Deutschland und die Migration. Maria Alexopoulou
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СКАЧАТЬ das neue Staats- und Reichsangehörigkeitsrecht auf »Mischehen und Mischlinge« keine Anwendung finde. Das bedeutete, dass in diesem Fall trotz der Patrilinearität, die im Gesetz festgeschrieben war, der ›deutschstämmige‹ Vater die deutsche Staatsangehörigkeit nicht an sein Kind vererbte. Parallel dazu wurden im Reichskolonialamt weitere Verordnungen erarbeitet, die einen regelrechten »Rassestaat« in den »Schutzgebieten« etabliert hätten. Diese Planungen vereitelte jedoch der Erste Weltkrieg, der den Verlust des Kolonialreichs nach sich zog.2

      Trotz allem waren in Deutschland angesichts des regen Migrationsgeschehens vor dem Ersten Weltkrieg und dann noch in der Weimarer Republik Ermessenseinbürgerungen recht häufig. Die Einbürgerungsquote lag mit etwa zwei Prozent – das bedeutet, dass in diesem Jahr zwei Prozent aller Ausländer naturalisiert wurden – jedenfalls höher als in der späteren Bundesrepublik. Gleichzeitig aber überformte das grassierende rassistische Wissen den gesamten Einbürgerungskomplex insofern, als dass die Herkunft und deren vermeintlicher Wert zunehmend zum entscheidenden Kriterium dafür wurden, ob jemand als Deutscher anerkannt wurde. ›Deutschstämmigkeit‹, später ›deutsche Volkszugehörigkeit‹ und die völkisch-kulturell-biologische Nähe zum ›Deutschtum‹ entwickelten sich zur Norm, die für Einbürgerungen angelegt wurde – und das galt in graduellen Abstufungen noch bis 1999.

      Das Gesetz von 1913 gab zwar nicht direkt den Weg zu den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 vor; doch es war das rechtliche Pendant zum Konzept der deutschen »Volksgemeinschaft«, das schon zu Beginn des Ersten Weltkrieges erstmals Konjunktur hatte. In der Weimarer Republik wurde das Konzept der »Volksgemeinschaft« weiter konkretisiert, im »Dritten Reich« erlebte es seine Hochzeit, und auch nach 1945 sollte es nicht völlig verschwinden.

      Die erste Zwangsarbeit

      Ohne den Einsatz der etwa drei Millionen ausländischen Arbeitskräfte wäre die deutsche »Heimatfront« während des Ersten Weltkrieges viel schneller zusammengebrochen, so der Migrationsforscher Klaus J. Bade.1 Sie alle leisteten zumindest zum Ende des Krieges hin Zwangsarbeit unter immer schwieriger werdenden Bedingungen: die Kriegsgefangenen, die aus Belgien und Russisch-Polen zur Zwangsarbeit Deportierten sowie die belgischen und russisch-polnischen »freiwilligen« Arbeiter*innen. Auch diese Gruppen von Ausländern wurden rechtlich und im Alltag unterschiedlich behandelt: Die Kriegsgefangenen und deren Arbeitseinsatz unterstanden dem internationalen Völkerrecht. Die Deportation von belgischen Arbeiter*innen aus den besetzten Gebieten löste dagegen internationale Proteste aus und wurde im Versailler Friedensvertrag auch entsprechend sanktioniert.

      Was die polnisch-russischen Arbeiter*innen erdulden mussten, wurde hingegen weder während des Krieges noch danach skandalisiert oder in irgendeiner Weise entschädigt. Russisch-polnische Arbeiter*innen, die bereits in Deutschland erwerbstätig waren, wurden bei Ausbruch des Krieges an der Rückkehr gehindert; andere wurden später teils mit brutaler Gewalt von der deutschen Besatzung zwangsrekrutiert. Manche waren auch freiwillig gekommen – wobei die Forschung rückblickend keine klare Grenze zwischen Zwang und Freiwilligkeit ziehen kann.

      Einer der Gründe, warum die Behandlung dieser Zwangsarbeiter*innen, unter denen auch zahlreiche jüdische Pol*innen waren, kaum von den Zeitgenoss*innen kritisiert wurde, war wohl, dass die Diskriminierung dieser Herkunftsgruppe bereits vorher existiert hatte und nun lediglich verschärft wurde. Polnisch-russische Arbeitskräfte unterlagen erneut einem restriktiven Sonderrecht, das ihre teilweise Internierung, die Zuteilung einer Arbeitsstelle und das Verbot, diese, den Wohnort oder gar die eigene Behausung etwa zum Kirchgang ohne polizeiliche Genehmigung zu verlassen, umfasste. Ihr Leben war derart unfrei, dass sie auch ihrem Umfeld klar als Zwangsarbeiter*innen erkennbar gewesen sein müssen. International war diese Art, Zwangsarbeit unter Kriegsbedingungen durchzusetzen, jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt neu und einmalig.2

      Dieses Kapitel von Zwangsarbeitsmigration ist noch nicht vollständig durchleuchtet und insbesondere der breiteren Bevölkerung heute wenig bekannt. Ebenso ist in der Forschung die Frage noch nicht klar beantwortet, inwiefern diese erste Erfahrung mit Zwangsarbeit in einem Weltkrieg die Nationalsozialisten inspirierte, ob es also direkte Kontinuitätslinien gab. Auch ist noch nicht geklärt, inwiefern die vorherigen Erfahrungen mit Zwangsarbeitslagern in den Kolonien für beide Fälle als Vorbild dienten.

