Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
isbn:
»Aber ein Mann!«
»Ich glaube, das habe ich gezeigt.«
»Gezeigt, wieso? wann?«
»Ich habe mich Ihrer Guillotine ausgesetzt, um andere davon loszukaufen, die ich für unschuldig halte!«
»Behaupten Sie, die Ritterhausen seien unschuldig?«
»Ja, Hoheit.«
»Und was wissen Sie davon?«
»Ich kenne sie und ich habe diese Ueberzeugung.«
»Ach gehen Sie zum Teufel ... man wird sich viel kümmern um Ihre Ueberzeugung!«
Murat wandte sich ab. Er warf einen fragenden Blick in Ermanns Züge.
»Hoheit,« sagte dieser, »auch ich habe fast diese Ueberzeugung. Den Untergang des alten Huckarde hat uns dieser Herr, sein Sohn, sehr glaublich zu erklären gewußt, und was den Mord des Grafen von Epaville angeht, so ist auch in dieser Beziehung meine anfangs sehr feststehende Ueberzeugung wankend geworden.«
» Sacré mille tonnerres ... das junge Mädchen hat in meiner Gegenwart dem Grafen prophezeit, er werde hier umkommen!« fiel der Großherzog zornig ein, »Wenn das sie nicht verdächtig macht, so habt Ihr Herren von der Justiz eine andere Logik als ich!«
Ermanns widersprach nicht. Er blickte schweigend auf den Untersuchungsrichter.
»Aber meinethalb – vorausgesetzt, Ihr schafft mir den Deserteur herbei,« rief Murat ungeduldig mit dem Fuße stampfend aus. »Wozu bezahle ich Eure Spürhunde? Weshalb bringen sie ihn nicht herbei?«
»Wir haben denselben in den Musterrollen seines Regiments ermittelt. Nach den Angaben des Hausmeisters und der Sibylle Ritterhausen über sein Aeußeres muß es derselbe Mann sein, der unlängst aus Düsseldorf desertiert ist. Er war Sergeant und in Holland angeworben, aber deutscher Herkunft. Sein Name war Johannes Schwarz. So hat er ihn wenigstens eintragen lassen.«
»Da habt Ihr viel!« sagte der Großherzog mit verächtlichem Tone.
»Nun,« fuhr er dann fort, »Monsieur Ermanns, ich gebe Ihnen auf, diesem Herrn, der die Justiz belügt, eine Polizeistrafe zu diktieren. Untersuchen Sie weiter und vor allem, schaffen Sie mir den Deserteur herbei. Adieu ... Wenn es Ihnen gefällig ist, Madame,« wandte er sich dann an die Gräfin, »so bringe ich Sie jetzt zur Stadt zurück.«
»Hoheit haben zu befehlen,« versetzte Madame Henriette sich verbeugend, und der Großherzog reichte ihr den Arm, um sie zum Wagen zu führen.
Die Gräfin verschwand an seiner Seite aus dem Raume, jedoch nicht ohne Richard einen Blick voll Teilnahme zuzuwerfen.
Ermanns wandte sich nun zu diesem, »Sie haben Sr. Hoheit Worte gehört,« sagte er. »Ich bin dadurch gezwungen, Sie auf acht Tage in Polizeiarrest zu schicken. Folgen Sie mir!«
Er ging hinaus und gab draußen einem der harrenden Gendarmen den Befehl, Richard von Huckarde zum Polizeiarrest in der Hauptstadt abzuliefern. Dann kehrte er zum Untersuchungsrichter zurück, um sich mit diesem zu besprechen, Richard wurde die Treppe hinab und im aufwirbelnden Staub des großherzoglichen Cortége zu Fuß nach der Hauptstadt eskortiert. Der gedemütigte junge Mann, der wie ein Vagabund als Polizeiarrestant aus dem Hause seiner Väter abgeführt wurde, folgte in willenloser Niedergeschlagenheit.
Er schritt daher ohne des Wegs zu achten, den er geführt wurde, wie mechanisch Schritt auf Schritt den staubigen trocknen Boden der Straße tretend, die sich hügelauf und hügelab vor ihm dahinzog, bis er an seinem Ziele stand, ohne Bewußtsein, wie er es eigentlich erreicht, ohne klares Gefühl, was es ihm bedeute.
