Название: Die Stimme
Автор: Bernhard Richter
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783894878207
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Abb. 63: Einzelbilder einer Stimmlippenschwingung in der Stroboskopie mit »Randkantenverschiebung« des Epithels; Aufnahme mit Mediastroboskop der Fa. Atmos
Während mit dem Kehlkopfspiegel lediglich die grobe Beweglichkeit der Stimmlippen beurteilt werden kann, ermöglicht die Stroboskopie auch die Darstellung der Feinschwingungen der Stimmlippen, der sogenannten Randkantenverschiebung. Diese Visualisierung der Feinschwingungen ist für die Diagnostik von organischen und funktionellen Stimmstörungen gleichermaßen unverzichtbar. Als derzeitiger »Goldstandard« in der klinischen Praxis gilt die digitale Video-Laryngostroboskopie (Richter u. Echternach 2010). Diese Technologie ermöglicht es, die Befunde digital aufzuzeichnen und nach der Untersuchung auszuwerten. Die korrekte Darstellung und Auswertung der Befunde erfordert große Erfahrung. Mittels dieser Methoden werden vornehmlich Aussagen zur Schwingungsamplitude, zum Stimmlippenschluss und zur Randkantenverschiebung getroffen. Aber auch die oberhalb der Stimmlippen liegenden Strukturen wie die Taschenfalten und der Kehldeckel sollten in ihrer Beschaffenheit und Funktionsweise mit beurteilt werden. In jüngster Zeit werden auch Versuche beschrieben, die bisher nicht normierte und quantifizierte Beurteilung der erhobenen Parameter zu vereinheitlichen und quantitativ einschätzbar zu machen (Fleischer u. Hess 2006; Hanschmann u. Berger 2009; Nawka u. Konerding 2012).
Hochgeschwindigkeitsglottografie
Gegenüber dem Verfahren der Stroboskopie bietet die Hochgeschwindigkeitsglottografie, wie sie mit einer Echtzeitkamera durchgeführt werden kann, die Möglichkeit der Aufnahme von mehreren Tausend Bildern pro Sekunde. Obwohl schon seit Ende der 1930er Jahre mit Hochgeschwindigkeitsaufnahmen experimentiert wird (Farnsworth 1940; Timcke 1958), hat diese Methode noch keinen Einzug in die klinische Routine gefunden (Wittenberg et al. 2005; Deliyski u. Hillmann 2010). Sie wird jedoch zunehmend in der stimmphysiologischen Grundlagenforschung angewendet (Echternach et al. 2010c). Für den klinischen Gebrauch sind bisher Geräte zugelassen, die, wie z. B. die HRES Endocam der Fa. Wolf, 4000 Bilder pro Sekunde aufnehmen können (Abb. 64). Dies bedeutet, dass bei einer Grundfrequenz von 100 Hz immerhin 40 Bilder und bei einer Grundfrequenz von 400 Hz noch 10 Bilder pro glottalem Zyklus für die weitere Auswertung zur Verfügung stehen. Gegenüber dem Verfahren der Stroboskopie, welches lediglich durch Einzelbilder aus verschiedenen glottalen Zyklen einen virtuellen glottalen Zyklus zusammensetzt, ermöglicht die Echtzeitkamera die wirkliche Betrachtung einzelner glottaler Zyklen, was gerade bei der Fragestellung der Registerübergänge mit schnellen glottalen Zyklusänderungen von entscheidender Bedeutung ist.
