Название: Gesammelte Werke
Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027237517
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Gleichwohl wäre es Ambrosius schwerlich gelungen, ihn bei sich festzuhalten, wenn Switrigal nicht Gelegenheit gehabt hätte, Waltrudis zu sehen, als sie am Fenster stand und ihren Dompfaffen fütterte, der dort in einem Drahtbauer hing. Mit offenem Munde blieb er stehen und starrte unverwandt hinauf, bis das Mädchen mit dem krausen Goldhaar ihn bemerkte und sich scheu zurückzog. Wer ist das? fragte er, ganz Staunen und Verwunderung. Waltrudis, antwortete Ambrosius, des Herrn Hochmeisters nahe Verwandte. – Und sie wohnt bei dir? – Sie ist in meines Weibes Pflege, da sie doch auf dem Schlosse selbst nicht wohnen kann. – Laß uns hinaufgehen! – Morgen, Prinz, wenn Ihr im Gießhause etwas gelernt habt, vertröstete Ambrosius. Pünktlich fand sich Switrigal am andern Tage ein.
Waltrudis hatte schon erfahren, wer der sonderbare Mensch gewesen, der sie so unartig angegafft hatte, und verließ nur ungern ihr Stübchen, um ihm Gesellschaft zu leisten. Er war dann, als er sie in der Nähe sah, ganz wie auf den Mund geschlagen, ließ aber die Augen nicht von ihr, so daß es ihr unheimlich zumut wurde. Seine erste Frage war, ob das wirklich Haar sei, was ihr Gesicht umglänze, und darüber mußte sie nun doch lachen. Sie bestätigte es, er aber schüttelte ungläubig den Kopf und streckte die Hand aus, um sich durch das Gefühl zu überzeugen, was sie jedoch nicht litt. Ihre Weigerung erzürnte ihn, und als sie nun einige Fragen an ihn richtete, die auf seine Heimat bezug hatten, gab er keine Antwort. Ihr seid nicht gut erzogen, Prinz, sagte die Gießmeisterin in ihrer offenen Weise, sonst wüßtet Ihr, was ein junger Herr einem Fräulein schuldet. Er wandte sich kurz um und ging nach der Tür, blieb aber stehen und kehrte wieder zurück. Verzeiht mir, bat er, ich will's lernen.
Seitdem war er nun täglich im Gießhause und mit Ambrosius in den anderen Werkstätten oder Vorratskammern, dann aber zur Belohnung für fleißiges Zuhören in seiner Wohnung bei den Frauen. Er sah einmal, daß Waltrudis aus einem Buche abschrieb, und wollte nun auch schreiben lernen, lesen konnte er ein wenig. Er bat so artig, daß sich das Mädchen herbeiließ, ihm zu zeigen, wie man die Feder halten und den Strich auf das Papier ziehen müsse. Seine Ungeschicklichkeit dabei machte ihm so viel Spaß als vorhin ihre zierliche Bewegung. Als aber der Versuch auch beim dritten und vierten Male nicht gelingen wollte, warf er die Rohrfeder unwillig fort und sprang so hastig auf, daß der Tisch ins Schwanken kam und das Schälchen mit der schwarzen Farbe umfiel, die weiß gescheuerte Platte beschmutzend. Darüber war Frau Ambrosius sehr böse und kanzelte ihn derb ab wegen seines auffahrenden Wesens. Waltrudis aber verließ, ohne ein Wort zu sagen, die Wohnstube. Als er am nächsten Tage kam und das Fräulein sich nicht zeigen wollte, wurde er ganz zahm, kniete vor der Tür nach ihrem Stübchen nieder und erklärte, nicht eher aufzustehen, bis sie ihm seine Heftigkeit verziehen habe. Nun mußte wohl Frau Ambrosius selbst für ihn eine Fürbitte einlegen.
Dem Hochmeister konnte diese Wandlung in der Sinnesweise seines Schützlings nicht entgehen. Auch erfuhr er von Ambrosius, welchen Einfluß das Fräulein auf den sonst so schwer lenksamen Herrn habe, und als er sie einmal zusammen antraf, hätte er blind sein müssen, wenn er nicht hätte merken sollen, daß des Prinzen finstere Augen ordentlich fromm wurden, wenn sie sich auf Waltrudis richteten. Das schien ihm wohl zu gefallen, denn er streichelte ihre Wange und sagte zu ihr: Da ist uns ein zottiger Bär aus den masowischen Wäldern gekommen, daß wir ihn tanzen lehren. Uns Männern zeigt er die Zähne, aber deiner kleinen weichen Hand gelingt's ohne Mühe, ihn zu binden und abzurichten, über Jahr und Tag ist er vielleicht in deiner Zucht so zahm wie ein Schoßhündlein geworden und gar nicht mehr wiederzuerkennen. Wahrlich, Kind, du kannst ein gutes Werk an ihm tun.
Das hörte Switrigal mit an und wurde feuerrot im Gesicht. Das Mädchen aber wechselte nicht die Farbe und antwortete ganz frei und offen: Ich tue gern, was ich kann. Er ist auch gar nicht so ungelenk, als er sich anfangs den Schein gab, und nimmt gute Weisung an. Ich berede ihn wohl noch, daß er zu Herrn Wigand in die Schule geht.
