Deutschland und die Migration. Maria Alexopoulou
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СКАЧАТЬ oder auch Liebesaffären von nord- bzw. westafrikanischen Soldaten und deutschen Frauen – eine »Schmach«, die Frankreich dem »Erbfeind« Deutschland nach dessen Niederlage im Ersten Weltkrieg antat. Das Geschehen, das Karikaturen über Affenmenschen in französischen Uniformen auch visuell zu einem Akt der höchsten Bestialität stilisierten, empörte jahrelang die deutsche Politik und Öffentlichkeit zutiefst.

      Adolf Hitler stellte in Mein Kampf (1925/26) anhand der Ereignisse um diese »Negerhorden« eine phantasmagorische Verbindung zwischen kolonialem Rassismus und Antisemitismus her: Die Juden, die Frankreich in Wahrheit regierten, hätten diese Bastardisierung der Deutschen als bewusste Strategie eingesetzt, um die weiße Rasse zu zerstören.8 Diese Kinder Schwarzer Väter und weißer Mütter sollten später unter seiner Herrschaft zwangssterilisiert werden. Sie gefährdeten neben den jüdischen Deutschen, den Sinti und Roma sowie den »Fremdvölkischen« ebenso wie Homosexuelle, psychisch Kranke, Menschen mit einer angeborenen Beeinträchtigung sowie politisch und sozial Unangepasste die deutsche »Volksgemeinschaft«.

      Bereits bei Kriegsausbruch hatte Kaiser Wilhelm im August 1913 das Ideal der »Volksgemeinschaft« beschworen. Lang und breit waren zuvor die Konzepte, die der Soziologe Ferdinand Tönnies in seinem Grundlagenwerk Gemeinschaft und Gesellschaft 1887 ausdifferenziert hatte, in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit besprochen und gegenübergestellt worden: Tönnies unterschied die individualistische, utilitaristische, westliche »Gesellschaft« von der authentischen, organischen, emotional verbundenen »Gemeinschaft«. Nach dem Krieg führten dann alle Parteien außer der radikalen Linken und den Kommunisten das Wort »Volksgemeinschaft« im Mund. Schließlich wurde dieses Konzept zur Modelliermasse für Radikalnationale, Völkische und militante Rassisten. Gemeinsam kreierten sie ein schier undurchdringliches Gemenge an Theoremen und Ideologemen, mittels derer sie alle Menschen taxierten und in rassische bzw. Volks-Hierarchien kategorisierten. Der Traum einer von »fremdvölkischen« und »-rassischen« sowie »artfremden« und »entarteten« Elementen befreiten deutschen »Volksgemeinschaft« schälte sich dabei als Utopie heraus, die die Nationalsozialistische Partei Deutschlands nach dem Willen einer Mehrheit des deutschen Wahlvolkes ab 1933 verwirklichen wollte.9

      Ausländer im »Dritten Reich«

      Am 14. Januar 1943 titelte der Hakenkreuzbanner für Mannheim und Nordbaden: »Gauleiter Sauckel über die Arbeitsschlacht. ›Die europäische Arbeitskameradschaft ist erreicht‹. Das erfolgreiche ›Wagnis‹ des Ausländereinsatzes.« Der Artikel beschrieb, »wie kühn der Entschluß des Führers« gewesen sei, »Europa in die innere Front einzusetzen«. Die »Millionen Sowjetrussen«, diese »russischen Menschen«, die zwanzig Jahre lang »auf die Vernichtung der europäischen Zivilisation dressiert worden waren«, würden jetzt sehr gut für Deutschland arbeiten. Sie hätten inzwischen 80 bis 100 Prozent der deutschen Arbeitsleistung erreicht, die russischen Frauen leisteten »in der mechanischen Arbeit Hervorragendes«. Es herrsche eine gute Atmosphäre in den deutschen Betrieben, die es ermögliche, »zu einer freiwilligen Arbeitsleistung der ausländischen Arbeiter zu gelangen, ohne daß strenge Kontrolle und Überwachung erforderlich« seien. Deutsche und Ausländer arbeiteten in »kameradschaftlicher Weise« nebeneinander. Die deutschen Arbeiter seien dabei für die Ausländer das Vorbild. Die Anwerbung erfolge nicht durch Privatunternehmen, sondern durch

      Beamte des Reiches, denen die Parteiorganisationen zur verantwortlichen Betreuung der Angeworbenen helfend zur Seite stehen. »Nationalsozialistische Grundsätze, das heißt menschliche Grundsätze, sind herrschend«.

      Während der deutsche Soldat mit den Verbündeten »an den Fronten der europäischen Kampfgemeinschaft« agiere, »steht in der deutschen Heimat die Front der europäischen Arbeitskameradschaft und verwirklicht hier schon praktisch das Europa«.1

      Angesichts der Tatsache, dass Fritz Sauckels Wirken als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz seit 1942 darin bestand, die Zwangsrekrutierung von Arbeitskräften zentral zu organisieren, und in Anbetracht der unvorstellbaren Grausamkeiten der Zwangsarbeit wirkt dieser Artikel wie reiner Hohn. Denn der überwiegende Teil aller Arbeitsmigrant*innen wurde zwangsrekrutiert, auch weil die Zahl derjenigen, die vor allem im Westen und Süden, aber auch im Osten Europas angeworben worden waren und die ab und an als ›Gastarbeiter‹ tituliert wurden, relativ niedrig blieb. Die polnischen Arbeiter*innen waren dagegen schon seit dem Beginn des Krieges 1939 durchgängig Zwangsarbeiter*innen.

