Die Stimme. Bernhard Richter
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Название: Die Stimme

Автор: Bernhard Richter

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

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isbn: 9783894878207

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СКАЧАТЬ des Hörens sind also für die Eigenwahrnehmung wichtig (Abb. 59).

      Beim Hören der eigenen Stimme ist hinsichtlich der Luftleitung zu beachten, dass der Schall vom Mund bei der Übertragung durch die Luft das Ohr mit Verzögerung erreicht. Zudem gibt es im Mittelohr einen kleinen Muskel, den M. stapedius (Abb. 59, S. 66). Dieser Muskel wird zum einen bei lauten Geräuschen, die auf das Ohr treffen, reflexartig aktiviert, zum anderen aber auch kurz bevor man selber anfängt zu sprechen oder zu singen. Dies bezeichnet man als präphonatorischen Stape-diusreflex. Wenn dieser Muskel sich zusammenzieht, wird die Schallübertragung im Mittelohr gedämpft. Im Unterschied zum Anhören einer fremden Stimme ist das Hören der eigenen Stimme also in dreifacher Weise anders, da der Schall a) durch die verzögerte Luftleitung, b) durch die Knochenleitung und c) durch die veränderte Mittelohrübertragung modifiziert wird. Die Kenntnis dieser physiologischen Hintergründe der unterschiedlichen Wahrnehmung von fremder und eigener Stimme ist sowohl für Sänger als auch für Pädagogen von praxisrelevanter Bedeutung. Während der Gesangspädagoge die Stimme der Studierenden allein über den Weg der Luftleitung sozusagen ungefiltert beurteilt, ist die Stimme für den Sänger selbst gefiltert, insbesondere die hochfrequenten Schallanteile sind gedämpft.

      Abb. 58: Schwellen gleicher Lautstärkeempfindung (Isophone), Hauptsprachbereich (»Sprachfeld«), verschiedene Schalldruckpegel unterschiedlicher Hörsituationen sowie Hör-, Unbehaglichkeits- und Schmerzschwelle

      Abb. 59: Knochen- und Luftleitung

      Wegen der unterschiedlichen Vorgänge beim Hören der eigenen Stimme ist sie uns beim ersten Hören vermittels einer Tonaufnahme in den allermeisten Fällen fremd – manchmal sogar unsympathisch. Dies muss man berücksichtigen, wenn man als Künstler zur Kontrolle der eigenen Stimmproduktion mit Tonaufnahmen arbeitet. Man muss sich in die eigene Stimme also regelrecht »einhören« bzw. an sie »gewöhnen«.

      Jeder an der Beurteilung oder Betreuung von Stimmen Beteiligte muss sein Gehör intensiv schulen. Diese Schulung erfordert ein jahrelanges geduldiges Training. Seidner und Mitautoren haben hierfür den Begriff »Stimmklanglauschen« vorgeschlagen (Seidner et al. 2009).

      Das Hören sollte so geschult werden, dass es analytisch die drei Ebenen des Instruments Stimme, nämlich Tonanregung (Atmung), Ton-/Klangproduktion (Kehlkopf) sowie Ton-/Klangformung (Resonanzräume) (vgl. Kap. 2, S. 27), so differenziert wie möglich unterscheiden kann. Dieses analytische Hören ist für alle wichtig, die sich mit Stimmen beschäftigen – unabhängig davon, ob sie künstlerisch, pädagogisch, diagnostisch oder therapeutisch ausgerichtet sind. Wesentlich bei diesem analytischen Hören ist zunächst, dass wir lernen die einzelnen Elemente wahrzunehmen. Gerade bei Stimmen, die uns beim ersten Hören nicht gefallen oder die stilistisch in einer Weise produziert werden, die uns fremd ist oder nicht zusagt, ist dieses differenzierte Wahrnehmen nicht einfach und erfordert ein hohes Maß an Disziplin. Man darf sich nicht gleich abwenden und die sprichwörtliche »Flinte ins Korn werfen«, sondern muss analytisch »am Ball bleiben«.

      Die Fragen der hörenden Stimmbeurteilung sollten immer hierarchisch in folgender Reihenfolge ablaufen: Erstens, was hören wir? Und, zweitens, wie wird dieser Klang vermutlich erzeugt und modifiziert? Erst dann sollte die Frage gestellt werden: Wie sind die einzelnen Elemente zu bewerten im Sinne von stilistisch passend/nicht passend oder richtig/falsch oder unschädlich/schädlich oder auch gesund/krank.