Laßt ihn hierherkommen, rief der Prinz, und ich höre ihm zu, solange du willst!
Dieses Wort faßte der Meister auf und trug es eine Weile nachdenklich mit sich herum. Dann sprach er mit Ritter Wigand. Der alte Herr war nicht abgeneigt, einen Versuch dieser Art zu wagen, und hatte sich bald seines Gelingens zu erfreuen. Täglich am Vormittage saß er nun im Wohnzimmer des Meisters Ambrosius am großen Tisch zwischen Switrigal und Waltrudis und trug ihnen vor, was für Länder in Europa wären, und was für eine Regierung ein jedes habe, wie die Fürsten hießen und deren Gemahlinnen, wie sie miteinander verwandt und verschwägert waren, welche Wappen sie und ihre vornehmsten Vasallen führten und welche Bedeutung alle die krausen Zeichen darin und darauf hätten. Auch erzählte er, wie man es in Krieg und Frieden mit dem Verkehr unter den Potentaten halte, wie man Gesandte schicke und beglaubige und welche Rechte man ihnen beilege, auch was das Heroldsamt zu sagen habe, wie man Fehde ankündige und was im Kriege und bei Turnieren für unritterlich gelte. Über alle diese Dinge und noch viele mehr wußte er gut Bescheid. Waltrudis schien aufmerksam zuzuhören, und wenn Switrigal auch öfter zu ihr hinüber als den Lehrer ansah, so blieb doch auch bei ihm einiges haften, und der Ehrgeiz, es dem Fräulein im Antworten gleichzutun, wirkte anstachelnd. Ihr müßt sorgen, Prinz, sagte sie ihm, daß einmal in Eurem Herzogtum Masowien eine recht christliche und ritterliche Regierung in Kraft sei, damit dieses Ordensland eine gute Stütze an ihr finde im Kampfe gegen die barbarischen und heidnischen Völker des Ostens.
Ritter Wigand stimmte zu und sang des Ordens Lob. Helft mir dazu, Waltrudis, antwortete er, das Gesicht in beide Arme stützend und sie mit verlangenden Blicken anschauend. Sie aber wollte ihn nicht verstehen.
So stand's in der Marienburg, als Hans von der Buche sich nach zweitägigem scharfem Ritt dort einfand. Er war am Abend angelangt und in der städtischen Herberge abgestiegen, man ließ ihn aber so spät nicht mehr in die Burg ein. Am nächsten Morgen kam er zwar in den Schloßhof, sah sich aber überall abgewiesen, da er erklärte, nur mit dem Herrn Hochmeister selbst sprechen zu wollen, auch keinem Geringeren sagen zu können, um was es sich handle, außer, daß größte Gefahr im Verzuge sei. Man hielt ihn für gestört und trieb ihn zuletzt vom Hofe. Da er nun sah, daß er sich hier vergeblich mühen und nur Zeit versäumen würde, ging er nach der Vorburg, um nach Meister Ambrosius zu fragen und ob der noch dort seine Wohnung habe.
Er fand ihn im Gießhause, und es war große Freude des Wiedersehens. Der Meister führte ihn in seine Wohnung hinauf, und auch seine Frau bewillkommte den unerwarteten Gast aufs freundlichste. Als er nun aber zu erzählen anfing, wie es ihm seit dem Herbst ergangen und wie er seinen Hof wieder aufgebaut, da öffnete sich die Tür zur Seite und Waltrudis trat mit hochgerötetem Gesicht ein. Seid Ihr's wirklich, Herr Hans von der Buche? rief sie; hab' ich Euch doch gleich gemeint an der Stimme zu erkennen! Willkommen, willkommen!
Sie reichte ihm die Hände hin und hielt eine Weile die seinigen fest. Er war sehr bewegt und konnte nicht sogleich Worte finden. Dann sagte er: Ich wagte gar nicht zu hoffen, daß ich Euch hier auf der alten Stelle noch antreffen würde. Oder – daß ich ganz aufrichtig bin – ich hoffte es wohl im stillen, wagte aber nicht, nach Euch zu fragen. Nun Ihr mich so begrüßt, ist mein Herz doppelt froh.
Die Gießmeisterin, bei der er nun einmal einen Stein im Brett hatte, trug auf, was die Vorratskammer an Speisen und Getränk hergab. Er aber aß nur ein weniges und sagte: Ehrt mich nicht als Euren Gast. Denn in so teurem Andenken ich Euer Haus hielt und so sehr ich mich nach ihm sehnte – seinetwegen machte ich diese Reise nicht, sondern weil ich in einer dringenden Angelegenheit den Herrn Hochmeister zu sprechen habe. Ich kann Euch nicht mitteilen, was es ist, aber das möget Ihr wissen, daß ich ihm ein Geheimnis entdecken will, an dem das Heil und Unheil seiner Regierung, vielleicht seines Lebens hängt. Man will mich nicht zu ihm einlassen, da man mich nicht kennt. Deshalb bitte ich Euch, lieber Meister Ambrosius, begleitet mich ins Schloß und schafft mir eiligst Gehör. Ich kann nicht ruhig sein, bis ich diese Last von meinem Herzen habe.
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