Deutschland und die Migration. Maria Alexopoulou
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СКАЧАТЬ heißbegehrt der Arbeitseinsatz der »fremdvölkischen Zivilarbeiter« jedoch bis dahin tatsächlich gewesen war, lässt sich bei der Lektüre der Akten der Mannheimer Stadtverwaltung erahnen. Kontinuierlich forderten verschiedene Ämter ausländische Arbeiter*innen für alle möglichen Bereiche an, vor allem dann, wenn neue Transporte mit Zwangsarbeiter*innen oder Kriegsgefangenen erwartet wurden. Es oblag den örtlichen Arbeitsämtern, den Bedarf an Arbeitskräften zu ermitteln und sie entsprechend zu verteilen. Die anfordernde Stadtverwaltung und die Betriebe mussten dann in Zusammenarbeit mit der lokalen Kreisverwaltung der Deutschen Arbeitsfront (DAF) Unterkünfte bereitstellen, was neben der Sicherung der Arbeitskraft zunehmend zum Problem wurde. Zum einen stand durch das Luftbombardement der Alliierten immer weniger Wohnraum zur Verfügung, zum anderen ging man recht bald dazu über, die Menschen in Sammelunterkünften »nach Volkstum« geordnet unterzubringen, um sie besser zu kontrollieren und ihnen je nach Stufe in der Herkunftshierarchie entsprechend einheitliche Wohn-, Lebensmittel-, medizinische und sonstige Standards zu »bieten«.

      Die DAF sah sich für die Betreuung der ausländischen Arbeitskräfte zuständig. Vor allem angesichts »des gegenwärtig starken Einsatzes von russischen Arbeitskräften«, teilte sie in einem Schreiben vom Juli 1942 mit, sei es erforderlich, dass die Betriebe sofort mit der DAF Kontakt aufnehmen, um sich »über die Art der Behandlung, der Unterkunft, Verpflegung beraten zu lassen«. Besonders die »Russenlager« müssten einem »geeigneten Lagerleiter« unterstellt werden, der vom Betrieb gestellt werde. Er solle ein »energischer, möglichst soldatisch geschulter Mann« sein.21 Die ein Jahr später weiterhin deutschlandweit übliche »Unterbringung zahlreicher Fremdvölkischer in Einzelquartieren« führe dagegen dazu, dass »de[r] erforderliche[…] Abstand zu deutschen Volksgenossen« nicht gewährleistet werden könne, stellte der SD fest.22

      Insbesondere »Ostarbeiter« sollten »möglichst nicht im Weichbild der Stadt untergebracht werden«. Ihre Arbeitsstätten sollten sich ebenfalls nicht im »geschlossenen Ortsbereich« befinden, lautete ein Schreiben des Arbeitsamtes Mannheim vom 2. Juli 1942. Der Anfrage der Stadtwerke Mannheim, die 100 »Ostarbeiter« als Gleisarbeiter an den Straßenbahnschienen einsetzen wollten, wurde aus diesem Grund nicht entsprochen. Auch die vorgesehene Wohnstätte für diese Arbeiter, die Turnhalle einer Schule in der Mannheimer Innenstadt, wurde vom Arbeitsamt nicht genehmigt, obwohl sie die örtliche DAF abgenommen hatte. Stattdessen bekamen die Stadtwerke französische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene; Erstere kamen in der Turnhalle, Letztere in einem entlegeneren Stadtteil in einem Tanzsaal unter.23

      Polen und »Ostarbeiter« sollten dagegen in der Stadt bevorzugt in Betrieben eingesetzt werden und auf deren Firmengelände wohnen. So beschäftigte die Firma Lanz 1942 u. a. »einige Tausend« Russen, keine Kriegsgefangenen, sondern »internierte rassische […] Staatsangehörige«, die unter strenger Überwachung standen. Es war ihnen untersagt, einzeln und ohne Aufsicht das Lager zu verlassen, ihre Kost war grundsätzlich spärlicher sowie von schlechterer Qualität, und falls sie erkrankten, wurden sie nicht in Krankenhäuser, sondern in einen speziellen Raum für Arbeitsunfähige verlegt.24 Sie erhielten zwar einen Lohn, mussten aber die karge Verpflegung und die schlechte Unterbringung selbst bezahlen.

      Gegen Ende des Krieges beschäftigten 600 Betriebe in Mannheim etwa 16 000 Zwangsarbeiter*innen, die in mehr als hundert Lagern lebten, die überall im Stadtgebiet, auch in der Innenstadt, verteilt waren.25 Mit der Zeit schien man nichts mehr dagegen zu haben, sie sichtbar mitten in der Stadt wohnen und arbeiten zu lassen. Und man lieh sie einander quasi wie Gerätschaften aus: So durfte das städtische Straßenbahnamt im Januar und im Juni 1944 vom Hochbauamt »im Lager Adolf-Hitler-Gymnasium/Pestalozzischule sofort 45 Polen, darunter 5 Frauen [sic]« bzw. in der R2-Schule »sofort 30 Polen Frauen [sic] abholen«. Auf einem Handzettel vom September 1944 hieß es: »Auf Veranlassung des Herrn Schäfer vom Arbeitsamt Mannheim ist der Überbringer dieses beauftragt, 20 Mann ostpolnische Kriegsgefangene abzuholen.«26

