Название: Stillerthal
Автор: Martina Simonis
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783724522935
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«Binha-ban. Rinde vom Fehnbaum. Die Leute denken, es ist Frevel, Hexenwerk. Aber das ist es nicht. Es ist vom Bruchholz, ein Schatz, freiwillig gegeben!»
Schließlich nahm er die Bastschale, in die er das faule Gewebe und die Lappen geworfen hatte, und hielt sie Vince vor die Nase.
«Was passiert damit?»
Vince musste den Kopf abwenden, so übel wurde ihm bei dem Geruch.
«Ein tiefes Loch graben und reintun?», presste er mühsam hervor.
«Das ist nicht schlecht, aber damit ist das Kranke nicht tot. Es ist immer noch da, wenn auch vergraben. Was habe ich über Wunden gesagt?»
«Dass alles, was mit einer Wunde in Berührung kommt, vom Feuer gereinigt werden muss.»
«Richtig. Und das tun wir nun.»
Matthis trug die Schale zum Feuer und warf sie mitsamt dem Inhalt in die lodernden Flammen. Dichter, beißender Rauch qualmte auf. Vince riss die Hände vor den Mund und rannte nach draußen, wo er sich übergab.
Vince fegte den Staub des Sommers aus dem Kuhstall. Er machte den Hühnerstall sauber. Brachte reifen Dung im Gemüsegarten auf. Riss die Brennnesseln, die in Massen rund ums Haus wuchsen, aus. Nur um nicht an die Frau in der Stube denken zu müssen. Um die Bilder nicht mehr sehen zu müssen. Dabei merkte er nicht, dass die Luft dumpfer wurde und der Himmel zuzog. Erst als es in der Ferne donnerte, blickte er auf. Eine gelbgraue Wolkenfront jagte aus Richtung der untergehenden Sonne heran und hatte in kurzer Zeit den Himmel erobert. Gerade noch rechtzeitig scheuchte Vince die Hühner in ihren Verschlag, dann brach das Unwetter los. Unter heftigen Hagelschauern trieb er die Kühe in den Stall, dann floh er in die warme Stube.
«Puh!» Er schüttelte sich und zog das durchnässte Hemd aus. «Gut, dass die Kühe unten sind. Dieses Wetter hätte ihnen gar nicht gefallen.»
Matthis sah nur kurz auf den prasselnden Eisregen vor dem Fenster.
«Gut, dass sie unten ist», sagte er und nickte in Richtung der Kranken. «Sie hätte die Nacht dort oben nicht überlebt.»
Vince sah scheu auf die Fremde, die jetzt in Matthis’ Alkoven nahe der Herdstelle lag. Ihr Atem ging schnell und stoßweise, dicke Schweißtropfen standen auf der kalkweißen Stirn. Manchmal warf sie unter krampfartigen Zuckungen den Kopf hin und her oder bäumte sich auf. Matthis saß mit verbissenem Gesicht neben ihr, wischte ihr immer wieder mit einem feuchten Tuch Stirn und Hände ab und träufelte ihr mit einem Löffel etwas Flüssigkeit in den leicht geöffneten Mund.
Jetzt stand er auf, tauchte zwei Tücher in den Wassereimer, der auf Küchentisch stand, und wrang sie aus.
«Komm her, damit du was lernst.»
Er gab Vince die Tücher in die Hand.
«Hier, das kannst du machen. Wickel die Tücher fest um die Unterschenkel. Achte darauf, dass das Wasser nicht zu kalt ist, gib im Zweifel etwas warmes Wasser vom Topf dazu. Das Tuch wird schnell warm, dann hilft es nicht mehr. Deswegen musst du es regelmäßig erneuern. Und achte darauf, dass das Bettzeug nicht nass wird. Leg immer ein Stück Fell unter. Und wechsle auch das Fell regelmäßig. Dort drüben auf dem Stuhl liegen zwei Kuhfelle bereit, die kannst du nehmen.»