      Die deutsche »Volksgemeinschaft« formiert sich – Die Weimarer Republik

      Dem Wegfall großer Gebiete des ehemaligen Kaiserreichs nach dem Ersten Weltkrieg folgten große Migrationsbewegungen, die die Nachkriegszeit und die Anfänge der Weimarer Republik stark mitprägten.1 Unter den Neuankömmlingen waren die sogenannten »Grenzlandvertriebenen«, also Reichsbürger*innen, die aus Elsass-Lothringen ins Rheinland und nach Baden kamen, sowie preußische Staatsbürger*innen, die aus den Ostgebieten ins nun geschrumpfte Preußen einwanderten.

      Hinzu kamen weitere ›Deutschstämmige‹ aus dem ehemaligen Habsburgerreich oder deutsche Kolonist*innen aus polnischen und russischen Gebieten. Letztere, die »Russlanddeutschen«, waren schon Jahre zuvor als mögliche Rücksiedler ins Visier der Politik gerückt. Man hatte erwogen, sie an den östlichsten Grenzen des Reichs anzusiedeln, um die auslandspolnischen Arbeitsmigrant*innen in der Landwirtschaft zu ersetzen, wie es auch Max Weber empfohlen hatte.

      Für die Russlanddeutschen sowie all jene ›Deutschstämmigen‹, die nach der Neuordnung Europas automatisch oder auf Wunsch Staatsbürger*innen anderer Staaten wurden, kam in jener Zeit der Begriff des »Volksdeutschen fremder Staatsangehörigkeit« auf. Mit dem »Volksdeutschen« betrat eine wirkmächtige Figur die migrationshistorische Bühne, die noch bis in die 1990er Jahre bedeutsam bleiben sollte.

      Neben etwa einer Million Einwanderer*innen, die als deutsch galten, hielten sich zahllose Migrant*innen oder Transmigrant*innen damals in Deutschland länger oder auch nur kurzzeitig auf. Das waren ehemalige Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter*innen, Menschen, die nach der Russischen Revolution 1917 ins Exil gegangen waren, und zahlreiche osteuropäische Jüdinnen und Juden, die vor Pogromen in ihren Heimatorten flohen. Zudem kamen weiterhin Arbeitsmigrant*innen aus dem Osten und dem Süden Europas nach Deutschland, auch wenn ihre Zahl die Viertelmillion wegen der Nachkriegswirren und der späteren Weltwirtschaftskrise nie überschritt und sie größtenteils nur in der Landwirtschaft tätig waren.

      1927 wurde dennoch das erste Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und dem neuen polnischen Staat geschlossen, das die saisonale Arbeitswanderung aus Polen regelte. Bilaterale Anwerbeabkommen lagen ganz im Trend der Zeit, zumal in Europa unter der Federführung Frankreichs seit 1919 zahlreiche derartige Abkommen geschlossen wurden und Institutionen wie die ILO, die Internationale Arbeitsorganisation, entstanden.

      In Deutschland traten parallel dazu die nunmehr erstarkten Gewerkschaften auf den Plan und setzten mit dem »Inländervorrang« ein Arbeitsmarktinstrument durch, das das Arbeitsmigrationsregime bis in die Gegenwart hinein prägt: Zwar sicherte es den ausländischen Arbeitsmigrant*innen eine tarif- und arbeitsrechtliche Gleichstellung, die ihnen selbst zugutekam, doch primär sollte es die deutschen Arbeiter*innen vor billigerer Konkurrenz schützen. Deutsche hatten als Bewerber*innen stets Vorrang, und eine Stelle konnte erst dann mit einem Ausländer besetzt werden, wenn keine Deutschen dafür zur Verfügung standen.

      1922 übernahm das Reichsarbeitsministerium die Steuerung der Arbeitsmigration, und seitdem wurde die Ausländerpolitik noch effizienter an der konjunkturellen Lage der Volkswirtschaft ausgerichtet. Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse wurden an den jeweiligen örtlichen Bedürfnissen oder den aktuellen politischen Vorgaben orientiert und grundsätzlich nur für ein Jahr erteilt, vor Ort oblag den Polizeibehörden die Umsetzung und Überwachung der Vorgaben. Die Arbeitsmigrant*innen wurden somit zu einer berechenbaren ökonomischen Größe, die je nach Interessenlage gezielt eingesetzt und deren Anzahl nach Belieben vergrößert oder verkleinert werden konnte, eine Variable in einem Verwertungskalkül, das ganz auf die Bedarfe der deutschen Volkswirtschaft und СКАЧАТЬ