Stillerthal. Martina Simonis
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Название: Stillerthal

Автор: Martina Simonis

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783724522935

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СКАЧАТЬ jeden einzelnen Löffel zum Mund, sorgsam darauf bedacht, das Zittern der noch schwachen Hand unter Kontrolle zu halten. Man sah ihr die schwere Erkrankung an. Der Körper war dürr und ausgemergelt, die Wangen eingefallen, die Haut blass wie eine gekalkte Wand. Aber schon jetzt sah man ihre einstige Schönheit durch das Leiden hindurchschimmern. Die großen Augen, die ausgeprägten Wangenknochen. Das Tuch seiner Mutter, das er ihr gegeben hatte, trug sie wie eine Krone um den Kopf geschlungen.

      Auf seine Frage, wie sie heiße, hatte sie «Lele» geantwortet. Matthis hielt sich daran.

      «Gibt es einen Ort zu dem ich dich bringen kann, Lele?», fragte er. «Freunde? Ein Zuhause?»

      Der Löffel der Fremden verharrte auf halbem Wege. Sie sah kurz auf.

      «Ich komme nirgendwoher und ich kann nirgendwohin», sagte sie. Dann richtete sie ihren Blick wieder auf den Löffel und führte ihn schweigend zum Mund.

      Matthis verstand, was das bedeutete. Es war die Bitte um Asyl. Er nickte langsam.

      «Also gut. Du kannst hier bleiben. Ich werde mir etwas überlegen.»

      Als die Fremde mit Essen fertig war, räumte er den Teller ab, wischte den Tisch sauber, legte ein sauberes Tuch auf und holte sein Wundmesser. Lele sah ihn fragend an.

      «Es ist Zeit, den Verband abzumachen», erklärte Matthis. «Der Arm muss bewegt werden, sonst versteift er.»

      Sie rollte den Ärmel des alten Männerhemdes, das ihr Matthis gegeben hatte, hoch und legte den Arm auf den Tisch. Vorsichtig schnitt Matthis mit dem Messer die Schnüre des Rindenverbands auf. Der Arm darunter war dünn wie Reisig. Über die gesamte Länge zog sich eine wulstige rote Narbe. Dort, wo Matthis viel Fleisch hatte wegschneiden müssen, wölbte sich die Narbe nach innen, und in der Ellenbogenbeuge war die Haut so auf Zug gewachsen, dass es aussah, als würde sie beim geringsten Versuch, den Arm durchzustrecken, reißen.

      Matthis blickte unglücklich auf den verunstalteten Arm.

      «Es tut mir leid», sagte er. «Ich …»

      Lele unterbrach ihn fast grob.

      «Schweig, Matthis. Ich lebe und ich habe noch beide Arme. Mehr wäre …» Sie stockte, strich vorsichtig mit ihrer rechten Hand über das vernarbte Gewebe. «Mehr wäre unangemessen. Dieser Arm wird mich immer daran erinnern, wer ich war.»

      Matthis sagte nichts. Die Frage «Wer warst du?» blieb ungestellt. Er wusste, sie hätte ihm nicht geantwortet. Nach einer kurzen Zeit des Schweigens räusperte er sich.

      «Außer Vince weiß keiner, dass du hier bist. Ich denke, es ist am besten, wenn es so bleibt. Vinces Zeit als Kuhbub endet mit dem elften Mond, dann muss er nach Hause zurück, aber er wird nichts erzählen. Im Winter ist der Matthishof eingeschneit, da kommt keiner aus dem Dorf hier rauf. Doch um den dritten Mond beginnt die Schneeschmelze, dann wird sich deine Anwesenheit nicht länger geheim halten lassen. Daher habe ich mir etwas überlegt. Sobald die Straße befahrbar ist, könnte ich mir Lundis’ Ochsenkarren ausborgen und ins Tal reisen. Ich tue das hin und wieder, um Käse zu verkaufen. Ich könnte dich aus dem Tal hinausschmuggeln. Auf dem Heimweg könnte ich dich offen mitnehmen und als meine neue Magd vorstellen. Was hältst du davon?»

      Lele sagte nicht sofort etwas. Nachdenklich schaute sie ihn an.

      «Das wird nicht gehen, Matthis. Es würde Gerede geben.»

      «Natürlich wird es Gerede geben. Du siehst anders aus als wir hier. Aber irgendwann hat dich jeder gesehen und der Tratsch wird aufhören.

      «Ich meine nicht diese Art von Gerede, Matthis. Ich spreche von einer anderen Art Gerede. Ich erwarte ein Kind.»

      Matthis zuckte leicht zusammen.

      «Verstehe. Nein, dann geht das nicht.»

