Deutschland und die Migration. Maria Alexopoulou
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СКАЧАТЬ vertrat Weber die These, dass deutsche von polnischen Arbeiter*innen kontinuierlich aus den östlichen Provinzen des Kaiserreichs verdrängt würden, was er nicht nur als ökonomische, sondern auch als essentielle kulturelle Gefahr wertete. Die polnischen Arbeiter*innen seien wegen ihres minderen Wesens bereit, unter schwierigeren Umständen für weniger Lohn zu arbeiten. Der »Zuzug vom Osten« habe damit nicht nur Nachteile für den Arbeitsmarkt, sondern sei vielmehr eine »Existenzfrage« des »Deutschtums«, da die deutsche Kultur im Osten zurückgedrängt und die deutsche Kolonisation dort zunichte gemacht würden. Bei der Diskussion seiner Thesen kam auch der Begriff der »Überfremdung« auf, der noch eine lange Geschichte in der Debatte um Migration in Deutschland haben sollte.

      Dementsprechend richteten sich die Bestrebungen national-radikaler, völkischer und antisemitischer Kreise primär gegen die osteuropäischen, insbesondere die jüdischen Migrant*innen, deren Naturalisierung, den formaljuristischen Endpunkt des Einwanderungsprozesses, sie verhindern wollten. Im deutschen Kaiserreich handhabten die einzelnen Bundesstaaten die Einbürgerung allerdings noch sehr unterschiedlich. Hasse forderte als nationalliberaler Abgeordneter in einer Reichstagsrede im März 1895, die »Rasse- und Sprachfremden […] slawischer und semitischer Abstammung« sollten »grundsätzlich überhaupt nicht oder nur so wenig als möglich naturalisiert« werden.11 Insgesamt sollten keine Ausländer »fremden Stammes«, zu denen er auch Italiener und Tschechen rechnete und die »minderwertiges Menschenmaterial« seien, eingebürgert werden.12 Dieses Privileg wollte er nur noch ›Deutschstämmigen‹ zugestehen, etwa Ausgewanderten, die nach Deutschland zurückkehrten. Sie sollten ihre Staatsbürgerschaft nach zehn Jahren der Abwesenheit künftig nicht mehr automatisch verlieren. Das gleiche sollte für die deutschen Siedler*innen in den Kolonien gelten, die Reichsdeutsche bleiben sollten.

      Darüber, dass die »Eingeborenen« überseeischer Besitzungen keine Reichsdeutschen sein konnten, waren sich die Politik und Fachjuristen weitgehend einig, zumal die Kolonien nur »Schutzgebiete« und damit kein vollwertiger Teil des Reichs waren. Manche erklärten die dort ansässige Bevölkerung zu »Reichsausländern«, die aber vielfach schlechter gestellt waren als andere weiße Ausländer, die im jeweiligen Gebiet lebten, etwa Buren oder Briten. Auch die Frage nach dem formaljuristischen Status von »Mischehen« und »Mischlingen« kam sehr bald auf, so dass eine Änderung bzw. diesbezügliche Präzisierung des Staatsbürgerschaftsrechts aus Sicht der Mehrheit der Parteien und Abgeordneten im Reichstag notwendig schien.13

      Antisemitischer, antislawischer und gegen die kolonisierten Bevölkerungen in Afrika und Asien gerichteter Rassismus sowie deren binäres Gegenstück, nämlich die völkisch-rassisch-kulturelle Überhöhung der Deutschen und die daraus abgeleiteten Rechte auf eine expansionistische, gewalttätige und unterdrückende imperiale Politik verflochten sich also in jener Zeit zu einem Bündel an rassistischen Überzeugungen. Dieses Geflecht, das in Deutschland in kommunistischen, sozialistischen, teilweise sozialdemokratischen und einigen liberalen Kreisen noch bekämpft wurde, wurde zudem mit vermeintlich wissenschaftlichen Argumenten unterfüttert, wodurch sich allmählich ein rassistisches Wissen herausbildete.

      Die Jahrhundertwende war die Hochzeit der wissenschaftlichen Rassentheorien, in denen Biologie und Medizin, aber auch die »Völkerkunde«, nicht nur die »unterentwickelten Kolonialvölker« taxierten, sondern auch innerhalb Europas Hierarchien zwischen den nordischen, den slawischen, den südlichen und sonstigen »Völkern« herstellten. Darüber hinaus vollzog sich in jener Zeit die »Verwissenschaftlichung des Sozialen« (Lutz Raphael): Der Sozialdarwinismus setzte sich als dominantes Deutungsmuster durch, demzufolge das Soziale als Ausdruck biologischer Verhältnisse und Entwicklungen zu verstehen ist. »Rasse« war dabei ein Begriff, der zwischen Biologie und Kultur changierte und deren vermeintlich engen Zusammenhang postulierte.