      Neben der Verklärung einer »europäischen Arbeitskameradschaft« mag an diesem Zeitungsbericht überraschen, dass er sich ebenso wie zahllose weitere positive – und völlig unwahre – Beschreibungen der Situation für ausländische Arbeiter*innen in Deutschland mit seiner Propaganda primär an die deutsche Bevölkerung richtete. Denn diese war, das wusste der Innennachrichtendienst des Sicherheitsdienstes (SD) der SS, gegenüber den ausländischen Arbeiter*innen äußerst feindselig eingestellt. Das NS-Regime war also paradoxerweise gezwungen, die »Fremdvölkischen« vor den »Volksgenossen« zumindest im medialen Diskurs in Schutz zu nehmen.

      Nicht, dass man nicht selbst genug an ihnen auszusetzen hatte – selbst an den »volkstumsmäßig für das Deutschtum wichtigen Arbeitskräften [orig. kursiv]«.2 Die Arbeitsmoral und die Arbeitsdisziplin sowohl der Arbeiter »germanischer Volksstämme (Holländer, Dänen, Norweger, Flamen)« als auch der Arbeiter »nicht-germanischer Herkunft (Italiener, Serben usw.)« biete »das gleiche unerfreuliche Bild«, hieß es noch am 20. Oktober 1941 in einem Bericht des SD. Damals wurden noch relativ wenige Arbeiter*innen aus Polen und Russland, die als »slawische Untermenschen« fast ganz unten in der Hierarchie der Herkünfte standen, innerhalb des Reichs eingesetzt. Die Defizite bei der Arbeit der Ausländer*innen sah man schon darin, dass ihnen ein »Begriff der Ethik der Arbeit« und die »Verantwortungsfreudigkeit« fehle. Außerdem würden sie die Maschinen unverhältnismäßig stark verschleißen, hätten zu hohe Ansprüche und schreckten auch nicht vor Streiks zurück.

      Als großes Problem wurden dabei die Proteste der Italiener gegen das Essen wahrgenommen. Aus Leipzig wurde berichtet, dass sie »sehr anspruchsvoll« und »in dieser Beziehung hemmungslos« seien. Beispielsweise hätten sie »nachweislich gute Wurst zum Fenster hinausgeworfen«. In Oppeln sollen sie »Schwarzbrot auf die Erde geworfen haben, mit der Bemerkung, sie seien keine Schweine«. In München hätten sie in Bäckereien Marken und Weißbrot gewaltsam an sich genommen, und in einer Gastwirtschaft in Mannheim, in der sie als Arbeiter der Firma Lanz verpflegt wurden, sollen sie »beim Auftragen eines recht guten Abendessens, bestehend aus neuen Kartoffeln, Sauerkraut und Wurst, derart randaliert« haben, dass die Polizei gerufen werden musste.3

      Oftmals umgingen die anfangs noch angeworbenen Arbeiter*innen, die in den ersten Jahren oft mit unrealistischen Versprechungen nach Deutschland gelockt worden waren, durch Krankmeldungen die Arbeit oder verließen ihre Arbeitsstelle einfach.4 Beim SD kam man jedenfalls früh zu dem Schluss, dass die ausländischen Arbeitskräfte in geschlossenen Lagern kaserniert und stärker kontrollieren werden müssten. Zudem müssten »bei ungebührlichem Verhalten« strengere Strafen erfolgen.5 Auch dabei standen zunächst junge italienische Männer im Fokus.

      Italiener*innen wurden angeworben, seit 1938 das erste bilaterale Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und dem befreundeten faschistischen Italien geschlossen worden war. 1942 waren etwa eine halbe Million Arbeiter*innen vermittelt.6 Kleinere italienische Gemeinden gab es ohnehin schon. So titelte die Neue Mannheimer Zeitung im Januar 1938: »Faschistische Weihnachten in Mannheim«. Die Feier, bei der 200 italienische Familien anwesend gewesen sein sollen, fand bereits im dritten Jahr in Folge in der Casa d’Italia statt, »dem Haus der hiesigen faschistischen Kolonie«. Der Vertreter der Kreisleitung der faschistischen Auslandsorganisation Spinieli bezeichnete Letzteres als ein »Stück Vaterland, wo man die Sprache der Heimat und der Väter wieder hören könne«.7 Nachdem Italien die Achsenmächte 1943 verlassen hatte, wurden aus den Arbeiter*innen der befreundeten Nation allerdings Zwangsarbeiter*innen, an deren Seite deutschlandweit auch ca. 600 000 italienische Kriegsgefangene schuften mussten.8

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