      Er schaute auf seine Hände hinunter.

      «Ich … ich könnte dich als meine Frau ausgeben. Nur nach außen natürlich. Ich … würde nichts verlangen, keine Ansprüche erheben. Aber unter den Umständen … wäre es vielleicht das … Unauffälligste?»

      Lele nickte.

      «Ja, machen wir es so!»

      Nie vergaß sie diesen ersten Winter. Sie war ein verletztes Tier, der Matthishof war ihr Bau. In der Stille und Abgeschiedenheit des Bergbauernhofes fand sie die Zuflucht, die sie brauchte, um zu genesen.

      Es war ein langer und schwerer Weg zurück in ihren geschändeten Körper. Anfangs saß sie nur da und schaute hinaus auf den fallenden Schnee. Ihr schien, als ob ihr Körper selbst sich die Fessel der Reglosigkeit auferlegt hatte, als hoffte er, in der Ruhe der Glieder die Ruhe der Gedanken zu erzwingen. Doch irgendwann löste sich die Erstarrung und sie begann, sich kleine Aufgaben zu setzen. Erste Gänge vom Alkoven zum Stuhl, vom Stuhl zum Vorhang, von dort zum Alkoven zurück. Aber immer blieb sie in der Stube.

      Matthis ließ sie gewähren. Er verlangte nichts, gab keine Ratschläge. Er war einfach da und ging seiner Arbeit nach. Stand früh auf und molk die Kühe, dann folgte die Arbeit in der Käserei, dann die Hühner. Manchmal war über Nacht so viel Schnee gefallen, dass er zuerst die Wege freischaufeln musste. Mittags stampfte er Butter, buk Brote, kochte, stellte seine Eutersalbe her. Abends saß er in der Stube und reparierte Werkzeug oder stopfte seine Hemden. Manchmal fragte sie ihn nach seiner Arbeit, dann erklärte er geduldig.

      Schließlich kam der Tag, an dem sie beschloss, dass es Zeit sei, sich nützlich zu machen. Sie ließ sich von Matthis Arbeiten im Haus zuweisen. Sie schnitt Zwiebeln, schälte Erdäpfel, legte Brennholz nach. Anfangs waren selbst diese einfachen Tätigkeiten anstrengend, manchmal schlief sie vor Erschöpfung mitten in der Arbeit ein. Meist erwachte sie nicht einmal, wenn Matthis ihr die Schüssel mit den Erdäpfeln aus der Hand zog, um sie selbst zu Ende zu schälen. Auch verweigerte ihr versehrter Arm immer wieder den Dienst. Er blieb schlaff, wenn er fest zugreifen sollte oder zog sich plötzlich krampfartig zusammen. Einiges fiel zu Boden, manches ging zu Bruch. Sie war dankbar, dass Matthis kein Wort über die zerborstenen Schalen verlor. Mit zusammengebissenen Zähnen kehrte sie die Scherben auf und machte weiter.

      Als sie sich stärker fühlte, bat sie Matthis eines Nachmittags, ihr den Hof zu zeigen. Mit klopfendem Herzen folgte sie ihm hinaus auf die tief verschneite Lichtung, die den Matthishof umgab. Es war eine beruhigend überschaubare und begrenzte Welt. Der Himmel hing tief, aus grauen Wolken fiel feiner Schnee. Ringsumher war schützender Waldsaum, die Äste der Lärchen und Kiefern beugten sich unter ihrer weißen Last. Und inmitten der verschneiten Wiesen mehrere geduckte kleine Holzgebäude. Das war der Matthishof.

      Je kräftiger Lele wurde, desto mehr traute sie sich zu. Sie fragte Matthis, ob sie ihm im Stall oder beim Verkäsen der Milch helfen könnte. Matthis zuckte zuerst mit den Schultern und schüttelte den Kopf, aber am nächsten Tag nahm er sie morgens mit in den Stall. Interessiert sah sie zu, wie Matthis die Kühe mit etwas Salz begrüßte, fütterte, molk und den Stall ausmistete. Wie er Lab in die Milch gab, um das Kasein zu trennen, das dann in großen Netzen aus der Molke gehievt, in Formen gefüllt und gepresst wurde. Beschämt musste sie sich eingestehen, dass all diese Arbeiten zu schwer für ihren entkräfteten Körper waren. Anfangs hatte sie gehofft, Matthis zumindest beim Melken helfen zu können. Aber ihr versehrter linker Arm erlaubte kein gefühlvolles Arbeiten. Die Kühe lernten schnell ihren harten Griff fürchten und muhten, sobald sie den Stall betrat. So ließ sie es wieder sein und übernahm stattdessen СКАЧАТЬ