Stillerthal. Martina Simonis
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Название: Stillerthal

Автор: Martina Simonis

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783724522935

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СКАЧАТЬ Anders als in ihrem Wachtraum öffnete sich die Tür und eine in dunkle Schleier gekleidete Gestalt winkte sie zu sich. Sie folgte ihr durch lichtlose, in den Fels gehauene Gänge, bis sie weit oben in den Bergen wieder ins Tageslicht traten. Sie sah sich selbst, wie sie dem Sterben nah auf dem schmalen Pfad im Gebirge lag. Sie krümmte sich vor Schmerzen, hatte viel Blut verloren und war am Verdursten. Wie durch Nebel sah sie die Gestalt auf sich zukommen. Sie strich mit der Hand über den verletzten Arm, flößte ihr ein süßes und warmes Getränk ein. Ein anderes Mal waren es die Augen, die sich in der Dunkelheit über sie beugten, sie weckten und zum Weitergehen ermunterten und sie so vor dem Erfrieren retteten. An vielen Stellen war der Alte Pass kaum mehr zu erkennen. Doch immer wenn sie nicht mehr weiter wusste, wenn sie sich verirrt hatte, zeigte sich in der Ferne die verschleierte Gestalt und führte sie auf den Weg zurück.

      Lele zog ihre Schuhe an, schlang sich ihr Tuch um die Schultern und ging nach draußen. Ohne zu zögern trat sie in die mondschattige Dunkelheit der Bäume und folgte dem Pfad, der in Serpentinen den Bergwald hinauf zur Matthisalm führte. Schwer atmend und erschöpft trat sie schließlich aus dem niederen Gehölz am Rande der Baumgrenze hinaus auf die Alm.

      Hier oben beleuchtete der Mond ungehindert die weiten Hochweiden. Das kleine Almgebäude und die dunklen Leiber der schlafenden Kühe zeichneten sich deutlich gegen die hellen Wiesen ab. Suchend blickte sie sich um. Endlich sah sie die Gestalt; sie stand oben bei den beiden Wächterbäumen. Dort, wo Matthis sie entdeckt hatte, dort, wo sie ihr verlorenes Amulett wiedergefunden hatte. Leles Herz klopfte. Von der Anstrengung des Aufstiegs und vor Aufregung. Würde sie ihren Retter, ihre Retterin kennenlernen? Eilig stieg sie das letzte Stück bergan.

      Ihre Hoffnung auf ein Kennenlernen wurde enttäuscht. Kurz bevor sie die beiden Bäume erreichte, hob ihr verschleierter Führer den Arm, deutete ein kurzes Winken an, dann war er im schwarzen Schatten zwischen den beiden Bäume verschwunden. Eine Antwort auf die Frage, warum sie hier hoch geführt worden war, fand sie dennoch. Als sie sich atemlos am Fuße der beiden Bäume auf die Knie niederließ und durch den schmalen Spalt zwischen den beiden Bäumen blickte, durch den ihr Führer verschwunden war, enthüllte sich ihr das «Wahre Tor». Im letzten Licht des untergehenden Mondes sah sie den unscheinbaren Riss, der die undurchdringlich wirkende Felswand teilte. Plötzlich fiel er ihr wieder ein, der alte Vers aus dem Buch des Zweiten Zuges. «Den Stolzen zeigt sich der Himmel, den Demütigen zeigt sich der Weg.» Nur wer kniend hier durchsah, fand die verborgene Passage zum Alten Pass. Die Bäume waren in der Tat Wächter, aber sie bewachten nicht das Tal, sondern den Alten Pass. Sie waren das Tor, durch das man gehen musste, um den Weg über die Berge zu finden.

      Und noch etwas anderes fand sie. Einen neugeborenen Knaben. Das Kind lag nackt und schlafend zwischen den Wurzeln der beiden Bäume, in einem Nest aus Farnkraut. Mit seiner dunklen Haut und dem schwarzen Haarflaum sah es fast selbst wie ein Teil des Baumes aus. Selige Ruhe lag auf seinem Gesicht, als gäbe es nichts zu fürchten auf der Welt. Um den Hals des Kindes hing eine silberfarbene Kette mit einem muschelförmigen Amulett. Lele stockte der Atem, als sie den Anhänger sah. Unwillkürlich fasste sie an den eigenen Anhänger, den sie schon verloren geglaubt und dann wiedergefunden hatte. Vorsichtig nahm sie ihn vom Hals und hielt ihn neben den Anhänger des Kindes. Die fein ziselierten Arabesken beider Anhänger griffen ineinander, als hätten sie schon immer zueinander gehört. Aus zwei Muscheln war ein Zweidrittelkreis entstanden, der den oberen Teil eines Baumes darstellte. Die gewundenen und verzweigten Äste waren verziert mit schlankem Blattwerk, aber nur eine Seite des Baumes trug volles Laub und Frucht. Stumm starrte sie auf das Geschmeide in ihrer Hand, dann küsste sie es und führte es an Stirn und Herz.