      Diese neuen rassistischen Wissensbestände verbreiteten sich nicht nur in akademischen Kreisen und in allen politischen Milieus, sondern auch in der breiteren Öffentlichkeit. Das lässt sich daran ablesen, wie über den Kampf der deutschen Kolonialtruppen gegen den Widerstand der Herero und der Nama – Letztere wurden als »Hottentotten« bezeichnet – diskutiert wurde. Das Thema war äußerst präsent in den Medien, besonders im Rahmen der Reichstagswahl von 1907, die als »Hottentottenwahl« in die Geschichte einging.

      In ihrem Zusammenhang wurde auch das Für und Wider der Kolonialpolitik breit diskutiert. Reichskanzler Bülow erklärte dem Reichstag, dass Kolonialpolitik keine Entscheidungsfrage sei – man könne sich nicht dagegen entscheiden, sondern man müsse kolonisieren, da der »Trieb zur Kolonisation zur Ausbreitung des eigenen Volktums« in jedem vitalen Volk angelegt sei. Der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger stimmte dem Prinzip zu, plädierte aber dafür, die Kolonialvölker nicht als Feinde, sondern als »Mündel« zu betrachten; denn der »Eingeborene ist das schwarze Kind mit seinen Vorzügen und all seinen großen, großen Schattenseiten«. Und selbst August Bebel, Abgeordneter der SPD, die sich bislang gegen die Kolonialpolitik ausgesprochen hatte, bezeichnete die Kolonisation als »Kulturtat«, welche den »fremden Völkern« die »Errungenschaften der Kultur und der Zivilisation« bringe.14

      In der medialen Berichterstattung über den Guerillakrieg der Nama gegen die deutschen Kolonisatoren vollzog sich in Deutschland, so der Historiker Frank Oliver Sobich, parallel dazu ein Wandel des vorherrschenden Bilds »des Negers« vom faulen, kindergleichen Wilden zur gefährlichen »schwarzen Bestie«.15 Als Träger des Siedlungsimperiums in Afrika – und im Osten des Reichs, wo seit 1908 auch eine Kolonisationskommission tätig war – verstand man jedenfalls in der Regel nicht die Nation, den Staat oder bestimmte Klassen, sondern das »deutsche Volk«.16

      Die weniger politisch Interessierten erreichte das sich ausbreitende rassistische Wissen auch auf anderen Wegen. So war auf der 300-Jahr-Feier der Stadt Mannheim 1907 der »Vergnügungspark Abessinisches Dorf« eine der Hauptattraktionen. Dort wurden in täglichen Schauen, wie eine Postkartensammlung aus der Zeit verrät, nicht nur Themen wie »Schule«, »Töpfer«, »Mutterfreude« und »Moschee« präsentiert, sondern auch Krieger gezeigt und Lanzengefechte vorgeführt. Diese »Attraktionen« bekamen nicht nur die Besucher*innen der »Internationalen Kunstausstellung und der Großen Gartenbauausstellung« zu Gesicht, die von Mai bis Oktober 1907 andauerte, sondern auch die Empfänger der Postkarten oder die Zeitungsleser der nahegelegenen Gemeinde Sandhofen. In einer Ankündigung zur »muhamedanische[n]« Taufzeremonie »im abessinischen Dorfe« konnten sie lesen:

      Die Zeremonien, die diese Fremden aus einem fernen Weltteile dabei gewißenhaft ausführen, muten jeden Europäer seltsam an, und da zuletzt noch durch Speerwerfen, Freudentänze, Fußringkämpfe, einen Umzug sowie einen sehr ergiebigen Schmaus die Schaulust befriedigt wird, so dürfte dieses eigenartige Fest auch von Europäern viel besucht werden.17

      »Völkerschauen« hatten sich in den europäischen Städten zu einem rentablen Geschäft entwickelt und brachten einen Hauch von »Afrika« in zahlreiche Metropolen. Das »deutsche Volk« konnte somit am sprichwörtlichen »Platz an der Sonne« teilhaben. Schließlich kamen alle Gesellschaftsschichten in gewissem Maße im Alltag mit den Kolonien in Verbindung, sei es, dass sie im Kolonialladen exotische Waren erwarben, sich bei den Schauen in wohligem Grusel über die »Eingeborenen« ergingen oder sich bei der Zeitungslektüre selbst mittelbar als Kolonialherr*innen fühlen konnten.

      Andererseits gehörten die Teilnehmer*innen solcher Schauen zu den wenigen »Farbigen«, die neben der persönlichen Dienerschaft von deutschen Militärs oder Siedlern aus den Schutzgebieten überhaupt als Migrant*innen nach Deutschland kommen durften. Einigen wenigen unter ihnen gelang es auch, in Deutschland zu bleiben, was einer der Gründe war, weshalb die Deutsche Kolonialgesellschaft derartige Schauen ablehnte.

      Der Kameruner Ekwe Bruno Ngando beispielsweise hatte 1896 mit einer Truppe an der Berliner Gewerbeausstellung teilgenommen. Wie er in einem Schreiben an die Behörden berichtete, mit dem er sich 1912 um die Reichsangehörigkeit bewarb, verspürte er daraufhin »keine Lust« mehr, »mit meiner Truppe weiter zu reisen«. Stattdessen war er bei einem Berliner Schneidermeister in die Lehre gegangen, arbeitete nun in Hannover СКАЧАТЬ