      Schon während der eigenen stimmlichen Ausbildung ist es von großer Wichtigkeit, anhand von Live-Konzerten, aber auch von Aufnahmen berühmter Künstler, die heute leicht zugänglich sind, das Gehör darin zu trainieren, vergleichend zu hören, wie in Kapitel 5, S. 95, anhand des Goethe-Gedichtes PROMETHEUS exemplarisch vorgeschlagen. Die Hörschulung sollte immer Sprech- und Singstimmen gleichermaßen umfassen. Sie sollte zudem möglichst umfassend sein und verschiedene Gesangsstile und -schulen berücksichtigen. Dies geht am leichtesten, wenn man es sich zu eigen macht, systematisch bei jeder Stimme dieselben Parameter einzuschätzen. In diesem Höreindruck sollten – in Anlehnung an den Vorschlag von Seidner und Wendler – Aspekte der Tonbildung (Stimmeinsatz und -absatz), der Tonqualität, des Stimmklangs (z. B. Timbre), der Tragfähigkeit, der Intonationsfähigkeit, der Registerreinheit und auch des Vibratos erfasst werden (Seidner u. Wendler 1997) (vgl. Kap. 9, S. 177). Dadurch kann man sich ein Bild über die technische Beherrschung der Stimme, die Atem- und Stimmökonomie, den Grad der stimmlichen Anstrengung und Belastbarkeit sowie möglicher unerwünschter Geräuschanteile verschaffen. In Tab. 3 werden »sieben Kriterien« vorgeschlagen, die beim Hören in jedem Fall beurteilt werden sollten.

      Ein Vorsingen bzw. Vorsprechen in der ärztlichen Sprechstunde – insbesondere auch der problematischen Stellen einer Partie – ist aus diesem Grunde zur stimmärztlichen Beurteilung sehr hilfreich. Zudem besteht in der Sprechstunde dann die Möglichkeit, Stimmen interaktiv zu testen, indem auch kritische Bereiche der Stimmproduktion wie Pianofähigkeit, Steigerungsfähigkeit, Registerübergänge o.ä. anhand von spezifischen Übungen physiologisch überprüft werden. Neben dem Erkennen von Stimmpathologien unter diagnostisch/therapeutischen Gesichtspunkten, ist dies auch unter dem Gesichtspunkt der Vertrauensbildung zwischen Ratsuchendem und Stimmexperten sehr wichtig.

Kriterium Funktionszusammenhang
Tonbildung Atmung und Kehlkopf
Tonqualität Kehlkopf und Resonanzräume
Stimmklang Kehlkopf und Resonanzräume
Tragfähigkeit Atmung und Resonanzräume
Intonationsfähigkeit Atmung und Kehlkopf, Kinästhetik/Hören
Register Gesangstechnik
Vibrato Atmung, Kehlkopf und Resonanzräume

      Tab. 3: »Sieben Kriterien« und die ihnen vornehmlich zugeordneten Funktionseinheiten

      Der scharfzüngige New Yorker Kritiker William James Henderson (1855–1937) stellte schon vor über hundert Jahren in The Sun klare Richtlinien auf, welche die Beurteilung einer Stimme rein auf den Höreindruck stützt. Er billigte dem analytischen Hören ein hohes Maß an Objektivität zu:

      »Wenn jemand falsch singt, spielt es keine Rolle, wer zu hören meint, es sei richtig. Die einzige Frage ist: ›Kann man es hören oder nicht?‹ […] Ob eine Sängerin eine durchweg ausgeglichene Stimme hat, ob ihre tiefen Töne weiß oder kehlig klingen […], ob ihre Koloratur brüchig, verkrampft oder schwerfällig ist, ob ihre Melodielinie durch eine unkünstlerische Phrasierung ruiniert wird, ob sie sauber singt oder nicht, ob sie die Musik so ausführt wie sie in den Noten steht oder wie es ihr selbst in den Sinn kommt – dies sind keine Fragen der Meinung dies sind Tatsachen. Kurz gesagt, nichts ist offensichtlicher, als das Resultat, welches in einer künstlerischen Aufführung technisch erreicht werden kann und die einzige Frage die überhaupt bezüglich einer Kritik gestellt werden kann, ist: ›Hat der Kritiker richtig gehört?‹ Wenn er nachweislich die Eigenart hat, nicht genau hinzuhören, dann ist er so ungeeignet für den Beruf des Musikkritikers wie СКАЧАТЬ