Stillerthal. Martina Simonis
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Название: Stillerthal

Автор: Martina Simonis

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783724522935

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СКАЧАТЬ gehe zum Lauschan!», sagte er. «Bis später.»

      Lele legte ihre Näharbeit beiseite und stand auf.

      «Ich komme heute mit.»

      Matthis erstarrte und sah sie verstört an.

      «Frauen gehen nicht zum Lauschan.»

      Nun war es Lele, die ihn entgeistert anschaute.

      «Warum das?»

      «Frauen gehen nie zum Lauschan. Sie können das nicht.»

      «Was können sie nicht?»

      «In der Stille des Lauschan sein.»

      Lele runzelte ärgerlich die Stirn.

      «Natürlich können Frauen in der Stille des Lauschan sein. Es gibt Gegenden, in denen es eine Selbstverständlichkeit ist, dass Männer wie Frauen zum Lauschan gehen.»

      Matthis fühlte sich unwohl. Er war nie weiter als bis Wilderbrugg gekommen, wo er hin und wieder auf dem Markt seinen Käse verkaufte. Nun rang er um eine Erklärung.

      «Aber Frauen sind … anders.»

      «Sind wir das? Die Gesellschaft, in der wir leben, weist uns je nach Geschlecht Rollen zu, ja, aber sind wir deswegen anders? Fühlen wir nicht Schmerz, wenn wir uns schneiden, sind wir nicht froh, wenn uns eine Arbeit gelingt, oder ärgern uns, wenn uns etwas zerbricht? Wieso sollten wir anders sein?»

      Matthis schwieg und sah stur an ihr vorbei.

      «Du magst recht haben. Aber hier in Stillerthal gehen die Frauen nicht zum Lauschan. Es ist … undenkbar!»

      Dann drehte er sich um und eilte aus dem Haus.

      Doch das Gespräch verfolgte ihn. Wie ein schmerzender Zahn bohrte es sich immer wieder aus der Tiefe, wohin er es verdrängt hatte, zur Oberfläche hindurch und störte seine Gedanken. Die Ruhe, die er sonst beim Lauschan fand, blieb ihm dieses Mal versagt. Daher war er froh, als der alte Bovis das Ende des Lauschan einläutete, und noch erleichterter war er, als er feststellte, dass heute keiner der Jungbauern seinen Rat als Lauschan-Mahadan zu suchen schien. Matthis zog die Kutte, die ihn als Lauschan-Mahadan auszeichnete, aus, rollte sie zusammen und band sie sich um die Taille. Dann winkte er den anderen Mahadani einen kurzen Gruß zu und machte sich auf den Heimweg.

      Es dauerte nicht lange, bis er Lele entdeckte. Sie hatte sich auf dem großen Findling am Rande der Dorfwiesen niedergelassen, ihr weißes Kleid und das gelbe Kopftuch leuchteten hell vor dem Graubraun des Vorfrühlingswaldes. Aufrecht saß sie da, ein Mahnmal für ihn und für alle, die es sehen konnten.

      Mit mulmigem Gefühl schritt er ihr entgegen. Als er den Fels fast erreicht hatte, deutete er ein Nicken des Kopfes an.

      «Hayda Lele», grüßte er.

      «Hayda Matthis», lächelte sie und zeigte auf die freie Stelle neben ihr. «Komm, setze dich zu mir, der Stein ist warm und trocken.»

      Matthis erklomm den Fels und ließ sich neben ihr nieder. Er scheute sich, sie anzusehen. Stattdessen wandte er den Kopf und ließ den Blick über das Tal schweifen. Sie hatte den Ort gut gewählt, die Aussicht war beeindruckend. Vor ihm breitete sich der von Wiesen und Feldern umsäumte Talgrund mit Teich und Dorf aus, etwas abseits sah man das baumumgrenzte Rund des Lauschan-pans. Wie ein lebender Baldachin wölbten sich die Äste über dem Platz und malten ihre Muster aus Licht und Schatten. Die Stille, die von dem Ort ausging, war bis hier oben zu spüren.

      «Du hast uns zugesehen», begann er vorsichtig.

      «Ist das auch verboten?»

      Matthis schüttelte den Kopf. Er warf ihr einen kurzen Blick von der Seite zu. Die Person, die da neben ihm in der Sonne saß, aufrecht und gefasst, hatte nichts mehr gemein mit dem Bündel Mensch, das er oben bei den Wächterbäumen gefunden hatte. Stattdessen war ihm, als säße Sol selbst an seiner Seite, die vom Himmel herabgestiegen war, um über die Menschen zu richten.

