Verlogen, dumm und unverschämt. Christof Wackernagel
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Название: Verlogen, dumm und unverschämt

Автор: Christof Wackernagel

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Essay-Reihe

isbn: 9783944369518

isbn:

СКАЧАТЬ radio verhält es sich ähnlich: da macht es die menge aus, die ständige berieselung und einlullung; es gibt zwei programme: auf dem einen sender eine auswahl von musiksendungen verschiedener programme – und zwar nur musik, mein vorschlag, wenigstens auf diesem einen programm sonntagmittag werner höfer reinzumachen, weil ich den auf mittelwelle hier nicht reinkriege, wurde abgelehnt.

      spitzenreiter ist das mittwöchliche wunschkonzert aus baden-baden, dessentwegen sogar das radio dann bis 24 uhr angelassen wird und erst nach dem dröhnenden abspielen der nationalhymne um null uhr sechs ausgeschaltet wird: wunschkonzerte erfreuten sich ja bekanntlich bei den nazis als perversion der brechtschen radio-thesen der zweigleisigkeit zum zweck der ablenkung größter beliebtheit.

      auf dem anderen sender swf 3, das amerikanischste programm der brd. flott, süffig, glatt, geschliffen, abgeleckte ware, ständig von für sich selbst werbenden spots à la rtl unterbrochen, selbst information und nachrichten als unterhaltung, krimi oder auch nur auflockerung der musiksendungen, wie mit einem glänzend glitzernden schleifchen verpackt, z. b. »pop-shop-infos«: funky-soul-musik.

      abblendung auf halbe lautstärke, darüber gesprochen: »die bundesrepublik exportiert: berufsverbote jetzt auch in argentinien. die argentinische regierung verfügte, daß ab sofort keine terroristen mehr in den staatsdienst dürfen«, wieder aufblenden der funky-soulmusik, in einem richtig duften, jungen, lässigen hey-wir-sind-unteruns-anmacher-ton gesprochen, so als ob da einer noch mit den knien wackelt und mit den fingern schnalzt.

       man könnte hier den ganzen tag auf dem bett liegen und die dahinsabbernde musik in sich reinlaufen lassen, abends dann noch drei stunden tv (was übrigens auch die letzten reste von gruppenstruktur unter den gefangenen verhindert, weil sie glotzen, anstatt sich zu unterhalten, was auch ein wesentliches merkmal der »behavior modification« ist), und was an aktivitäten zum weiterdahinvegetieren notwendig ist, wird von den wächtern verwaltet:

      da bleibt vom »dreckeimer ausleeren« übers »fertigmachen zum mittagessen fassen« bis zur sofortigen wegnahme leerer gläser (damit man sie nicht zum fenster rauswerfen kann) oder selbstgemachter kerzen (damit man wie ein kleines kind auch um 22:00 uhr brav ins bett geht) oder dem verbot, aus der zelle zu treten, wenn man sein hemd nicht in die hose gesteckt hat, nichts eigenes mehr übrig, das ist der normalzustand, der für die gefangenen, die arbeiten, nur noch angepaßter wird, jeweils zu beginn und ende der arbeitszeit und in den pausen ertönt dann auch noch der durchdringende dreiklanggong – als ob man’s nicht auch so merken würde …

      diese institutionalisierte behavior modification, diese totale fremdbestimmung und verwaltung der gefangenen (die z. b. auch so weit geht, daß in der hausordnung exakt angegeben ist, wie man sein bett machen soll, wie man den »spint« einrichten soll, wo die bücher, wo die teller etc.; auch der dezente hinweis, daß analphabeten sich ihre anträge und einkaufzettel von den wächtern ausfüllen lassen könnten, fehlt nicht – hab ich alles in noch keinem der sechs anderen gefängnisse gesehen, in denen ich bis jetzt war), die ja auch vorbildlichen mustercharakter hat (hier kommen sie aus allen möglichen gefängnissen, um zu lernen), bedeutet nicht nur die fast völlige bevormundung und entmündigung der gefangenen, sondern zielt direkt auf die zerstörung der persönlichkeit, der selbstachtung und des rückgrats der gefangenen:

      nur der angepaßte, opportunistische schleimer kann hier ein einigermaßen ungestörtes leben führen – für die andern ist es die abgestufte hölle: vom entzug der bonbons à la video über verlegung in einzelzellen (vor allem für die jugendlichen schlimm) bis hin zum bunker: das sind die stationen für die, die nicht mitmachen (und was für die läuft, die am meisten widerstand leisten und bei denen das programm nicht funktioniert, kommt dann noch an meinem beispiel …).

