Konfrontation aus dem Wege gehend. Gern unter Menschen und doch einsam. Offen und doch ohne Empathie. Äußerlich mit sich im Reinen, innerlich ständig im Widerstreit. Jemand, der immer gemocht werden wollte, aber nie darauf vertraute, dass es jemand tat – weil es so viele Zeiten gab, in denen ich mich selbst nicht leiden konnte.

      All diese unterschiedlichen Gefühle empfand ich zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich stark. Einige Tage waren besser als andere. Es gab Phasen, manche davon sogar herrlich lang, in denen ich nicht ständig meine Seele auf den Prüfstein stellte oder dachte, diese Zerrissenheit wäre nur vorübergehend oder könnte vielleicht geheilt werden, mit zwei Aspirin und einem Glas Wasser, einer Knoblauchzehe um den Hals und einer Hasenpfote unter dem Kopfkissen.

      Lange Zeit verstand ich nicht, was wirklich geschah. Ich hatte keinerlei Referenzpunkte, nichts Vergleichbares. Der Ausdruck Transgender, der heute so geläufig ist, hatte in der Welt, in der ich aufwuchs, so viel Bedeutung wie Facebook oder Twitter oder Instagram. In den USA sprach man erstmals 1974 von gender dysphoria – Genderdysphorie, Geschlechtsidentitätsstörung.

      Amerika, 1949. Vier Jahre nach dem Abwurf der Atombombe, Harry Truman ist noch Präsident. Der VW-Käfer kommt in den USA auf den Markt, in Los Angeles fällt so viel Schnee wie nie zuvor, das Musical South Pacific von Rodgers und Hammerstein läuft am Broadway an, und Howard Unruh geht als Massenmörder in die US-Geschichte ein, als er in Camden, New Jersey dreizehn seiner Nachbarn mit einer Luger erschießt, die er als Souvenir aus dem Krieg mitgebracht hat.

      Bruce Springsteen und Billy Joel kommen zur Welt. Ebenso Meryl Streep und Sissy Spacek. Und dann auch ich, am 28. Oktober 1949, an dem Tag, als beim Absturz eines Air-France-Jets über den Azoren alle Insassen sterben. Aber zugleich ist es auch der 63. Geburtstag der Freiheitsstatue.

      Das ist typisch für den ewigen Widerstreit in meinem Leben.

      Ich wuchs in den 1950er Jahren auf, dem amerikanischen Zeitalter des Automobils, des Ausbaus der Interstate-Verbindungen unter Eisenhower, von McCarthys Kommunistenhatz, in der Zeit von Rauchende Colts, Perry Mason, Bonanza und vielen anderen Serien, in denen alle wichtigen Rollen von weißen Schauspielern übernommen wurden. Es saß kein einziger Afroamerikaner im Senat und mit Margaret Chase Smith aus Maine nur eine einzige Frau.

      In meiner Jugend kannte ich keinen einzigen Menschen, der schwul oder lesbisch war, oder vielmehr, ich kannte niemanden, der sich öffentlich dazu bekannte, weil die damalige Gesellschaft das einfach nicht zuließ. Heute ist das zwar besser geworden, aber an viel zu vielen Orten existiert diese repressive Atmosphäre immer noch und macht es all denen schwer, die von der so genannten Norm abweichen – wobei diese Norm für mich nichts weiter ist als eine willkürliche Vorverurteilung durch ignorante und hasserfüllte Leute.

      Etwa ein Jahr nach meiner Geburt wurde vom US-Senat eine Untersuchung zu so genannten „Homosexuellen und anderen sexuell Perversen“ in Auftrag gegeben. Zu ihren Ergebnissen, soweit man sie heute noch wiedergeben kann, zählte beispielsweise:

      Die zuständigen Behörden sind sich einig, dass die meisten sexuell Abartigen gut auf psychiatrische Behandlungen ansprechen und geheilt werden können, sofern die Betreffenden den aufrichtigen Wunsch dazu verspüren. Allerdings haben viele bekennende Homosexuelle nicht wirklich das Bedürfnis, ihr bisheriges Leben aufzugeben, und in solchen Fällen ist eine Heilung schwierig, wenn nicht unmöglich …

      Häufig versuchen diese Perversen, normale Bürger zu ihren abartigen Praktiken zu verleiten …

      Die fehlende emotionale Stabilität, die den meisten Perversen eigen ist, und ihre moralische Schwäche macht sie besonders empfänglich für die Verführungskünste ausländischer Spione. Den Geheimdiensten ist gut bekannt, dass Perverse bei Befragungen durch einen geschickten Agenten sehr nachgiebig sind und sich selten weigern, von sich selbst zu erzählen.

      Wir können also festhalten: Das Amerika, in dem ich aufwuchs, war nicht gerade ein besonders erleuchtetes Zeitalter. Heute frage ich mich, inwiefern dieses Umfeld meine konservative Einstellung beeinflusst hat, denn СКАЧАТЬ