      Schließlich beugte sie sich hinab und nahm das Kind vorsichtig auf. Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht, ein kurzes Seufzen, dann fiel es wieder in tiefen Schlaf. So gut es ging, band sich Lele das Kind mit ihrem Tuch auf den Rücken und machte sich auf den Heimweg.

      Matthis stand mit der weinenden Aeolin auf dem Arm im frühen Dämmerlicht vor dem Haus und schaute ihr entgegen. Seine Haltung zeigte eine Mischung aus Ärger und Besorgnis. Lele eilte zu ihm.

      «Was …», begann er mit zorniger Stimme, führte seine Frage aber nicht zu Ende. Verwirrt starrte er auf das Kind, das ihm Lele in den Arm drückte. Lele band sich das Kleid auf, nahm die schreiende Aeolin und legte sie an. Sofort kehrte Stille ein.

      Matthis schaute ratlos zwischen ihr und dem Kind auf seinem Arm hin und her.

      «Was ist passiert?», fragte er schließlich.

      «Ich habe ihn gefunden», sagte sie, noch atemlos von dem Marsch. «Oben bei den Wächterbäumen. Ich hatte … eine Vision», fuhr sie vorsichtig fort, um nicht zu viel preiszugeben. «Das drängende Gefühl, etwas verloren zu haben, das ich dort oben finden würde. Ich musste hoch!»

      Nachdenklich schaute er sie an, nickte schließlich. Er betrachtete das Kind in seinen Armen.

      «Bei den Bäumen hast du ihn gefunden. Ein kleiner Tannenschössling also.»

      «Er kann doch hier bleiben?», fragte Lele. Matthis war der Herr über den Hof, die Entscheidung lag bei ihm. Matthis zögerte einen Moment, dann nickte er.

      «Der Matthishof wird ihn schon ernähren können.»

      Vorsichtig legte er das Kind auf die Bank neben Lele und holte sich Stock und Kiepe.

      «Ich muss zu den Kühen, bin schon spät dran», brummte er und eilte davon.

      Sie nannten den Knaben Tann, nach dem Ort, an dem Lele ihn gefunden hatte. Von ihrem unbekannten Führer erzählte Lele nichts. Matthis fragte auch nicht nach. Er schien akzeptiert zu haben, dass seine Gefährtin ein Geheimnis umgab. Das Amulett ließ Lele ebenfalls unerwähnt. Noch am selben Morgen, als Matthis oben bei den Kühen war, trennte sie eine Naht ihres Kopfkissens auf, wickelte die beiden Amulettteile in ein Stück Stoff, versteckte sie zwischen den Federn und schloss die Naht. Erst danach atmete sie auf. Das Vorgefallene hatte eine Ahnung in ihr wachgerufen, die jedoch noch zu vage war, um darüber zu sprechen. Besser war es, die Dinge erst einmal auf sich beruhen zu lassen. Aber sie nahm sich vor, wachsam zu bleiben.

      Zwei Vogeleier und drei schöne Kekkerschwanzfedern – Vince war mit seiner Ausbeute zufrieden. Gut gelaunt stapfte er den Weg zum Matthishof hoch. Der Vater hatte ihn geschickt. Klara, ihre beste Milchkuh, sollte kalben, aber es ging nicht vorwärts. Entweder sie muhte oder sie stand apathisch im Koben. Matthis’ Künste waren gefragt.

      Vince fand es schade, dass er nicht mehr Kuhbub auf dem Matthishof sein konnte.

      «Tut mir leid, Vince, aber wenn das Kind da ist, sind wir zu dritt, da wird die Stube zu klein für einen Kuhbuben», hatte Matthis gesagt.

      «Ich kann im Stall schlafen», hatte er vorgeschlagen.

      Matthis hatte gelacht und ihm das Haar verstrubbelt.

      «Vince, du hast gelernt, was du lernen solltest. Kümmere dich lieber um die Kühe deines Vaters, die können eine liebevolle Hand gebrauchen.»

      Damit hatte er recht. Sein Vater war oft ungeduldig und hart mit den Kühen. Vince war stolz, dass Matthis überzeugt war, dass er es besser konnte, und hatte sich gefügt. Trotzdem war er froh, mal wieder auf den Hof hochzukommen – und noch dazu auf Anweisung des Vaters!

      Eigentlich hatte er vorgehabt sich anzuschleichen, aber das ging nicht. Die fremde Frau saß vor dem Wohnhaus. Sie hatte ihn schon gesehen und nickte ihm zu. Sie hatte das Kleid aufgebunden und an jeder Brust lag ein Baby. Vince blieb verunsichert stehen.

      «Komm СКАЧАТЬ