Abb. 64: Bildschirmdarstellung der HRES Endocam (Fa. Wolf) mit Audiosignal, Kymografie, Flächenfunktion und Kontur des mittleren Trajektors
Im Gegensatz zur Video-Stroboskopie lassen sich aus digitalen Hochgeschwindigkeitsaufnahmen mit Hilfe von Bildverarbeitungsalgorithmen zunächst Bewegungskurven der Stimmlippen an deren Rändern berechnen und aus diesen Orts-Zeit-Kurven wiederum charakteristische Parameter zur quantitativen Beschreibung der Stimmlippenschwingungen ableiten, wie z. B. Ein- bzw. Ausschwingzeit, Grundfrequenz und Amplitude für jede Stimmlippe, Öffnungs- und Schließungsquotienten etc. (Wittenberg et al. 2005). Eine weitere Auswertungsmöglichkeit besteht mit den von der Arbeitsgruppe um Lohscheller und Döllinger entwickelten Phonovibrogrammen (Lohscheller et al. 2008). Dies ist ein automatisiertes Verfahren zur quantitativen Analyse der Stimmlippendynamik. Mit diesen Auswertungsmethoden wird zukünftig ein Übergang von der rein qualitativen Beschreibung eines optischen Eindrucks hin zur quantitativen Berechnung möglich sein.
»Fallstricke« bei der Visualisierung der Stimmlippenschwingungen
Bei aller – durchaus berechtigten – Technikbegeisterung sollte man nicht vergessen, dass ein technisches Gerät immer nur so »schlau« sein kann, wie der Anwender, der es bedient. Es ist deswegen unabdingbar, dass neben den Möglichkeiten, die eine Technik bietet, immer auch zeitgleich ihre Limitationen mitbedacht werden. So bietet die Stroboskopie eine sehr gute visuelle Darstellung, die jedoch subjektiv mit viel Erfahrung interpretiert werden muss. Es sollte immer eine gleichberechtigte Wertigkeit von Hören, Sehen und eigenem Denken gewahrt bleiben. Für die korrekte Einordnung des endoskopischen Bildes in die funktionellen Aspekte der Stimmbildung müssen also über die optische Darstellung hinaus immer, sozusagen »zwingend«, der Klang der Stimme sowie die gesangliche und stimmliche Leistungsfähigkeit beurteilt werden.
Immer wieder erlebt man in der stimmärztlichen Sprechstunde, dass Sänger, die wegen eines eigentlich banalen Infektes einen HNO-Arzt fern des Heimatortes aufsuchen – der sie nicht kennt und der manchmal wenig Erfahrung in der Betreuung von Sängern aufweist – nach einer laryngoskopischen Untersuchung zu hören bekommen: »Ihre Stimmlippen schließen nicht richtig«, oder schlimmer noch: »Sie haben ja Knötchen auf den Stimmlippen« (Richter 2011a). Sänger sind durch solche Äußerungen maximal zu verunsichern! Bei jeder fraglichen Schlussinsuffizienz gilt die Faustregel: Wenn im Stimmklang keine Behauchung zu hören ist, dann liegt auch keine Schlussinsuffizienz der Stimmlippen vor! Gründe für eine vermeintliche Schlussinsuffizienz gibt es mehrere. So ruft die Untersuchungssituation mit einer starren Optik durch den Mund durch die herausgezogene Zunge – und die Angst vor dem Würgereiz – nicht selten eine scheinbare Schlussinsuffizienz als Artefakt hervor, da zu leise und zu behaucht phoniert wird (Abb. 65a). Auch ist bei höheren Stimmen eine Lücke in den hinteren Abschnitten der Stimmlippen, ein sogenanntes posterior gap, als physiologisch anzusehen (Abb. 65b).
Häufig ist auch eine terminologische Unschärfe in der Einteilung von gutartigen Stimmlippenveränderungen zu beobachten, indem alle Veränderungen unter der irreführenden Bezeichnung »Knötchen« subsumiert werden, obwohl echte Knötchen sehr selten sind (Kunduk u. McWhorter 2009).
Abb. 65 a/b: Inkompletter SL-Schluss: a) bei zu leiser behauchter Phonation bedingt durch die herausgezogene Zunge und die Angst vor dem Würgereiz, b) posterior gap als physiologische Lücke im intercartilaginären Anteil v. a. bei hohen Stimmen (vgl. Kap. 2, S. 48)
Abb. 66 a/b: Funktionelle Phonationsverdickungen a) kurz vor Stimmlippenschluss, b) Respirationsstellung
Zudem ist es keinesfalls eine Rarität, dass bei professionellen СКАЧАТЬ