Verlogen, dumm und unverschämt. Christof Wackernagel
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Название: Verlogen, dumm und unverschämt

Автор: Christof Wackernagel

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Essay-Reihe

isbn: 9783944369518

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СКАЧАТЬ höchste sind drei wächter.

       die aggressivität und einen fast physischen angriff bedeutende wirkung einer solchen situation läßt sich praktisch kaum vermitteln und ist natürlich im kontext bzw. als gipfel alles bisher beschriebenen zu sehen, da ich es ablehne, mir unter solchen umständen morgens meine zwei schweigenden brote vom essenswagen zu holen oder diese heerscharen meine zelle penetrieren zu lassen; wenn ich post kriege, laß ich mir das zeugs jetzt alles durch die klappe geben, wenigstens kleine abgrenzungsdemonstration, zu der ich mich durch die überdeterminierte wachmannschaft gezwungen sehe, selbst dann kommen sie zu dritt, aber auch nicht, ohne zu evakuieren, und nicht ohne den obersten »dienstleiter«: als ich mal nachschlag wollte, mußte ich 10 minuten warten, bis der da war, die drei von der station konnten das nicht alleine, es gibt nur ein wort für das, was da läuft: krieg.

      das ist auch der grund, wieso ich das geschrieben habe, denn es macht klar, daß es nicht um eine auseinandersetzung wackernagel/ frankenthal geht, sondern um die auseinandersetzung guerilla/staat, wovon das nicht mal der schärfste ausdruck ist, siehe hochsicherheitstrakt, aber als – mehrfach so bezeichneter – normalvollzug auf andere weise umso gefährlicher, da es sich viel schwieriger vermitteln läßt; das besondere an frankenthal ist, dass für die spezielle aufgabe der zerstörung wackernagel, weil er raf ist, kein extra programm entwickelt werden muß, sondern sie paßt nahtlos in das allgemeine programm rein wie kaum woanders, das vorhandene wird nur auf höchststufe gefahren.

      als ich mal vom »sicherheitsinspektor« eine änderung verlangte, mindestens so, wie es in den anderen knästen auch sei, meinte er, es läge an mir, daß ich die situation so empfinden würde, wahrschein lich habe ein bruch (wolff heißt der typ) bei mir stattgefunden, dassei normal nach drei jahren knast. ich habe mich bedankt für die offenheit, mit der er einmal mehr den zweck des ganzen auf den begriff gebracht hat.

      und nochmal: auch wenn das ganze hier nur etwas deutlicher als zum beispiel gegenüber dem fast als kurhotel erscheinenden düsseldorf ist (es entspricht z. b. dem, was woanders vorübergehend nach einem fluchtversuch oder tätlichen angriff auf wächter durchgezogen wird, bloß als dauereinrichtung), ist es doch nur ein beispiel, daß es bei allen auf leben und tod geht: nicht mehr und nicht weniger.

      und es zeigt, daß es nur eine möglichkeit gibt, wenn wir hier nicht wie die fliegen verrecken wollen – und zwar egal ob lebenslang oder »nur« 15 Jahre –:

      die zusammenlegung.

       Widersprüche

       Zur Diskussion um Begnadigung oder Amnestie von Gefangenen aus der Roten Armee Fraktion

      Die Tatsache, dass der Bundespräsident erwägt, Angelika Speitel und Peter-Jürgen Boock zu begnadigen, ist sicherlich ein Zeichen dafür, dass die Hysterie der bundesrepublikanischen Gesellschaft gegenüber ihrer bisher fundamentalsten Opposition, der Roten Armee Fraktion, nach deren Scheitern abgeklungen ist. Warum, fragt man sich aber, ist für die Befürworter einer Begnadigung z. B. Boock der harmloseste Mensch auf der Welt, für ihre Gegner jedoch der raffinierteste und kaltblütigste Killer? Warum bricht mit einer Begnadigung für die einen gleich der Friede auf Erden aus, für die anderen geht die Welt unter? Warum ist diese Frage denn ohne aktuellen Anlass gerade jetzt ein zeitweilig tägliches Nachrichtenthema? Die irrationale Art und Weise, in der diese Diskussion geführt wird, lässt darauf schließen, dass nach wie vor einige zentrale Fragen tabuisiert werden. Und wenn man die Argumente der Befürworter und Gegner genauer untersucht, ergeben sich sogleich krasse Widersprüche:

      * Die Gegner betonen, man könne keine Mörder begnadigen, der Rechtsstaat leide Schaden. Sofern sie im Bundestag sitzen, sind sich dieselben Personen nicht zu schade, fast schon im gleichen Atemzug dafür zu plädieren, die Entlassung von Mördern nach 3 Jahren gesetzlich festzulegen, wenn diese Mörder zudem Verräter sind – wie geplant im neuen Kronzeugengesetz. So dummdreist funktioniert Politik hierzulande.

