Deutschland und die Migration. Maria Alexopoulou
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СКАЧАТЬ sogar von »Arbeitsunlust« bei der deutschen Arbeiterschaft war in einer »Meldung aus dem Reich« vom Mai 1942 die Rede. Man störte sich nicht nur am »freche[n] und anmaßende[n] Benehmen« der Ausländer, auch das »unsaubere, ungepflegte und teilweise verwahrloste Äußere« der Arbeiter*innen wurde moniert. Man fühlte sich in der eigenen »Bewegungsfreiheit beeinträchtigt«, da man mit ihnen auf der »Straße, in öffentlichen Verkehrsmitteln, Lichtspieltheatern, Läden usw.« konfrontiert werde. Zudem würden vor allem die Italiener die deutschen Frauen wie »Freiwild« behandeln. Der häufig festgestellte Geschlechtsverkehr zwischen polnischen Kriegsgefangenen oder »Zivilarbeitern« – so der Terminus für die meist zwangsweise Angeworbenen – und deutschen Frauen wurde inzwischen mit der Todesstrafe geahndet, nachdem für die Arbeiter*innen aus Polen und später auch für jene aus der Sowjetunion jeweils ein Sonderrecht erlassen worden war. Jene Maßnahmen wurden von der »volksbewußten deutschen Bevölkerung freudig und mit Genugtuung begrüßt«; Letztere forderte allerdings, dass auch die beteiligten Frauen bestraft werden sollten.

      Die »Volksgenossen« störte auch, dass sie nun gezwungen seien, mit »unsauberen Elementen« in Wartezimmern bei Ärzten sitzen zu müssen, was ja eine »Gefahr für den Gesundheitszustand der deutschen Bevölkerung« darstelle. In Graz habe gar eine deutsche Frau auf dem Korridor des Krankenhauses ihr Kind gebären müssen, da »die Anstalt von Fremdvölkischen überfüllt war [orig. kursiv]«. Ebenso große Empörung löste das Gerücht aus, dass die ausländischen Arbeiter eine bessere Lebensmittelversorgung genossen. Die Ausländer würden außerdem vor den Deutschen prahlen, dass man auf ihre Arbeit angewiesen sei, und dafür nicht nur Dankbarkeit fordern, sondern auch glauben, im Gegenzug straffrei alles tun und lassen zu können, was sie wollten. Gerade derartiges Verhalten verursache eine ungute »Stimmungsbeeinträchtigung« des deutschen Arbeiters, der dadurch seine Leistungsfähigkeit verliere.9 Auf den Straßen wurden »West- und Ostarbeiter« derweil als »schmutzige Ausländer« oder »Ausländerpack« beschimpft.10

      Angesichts des Unmuts sah sich das NS-Regime gezwungen, in ganz Deutschland Schulungen zur Kriegswichtigkeit des Arbeitseinsatzes der Ausländer durchzuführen, und forderte die Bevölkerung auf, diese anständig zu behandeln. Doch wie sehr das im Widerspruch zur herrschenden Staatsideologie stand, war den Akteur*innen mehr als bewusst, wie einem SD-Bericht vom 12. November 1942 zu entnehmen ist. Bei der Betonung, wie wichtig die Anwesenheit der Ausländer sei, habe man die »mit dem Einsatz Fremdvölkischer verbundenen völkischen Gefahren [sic]« aus dem Blick verloren, was sich wiederum auf das Verhalten eines Teils der deutschen Bevölkerung auf unerwünschte Art auswirkte. Denn immer mehr Deutschen fiel nun auf, dass die »Ostarbeiter« eben doch nicht dem »Typen verkommenen tierischen Menschentums« entsprachen, als den man sie bislang dargestellt hatte. Ebenso nahm vor allem die Landbevölkerung wahr, dass etwa die russischen Frauen Kruzifixe um den Hals trugen und also genauso christlich sein mussten wie sie selbst. Der Leistung der »Ostarbeiter« bezeugten viele im ländlichen Raum Respekt und verzichteten gern auf Lebensmittel, um die schmalen Essensrationen der Zwangsarbeiter*innen aufzubessern. Die Propaganda musste also gleichzeitig dafür sorgen, dass sich kein falscher Eindruck einer »Gleichstellung der Ostarbeiter mit Deutschen [orig. kursiv]« durchsetze. Man suchte Mittel, um die »Betonung der Kriegswichtigkeit [orig. kursiv]« mit den »volkspolitischen Gefahren des Fremdvolkeinsatzes« in Einklang zu bringen und beide Botschaften zu vermitteln.11

      Doch aus diesem inneren Widerspruch des massenhaften Arbeitseinsatzes von »Fremdvölkischen« inmitten der »deutschen Volksgemeinschaft«, der der Bevölkerung durchaus bewusst war und auch offen beanstandet wurde, schaffte es das NS-Regime nicht mehr heraus, wie aus einem weiteren Bericht des SD vom Januar 1944 ersichtlich wird: Demnach äußerten zahlreiche Leser*innen Unmut über die »gefühlmäßig betonten Darstellungen« , die immer wieder in Reportagen über »Ostarbeiterinnen« in der Presse erschienen. Sie kritisierten, dass die wohlwollenden Berichte eine positive Sichtweise von »Volksgenossen« auf die »Fremdvölkischen« begünstigen würden; andere plädierten dafür, sich insgesamt nicht so stark mit den Ausländern und ihren Bedürfnissen zu befassen.12