      symptomatisch für die wirkung dieses programms auf die gefangenen – gerade im unterschied zu ändern knästen, die noch nicht so weit sind, ist, wie sie abends am fenster schreien- daß geschrien wird, ist normal, nur wo in anderen gefängnissen die gefangenen noch tierische urschreie von sich geben, wie verletzte stiere brüllen, röhrend strotzende kraft (soundsoviel psychiater verdienen sich dumm und dusslig daran, den leuten beizubringen, überhaupt wieder so brüllen zu können, wie es für die meisten gefangenen eine ganz natürliche form der erleichterung und kommunikation ist, die auch kraft gibt), da ist hier auch diese quelle eigener selbstbestätigung bereits angegriffen: die gefangenen machen eine rückentwicklung zum kleinkind durch, schreien nicht, sondern wimmern wie babys, jaulen wie hunde (überhaupt die tiergeräusche – bis jetzt habe ich erst einmal einen immer muhen hören, sonst nie tiergeräusche – diese identifikation mit hunden ist natürlich bezeichnender, als man es mit worten beschreiben könnte!) oder geben stammelndes anal- und fäkalgelalle von sich, und wo andre noch nach »fotzen« und »löchern« schrien, kann man hier nur noch ab und zu was von »arschficken« hören, was aber auch schon das höchste der gefühle ist: von »scheiße«, »nieder mit den schweinen«, »macht sie fertig« oder »bambule«, die sonst geläufig sind, hab ich hier noch nichts gehört.

      2. die besondere station, auf der ich bin:

      aber das ist – wie gesagt – alles noch erst der »normalzustand«. die station, auf der ich bin, ist davon nochmal eine steigerung, suizidstation, »beobachtungsstation« für neuzugänge – laut anstaltsleitung ist hier außer mir keiner länger als 3-7 tage, von jugendlichen und »besonderen fällen« abgesehen –, die gefangenen am fenster nennen diesen trakt »verrücktenstation«, womit offensichtlich sowohl die gefangenen als auch die wachmannschaft gemeint sind, bereits im stockwerk drüber sei wieder »alles normal«, aber wie auch der »offizielle« name schon sagt, zeichnet sich diese station zunächst mal durch eine im vergleich zu andern stationen potenzierte überwachung aus. mehrmals stündlich – wobei sie aber nicht mal jedesmal extra kommen müssen, sondern auf den gängen sind und sozusagen nur noch nebenher immer mal wieder reinschauen müssen –, vor allem aber auch nachts, z. b. in der ersten stunde nach dem licht aus zwischen 22 und 23 uhr alle 15 minuten ein kontrollgang mit ausgiebigem reinglotzen in alle zellen, was ich bis auf eine zeitweilige spezialmaßnahme gegen uns noch nie erlebt habe, als »normalzustand« und dann auch noch für alle; meist – und auch auf den anderen stationen hier – findet nämlich außer 1-2 stichproben nichts derartiges statt; das andere hauptmerkmal dieser station ist aber die besondere wachmannschaft, es gibt überall unter 10 bewachern einen neurotiker, der versucht zu schikanieren, sich autoritär aufführt, sich wichtig macht, razzien besonders scharf macht, um einem was anzuhängen usw. usw., eben seine zerstörte persönlichkeitsstrukur innerhalb seines machtbereichs austobt.

      im allgemeinen sind solche typen noch zu verkraften, wenn die anderen einigermaßen umgänglich sind und sich zurückhalten, weil sie selbst ihre ruhe haben wollen; hier besteht die gesamte, schichtweise rotierende mannschaft nur aus lauter solchen »einen«, solche sind dann nicht nur in der lage, so eine dauerüberwachung durchzuziehen (das kotzt den normalen wächter nämlich auch an, das weiß ich authentisch), sondern sie machen es auch noch mit hingabe und vergnügen, woran man auch sehen kann, daß sie aus »dienstlichen notwendigkeiten« gezielt ausgewählt wurden.

      solche »nachgemachten menschen«, wie knut mal sagte, werden ihrer besonders verantwortungsvollen aufgabe aber vor allem dadurch gerecht, daß sie die gefangenen nur noch in demütigendem und autoritärem ton anbrüllen, »zurechtweisen« oder belehren, im besten falle die jugendlichen in jugendheimleiterlicher, jovial-altväterlicher strenge ansprechen: »na, ihr buben«, leise stimmbrüchige proteste, die nicht genau zu verstehen sind, »was, männer wollt ihr schon sein, na da müsst ihr aber erst noch wachsen« – normal, soweit man davon überhaupt reden kann, können sie aufgrund ihrer mutation überhaupt nicht mehr, deswegen wird es so verquer, wenn sie trotzdem reden müssen: als ich mich mal über den ton beschwerte, wunderten sie sich ernsthaft, was ich meinte, und verstanden es überhaupt nicht, weil sie es normal finden; auf meinen hinweis, daß ich das mir gegenüber verbitte, reagierten sie dann zum teil in einer überzogenen, extra künstlich betont aufgesetzten freundlichkeit – ich kam mir vor wie in der volksschule.

      damit СКАЧАТЬ