      «Ich weiß, dass es dich schmerzt», sagte er. «Aber ich kann die Traditionen nicht ändern.»

      Lele wiegte nur den Kopf. Nachdenklich blickte sie ins Tal hinab, dorthin wo sich der nun verlassene Lauschan-pan befand.

      «Was weißt du über Lauschan?», fragte sie unvermittelt.

      Matthis hob erstaunt den Kopf. Eine Frage statt der erwarteten Vorwürfe. Er überlegte, was ihm Thamis über die Entstehung des Lauschan erzählt hatte.

      «‹Verweile in Stille, lausche den Stimmen der Welt, und du wirst Aoum hören.› Das ist Lauschan. Eine Disziplinierung des Geistes. Den Männern vorbehalten, als Wegweiser für die Entscheidungen, die getroffen werden müssen, und als Reinigung der Sinne. Manche glauben, das Lauschan sei uns von den Feh gebracht worden. Aber das sind Märchen. Die Feh lebten vor der Zeit der Menschen. Sie sind schon lange tot.»

      Lele schwieg. Plötzlich lachte sie trocken auf.

      «Es ist eine Strafe. Grausam, aber gerechtfertigt!» Unwillkürlich strich sie sich mit ihrer gesunden rechten Hand über ihren versehrten linken Arm. «Darf ich dir berichten, woher das Lauschan kommt?»

      Matthis nickte.

      «Nicht die Feh haben das Lauschan gebracht, sondern das Volk der Aydin. Die Aydin waren ein friedliebendes Volk, das viel Wert auf die Zubereitung wohlschmeckender Nahrung und die Herstellung von Kunsthandwerk legte. Und sie praktizierten Lauschan. Leider waren ihre Nachbarn nicht so friedliebend. Immer wieder wurden die Aydin überfallen, ihre Kunstwerke zerstört, die Königin enthauptet, die Männer niedergemetzelt und die jungen Frauen geraubt. Daher beschloss Maoma, die letzte Königin der alten Welt, ihr Volk in ein neues Land zu führen, an einen Ort, an dem sie sicher vor Krieg und Zerstörung leben konnten. In einfachen Flößen machten sie sich auf den Weg über das große Wasser. So kamen sie nach Fehrin. Da an den Ufern des großen Wassers schon Menschen lebten, zogen sie weiter in die Berge bis nach Stillerthal. Das Land war öde und leer und galt als unbewohnbar, dennoch wagte die Königin den Schritt. Der Anfang war schwer und viele Aydin bezahlten den Entschluss der Königin, die karge Gebirgsregion zu besiedeln, mit dem Leben. Der erste Winter war lang und hart, die Vorräte gingen rasch zur Neige und der Hunger war ein steter Gast. Es wäre das Ende der Aydin gewesen, wenn nicht die Feh, die hier im Verborgenen lebten, sich vom Los der Aydin hätten berühren lassen und ihnen gezeigt hätten, wie sie die Technik des Lauschan vervollkommnen und die Erde fruchtbar machen konnten. Denn die Feh, Matthis …», Lele hob den Kopf und blickte Matthis direkt in die Augen, «… die Feh sind nicht tot. Sie leben immer noch. Und Lauschan ist weit mehr als nur eine Disziplinierung des Geistes. Richtig ausgeführt lenkt es die Energien Aoums und schenkt den Schwachen einen Abglanz seiner Macht.»

      Lele verstummte. Ihr Blick glitt über das bunte Muster aus dunklen Gehöften, zaghaft grünenden Wiesen und frisch gestochenen Feldern. Sie seufzte.

      «Leider konnten manche Khor-Kami nicht mit dieser Macht leben. Sie trachteten nach mehr Einfluss und Wohlstand. Also heuerten sie Arbeiter aus dem Tiefland an und ließen sie für sich arbeiten. Das war der erste Bruch mit der Tradition der Aydin, denn bis dahin galt, dass jeder in Freiheit für sich arbeitete und nur selbst hergestellte Waren zum Tausch anbot. Das zweite Vergehen war, dass die Khor-Kami ihre Fremdarbeiter in die Technik des Lauschan einweihten und diese an ihrer statt zum Lauschan schickten. Es gab Streit und ein böser Geist hielt Einzug in das Tal. Ein zweites Mal griffen СКАЧАТЬ