      Selbstverständlich ist die Geschichte der Zwangsarbeit im »Dritten Reich« kaum in ein kurzes Unterkapitel zu pressen. Und auch die zahllosen Biographien der Zwangsarbeiter*innen lassen sich auf so engem Raum kaum adäquat abbilden. Das Selbstzeugnis einer einzelnen Mannheimerin, Toni U., einer Russin, die als junge Frau von den Deutschen verschleppt wurde und die später einen ihrer deutschen Wächter heiratete, soll stellvertretend für viele Schicksale stehen. Ihre Erinnerungen, die Toni U. 1983 für den Mannheimer Soziologen Stanislaus Stepień offenbar selbst abtippte, geben dennoch einen guten Einblick in das, was es hieß, zu jener Zeit Ausländer in Deutschland zu sein, und zwar auf einer der untersten Hierarchiestufen: als »Ostarbeiterin«. Das Folgende, das als Abschluss des vorliegenden Kapitels dienen soll, ist den Assoziationen und Sprüngen in ihrem Bericht getreu nacherzählt.

      Toni U. lebte in Staraja Russa (hier »Stare Rusa«), wo sie auch zwangsrekrutiert wurde. Bei ihr sei das »noch human« abgelaufen, ihre Schwester hingegen wurde »einfach von der Straße abgeschleppt«. Eine andere Taktik der »Anwerbung«, von der sie gehörte hatte, bestand darin, dass die Deutschen mit Plakaten ankündigten, dass in der Kirche ein Film für junge Frauen ab 15 Jahren gezeigt werde. Dort wurden die Frauen dann eingesperrt und ohne Warnung in Lastwagen verladen. Die meisten hatten etwas Deutsch in der Schule gelernt.

      Ihre erste Station war eine nahegelegene Stadt, die bereits zerstört war. Dort wurden sie und andere Frauen ins Gefängnis gesteckt und mussten fünf Tage hungernd warten, bevor sie in einem Viehwaggon, in dem sich so viele Menschen befanden, »wie hineingegangen sind«, nach Stuttgart transportiert wurden. Sie bekamen erst nach zwei Tagen vom Roten Kreuz in einem Wald etwas zu essen. Es war Juni und heiß, die Waggons waren nicht einmal vom vorherigen Transport gesäubert worden. Sie kamen dann in ein Lager in Bietigheim, das Essen war ungenießbar und zu wenig. Die Menschen seien gestorben »wie die Fliegen: Typhus«, berichtete Toni U. Auch ihre Tante, die dabei war, starb schließlich daran.

      Die Frauen wurden auf einen Viehmarkt gebracht, woraufhin Bauern und Firmenvertreter kamen, die sich Arbeiterinnen aussuchten. Die Kräftigen wurden von Bauern mitgenommen – sie schubsten die Frauen zu Boden, um zu testen, wie kräftig sie waren. Toni U. kam mit 80 weiteren Frauen zu den Motorenwerken Mannheim (MWM), und zwar am 25. Juni 1943. Zunächst wurden alle Frauen in einem kleinen Raum untergebracht, später wurden für sie zwei bis drei Baracken errichtet. Sie bekamen einen Arbeitsanzug und Holzschuhe. »Ach wie habe ich mich geniert! Holzschuhe!«, erinnerte sich Toni U.

      Die Arbeitszeit betrug zwölf Stunden, es war schmutzige Arbeit bei schlechtem Essen, wie es auch die Kriegsgefangenen bekamen. Es seien noch Polen, Italiener und Franzosen dort gewesen. Letztere zwei Gruppen hätten es »vergleichsweise schön« gehabt, da sie Pakete vom Roten Kreuz erhalten hätten. Auch die Frauen aus Frankreich und Italien bekamen mehr zu essen und mussten nur acht Stunden arbeiten; einige polnische Mädchen waren erst 13 Jahre alt.

      Die Arbeiter*innen wurden mehrmals ausgebombt, zum Schluss wohnten sie in einer Wirtschaft in der Neckarstadt. Das Essen war ein großes Problem. »In der ersten Zeit habe ich immer geweint, wenn Pause war und die Deutschen ihr Vesper ausgepackt haben und zwischendurch gegessen haben. Ich konnte nicht hingucken …«, erzählte Toni U.

      Die ersten sechs Monate durften die Arbeiter*innen Betrieb und Lager gar nicht verlassen; später schon, aber sie durften keine Straßenbahn fahren, durften nicht ins Kino, durften nichts einkaufen. »Wir trugen ja ein Abzeichen.« Als »Ostarbeiterin« bekam Toni U. wie alle anderen Russinnen keine Strümpfe, sie war immer barfuß und besaß nur noch ein einziges Kleid, nachdem sie ausgebombt worden waren und ihre restliche Kleidung zerstört worden war.

      Mit den Deutschen durften sie nicht reden, das war streng verboten. Wenn man erwischt wurde, gab es Schläge, aber nicht für die Deutschen.

      Dabei arbeiteten wir Seite an Seite mit den Deutschen, es gab keine räumliche Trennung. Die gleiche Arbeit wie die Deutschen, bloß kaum Geld. Für Geld konnte man sich eh nichts kaufen, weil wir ja keine Marken hatten.

      Trotzdem versuchte Toni U. einmal, ins Kino zu gehen. СКАЧАТЬ