      Inwiefern das Regime jedoch alle Meldungen, auch in den Lokalblättern, kontrollieren konnte, sei dahingestellt. Denn selbst im Hakenkreuzbanner Mannheim erschienen Bemerkungen, die als Kritik an der vermeintlichen Besserstellung der Ausländer verstanden werden können. In einem Artikel vom 25. April 1944 hieß es:

      So muß der deutsche Arbeiter für seine Verpflegung und Unterkunft und auch für die Verpflegung und Unterkunft seiner Familie durchweg mehr Zeit und Kosten aufwenden als der im Lager untergebrachte, der Sorge um Unterkunft und Verpflegung und um seine Familie enthobene Ostarbeiter.13

      In der Realität der Arbeitslager und Werkskantinen waren vor allem die »Ostarbeiter« und die polnischen Arbeiter*innen, nach 1943 auch zunehmend die ehemaligen Verbündeten aus Italien, der Willkür ihrer deutschen Aufseher*innen ausgeliefert. Das Kantinenpersonal unterschlug immer wieder Teile der kargen Essensrationen der Zwangsarbeiter*innen, auch Gewalt und weitere Grausamkeiten der »Volksgenossen« blieben straffrei. Die Unterdrückten konnten keinerlei Rechtsmittel gegen diese Alltagsdiskriminierungen einlegen, die selbst das NS-Regime zu unterbinden suchte, um ihre Arbeitsleistung so hoch wie möglich zu halten. Wie der Historiker Mark Spoerer nachweist, versuchten die Arbeiter*innen daher, mit anderen Mitteln ihre Situation zu verbessern oder sich zumindest zu wehren, etwa durch »›Bummelei‹, Krankmeldung, Absentismus, offene Arbeitsverweigerung und Streiks, selten auch Sabotage«.14

      Wie wichtig die Zwangsarbeiter*innen für die Kriegswirtschaft tatsächlich waren, zeigt der Umstand, dass gegen Ende des Krieges etwa ein Viertel der Arbeiterschaft in Deutschland aus ihnen bestand. Wie ausgesprochen schlecht ernährt sie aber kurz vor der Niederlage waren, welche massiven gesundheitlichen Folgen sie davontrugen und welches seelische Leid sie erlebt hatten, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Als Träger*innen des »P«- und des »O«-Abzeichens durften sie die Luftschutzbunker nicht betreten, und nach den Luftangriffen, bei denen zahlreiche Menschen verbrannten, mussten sie die geschmolzenen Leichen einsammeln.

      Zu den mehr als acht Millionen Zwangsarbeiter*innen und vier Millionen arbeitenden Kriegsgefangenen sind auch fast zwei Millionen KZ-Internierte zu rechnen, Jüdinnen und Juden sowie Sinti und Roma, die in sogenannten Außenlagern zur Sklavenarbeit eingesetzt wurden. So befand sich in Mannheim-Sandhofen auf dem Gelände einer Schule, die mitten im Wohngebiet lag, das KZ-Außenlager Natzweiler. Von dort zogen die polnisch-jüdischen Insassen unter den Augen der Nachbarschaft jeden Tag in Kolonnen zu Fuß zum einige Kilometer entfernten Benz-Werk zwecks ihrer »Vernichtung durch Arbeit«. Die Anwohner waren froh, als diese Männer kurz vor der amerikanischen Besetzung Mannheims noch »evakuiert« – also auf einen sogenannten Todesmarsch geschickt – wurden, so sehr fürchtete man ihre Rache nach ihrer Befreiung.15

      Ähnliche Befürchtungen hatte man auch auf dem Land: Ein Bericht der Kreisleitung NSDAP Buchen/Odenwald vom 15. Juli 1944 ist mit Beispielen dafür gespickt, welche Ängste die deutsche Bevölkerung davor hatte, wenn sich das Machtverhältnis zwischen Unterdrückern und Unterdrückten umkehren würde. Es wurde etwa berichtet, dass ein Pole eine Bäuerin zum Sex als Gegenleistung dafür gezwungen habe, dass er überhaupt noch arbeite.16 Dabei waren zahllose Zwangsarbeiterinnen aus dem Osten Europas, auch wenn sie in den Bauernhöfen arbeiteten, ihrerseits immer wieder Opfer sexueller Gewalt geworden.17

      Ost- als auch Westarbeiter, aber auch alle ausl. Zivilarbeiter benehmen sich immer mehr, als ob sie Herren im Hause seien. Sie geben offen zu verstehen, daß nun bald sie an der Reihe wären und das Regime im Dorf in die Hand nehmen würden,

      berichtete man aus dem Odenwald im Sommer 1944 weiter.18 Auch der SD sammelte Meldungen über Ängste aus ganz Deutschland, vor allem vor den befreiten »Ostarbeitern«, die mit dem Herannahen der sowjetischen Armee seit dem Frühjahr 1944 immer aufsässiger und deutschenfeindlicher würden. Das entnahm man nicht nur ihren Äußerungen und ihrem Auftreten, sondern auch ihren Briefen an ihre Angehörigen, die durch die Zensur des SD gingen.19 Für die Zwangsarbeiter*innen bedeutete СКАЧАТЬ