      Fragwürdig ist es jedoch, als Begründung für eine Begnadigung zu nennen, Speitel und Boock seien persönlich keine Morde nachgewiesen: Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar auch nicht – merkwürdigerweise erregen sich die professionellen Menschenrechtswahrer darüber aber nicht. Wenn die Tendenz der laufenden Debatte sein sollte, diejenigen zu verwöhnen, die keinen bewaffneten Kampf mehr machen wollen, um diejenigen, die – jedenfalls verbal – dazu stehen, noch mieser behandeln zu können, wird diese ganze Diskussion nur eine neue Generation RAF erzeugen.

      * Eines der meistgebrauchten Argumente der Befürworter ist, tausende tausendfacher Nazimörder seien in den 50er Jahren sehr schnell entlassen worden, warum also nicht auch die beiden jetzt. Boock und seine Anwälte fügen hinzu, er sei nur Mitläufer gewesen, nur der Techniker, der nie wusste, wer umgebracht werden sollte – eine Position, die im Lande der Mitläufer und Eichmänner, die auch nie wussten, was mit den Juden passierte, deren Transport sie organisierten, auf grauenhaftes Verständnis stösst und jede ernsthafte Auseinandersetzung um die RAF wie die Gesellschaft, die für sie mitverantwortlich ist, verhindert. Der Vergleich mit der Behandlung der Nazis zeigt also nur den Widerspruch, die Verlogenheit eines Staates, der mit zweierlei Maß misst. Dazu zu sagen ist aber, dass die Entlassung der Nazimörder in der Tat die moralische Korrumpierung eines ganzen Volkes, die ethische Verwahrlosung einer ganzen Gesellschaft ausdrückte, also exakt das, was z. B. die bayerische Justizministerin und andere rechte Politiker heute auf die Entlassung von Speitel und Boock projizieren: weil man die RAF – jedenfalls solange sie noch nicht genickschussmordete – nicht mit den Nazis gleichsetzen kann.

      * Schließlich wird in fast jedem Kommentar darauf verwiesen, dass Speitel und Boock sich »glaubhaft vom Terrorismus distanziert« hätten. Bis auf einige vorsichtige Nachdenklichkeiten von dem damaligen Regierungssprecher Klaus Bölling hat sich bis heute niemand der damals Verantwortlichen von dem zum Teil gesetzwidrigen Verhalten der Polizei und von den politisch unsinnigen und kontraproduktiven Überreaktionen der Regierung distanziert. Von der RAF wird verlangt, dass sie die Waffen niederlegen soll – was sie de facto zu tun im Begriffe ist, nachdem sie sich zuletzt auf Schrotflinten beschränkte –, noch nirgends war davon zu lesen, dass dann auch sämtliche mit der RAF begründeten Sondergesetze, Hochsicherheitstrakt und Sonderhaftbedingungen sowie der maßlose Ausbau der politischen Überwachung und Terrorisierung jeder noch so irrelevanten politischen Äußerung abgebaut wird. Es kann ja wohl nicht um einseitige Abrüstung gehen, aber auch eine Frage nach Vorleistungen ist einfach zu beantworten: der Staat, der in der Auseinandersetzung mit der RAF nun wirklich zweifelsfrei gesiegt hat – und gerade das lächerliche »Attentat« auf einen unbekannten Staatssekretär belegt das –, könnte es sich sogar leisten, das Verfahren umzudrehen, und erst sämtliche Sondergesetze im Eilverfahren rückgängig zu machen, die Hochsicherheitstrakts mit Bulldozern niederzureißen und BKA und Verfassungsschutz um 50 % zu reduzieren (sie sind dann immer noch doppelt so stark wie vor der RAF-Zeit); die 25 Knarren der RAF sind dann ungleich einfacher abgelegt. Damit kein Missverständnis entsteht: Damit wäre nicht jegliche gesellschaftliche, politische Auseinandersetzung, auch nicht die radikale, beendet – die Gründe dafür bestehen ja weiter und werden immer mehr –, es wäre nur eine längst unpolitisch gewordene Verlängerung längst vergangener Auseinandersetzungen beendet, eine Verlängerung, für die – und das ist der Punkt – diese Gesellschaft im Ganzen, diese Justiz und diese Linke, insbesondere die sich in diesem Jahr so peinlich selbst feiernde der selbsternannten »68er«, zentral mitverantwortlich sind.

      Eine Diskussion um eine Begnadigung – sogar die Begnadigung selbst, so sehr sie ein notwendiger und richtiger Schritt wäre – kann nicht die Diskussion über die Auseinandersetzungen in den siebziger Jahren ersetzen. Und sie kann nicht die Notwendigkeit ersetzen, sofort mit einem radikalen Abbau der unsinnigen Sicherheitsvorkehrungen und Schikanen in den Gefängnissen zu beginnen – sonst wäre sie nur ein Alibi. Wird sie jedoch als ein erster Schritt begriffen, den Prozess einer umfassenden Amnestie – die schon vom Begriff her auch ein Eingeständnis der Mitverantwortung der Gesellschaft und ihrer Verpflichtung zum Abbau der überzogenen neuen СКАЧАТЬ