Vince hob die Bettdecke und machte sich daran, die Tücher um die Beine der Kranken zu wickeln. Beim ersten Kontakt zuckte er zusammen.
«Sie ist so heiß!»
Matthis nickte und flößte der Fremden weiter kleine Löffelchen Sud in den Mund.
«Aber du machst sie wieder gesund, nicht?»
Matthis sagte nichts.
«Du bist der beste Heiler, den ich kenne», versuchte Vince sich und seinem Lehrvater Mut zu machen. «Besser als Marvis! ‹Einläufe mit leicht gesalzenem Honigwasser bei Durchfall, Molke mit einem Sud aus Tammil gegen Entzündungen und Wurmbefall, Birkenknospentee zur Fiebersenkung, Wundbehandlung mit Birkenrinde›», zitierte er stolz. «Ich habe mir alles gemerkt!»
Matthis legte Becher und Löffel beiseite und wandte sich Vince zu. Eindringlich blickte er ihm in die Augen.
«Vince, du musst mir etwas versprechen, das sehr wichtig ist. Lebenswichtig.»
Vince nickte eingeschüchtert.
«Ich bin kein Heiler, Vince. Ich DARF kein Heiler sein! Ich bin Matthis, der Kuhbader, mehr nicht. Das Wissen um das, was wir hier tun, darf nie den Matthishof verlassen. Nie! Du wirst darüber kein Wort zu niemandem sagen, auch nicht zu deinem Vater. Versprichst du mir das?»
Vince starrte ihn an.
«Ich verspreche es!», flüsterte er.
Matthis legte seine kräftige rechte Bauernhand auf seine Brust.
«Auf dein schlagendes Herz?»
Vince tat es ihm nach. Seine Bubenhand mit dem zerrissenen Hemdsärmel legte sich auf die magere Brust.
«Auf mein schlagendes Herz!», schwor er andächtig.
Matthis nickte.
«Gut. Dann wäre das geklärt.»
Er wandte sich wieder der Kranken zu.
Vince beobachtete, wie er Löffel um Löffel in den kleinen Spalt zwischen den ausgetrockneten Lippen flößte.
«Aber du machst sie wieder gesund?»
Matthis antwortete nicht gleich.
«Wir können heil machen, was zum Leben bestimmt ist. Wir sind machtlos, wenn dem Tod die Herrschaft gebührt», sagte er dann, mehr zu sich selbst als zu Vince.
Nachdenklich wischte Matthis der Fremden mit einem feuchten Tuch die Schweißperlen von der glühenden Stirn.
«Und ich weiß noch nicht, was Aoum für sie vorgesehen hat.»
Danach wurde nicht mehr gesprochen. In Stille verstrichen die Stunden, die nur von dem regelmäßigen Wechsel der Wadenwickel, der Zubereitung von frischem Tee und dem Beträufeln der Lippen unterbrochen wurden. Einzig der wütend an die Fensterscheiben klopfende Eisregen erinnerte daran, dass es eine Welt jenseits der Stille gab. Als das letzte fahle Abendlicht verloschen war und der Schwärze der Nacht Platz gemacht hatte, stand Matthis auf und legte Vince die Hand auf den Arm.
«Das reicht, Vince, das reicht. Hol dir was zu Essen aus der Kammer, du weißt, wo alles ist. Schau auch noch einmal nach den Kühen. Gib den Trächtigen ein wenig Korn, sie brauchen jetzt eine Zusatzration. Und dann leg dich ins Bett. Ich komme hier allein zurecht.»
«Aber …»
«Kein Aber, geh jetzt.»
Vince tat, wie ihm geheißen. Nachdem er die Kühe versorgt und sich ein dickes Stück Käse und eine große Scheibe Brot gegönnt hatte, huschte er zu seinem Bett und ließ sich müde auf die Heumatratze fallen. Der über den Alkoven gebeugte Matthis war das Letzte, was er sah, dann glitt er in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
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