Er erwachte erst aus dieser Lethargie, als er sich inmitten einer seltsamen und unheimlichen Räumlichkeit wiederfand, die höchst melancholischer Art war. Es war eine große, sehr niedrige Kammer, an deren Decke jedes Haupt stieß, welche auf einem mit zuviel Schwungkraft in die Höhe geschossenen Körper saß. Die Fenster hatten mehr Aehnlichkeit mit den Oeffnungen, welche man zum Durchlaß von Licht und Luft in den Ställen der Pferde anbringt, als mit den Glasflächen, welche die Wohnungen sonnenbedürftiger Menschen erhellen. Obendrein waren sie mit eisernen Stangen versehen, über deren Zweckmäßigkeit zwischen denen, welche sich innerhalb dieses Raumes befanden und denen, welche draußen in der Freiheit einhergingen, gewiß eine bedeutende Meinungsverschiedenheit herrschte. Zur Bequemlichkeit der Bewohner waren am obern Ende Pritschen angebracht, schräg ansteigende Gerüste, die im Lauf der Jahre durch den Gebrauch eine so dunkle Tinte und eine so vollkommene, spiegelnde Glätte angenommen hatten, daß sie die Knauserei derer beschämen mußten, welche ein so zahlreich besuchtes öffentliches Lokal ohne polierte Möbel gelassen. Was die Wände anging, so waren sie bloße kalte Kalkwände; aber sicherlich waren sie nur in einem Geiste umsichtiger Humanität nicht mit Tapeten bekleidet; zu dem Ende nämlich, um den hier längere öder kürzere Zeit weilenden Gästen nicht die Gelegenheit zu rauben, auf einer gegebenen weißen Fläche dem Drange ihres schöpferischen Talentes und ihrer künstlerischen Anlagen nachzuhängen. In der Tat waren diese Wände benutzt worden zu einer ganz unzählbaren Menge von Uebungen in den zeichnenden Künsten. Alle diese Kohle-, Kreide- oder Bleistiftzeichnungen jedoch deuteten auf eine große Uebereinstimmung der Phantasie bei den darstellenden Künstlern, aber daneben auf eine große Verschiedenheit der Höhe, welche ihre artistische Ausbildung erlangt hatte. Denn was die Phantasie dieser polizeilich abgewandelten Anch’io sono Pittore angeht, so hatte dieselbe sich immer wieder zweierlei Arten von Stoffen zugewendet, wovon die erstere so war, daß sie ganz eigentlich Gegenstände für Behandlung in einem Raume mit geschlossenen Türen, à huis clos, umfaßte, und daß wir uns enthalten müssen, sie näher deutlich zu machen. Die andere Sorte von Künstlern hatte ein Motiv von mehr tragischer Art benutzt; es war die Darstellung eines hampelmannartigen Individuums, welches man an einen Galgen gehängt hat... ein Stoff, der in hundert verschiedenen Darstellungsversuchen wiederkehrte. Nur hier und dort zeigte sich, daß die Wandlungen der neuesten Zeit auch an diesem Raume nicht vorübergeschritten, ohne ihre Spuren zu hinterlassen. Es tauchte zur Abwechselung zwischen den Galgen eine Guillotine auf. Unzählige Massen von Namen bildeten die Arabeskeneinfassung zu diesen Schöpfungen bevorzugter Geister, die in diesem Saal eine kurze Spanne ihres irdischen Daseins verlebt hatten.
Richard wurde von dem Gendarmen, der ihn geleitet, und von dem Gefängniswärter, der ihn in Empfang genommen hatte, in diesen Raum geführt, wobei der Wärter nach einem forschenden Blick auf seine äußere Erscheinung ihm ankündigte, daß er ihm eine besondere Zelle noch vor Nacht einräumen wolle. Der Aufenthalt in dem großen Saal für alles eingefangene Gesindel sollte nur ein provisorischer sein, sagte beruhigend der Mann, der mit einer gewissen Teilnahme in die stolzen und düstern Züge des neuen Gastes blickte, welchen man für die nächsten acht Tage seiner Obhut übergeben hatte.
Richard verlangte, daß man ihm seinen Koffer aus dem Hause seines Freundes herbeischaffe. Als sich dann die Türen hinter ihm geschlossen hatten, wandelte er mit verschränkten Armen langsam in dem dunkeln Räume auf und ab. Er sah, daß er nur zwei Schicksalsgefährten hatte, zwei ländlich gekleidete Individuen, die nebeneinander auf der Pritsche saßen, und nachdem sie den neuen Ankömmling eine Weile neugierig betrachtet hatten, sich flüsternd zusammen unterhielten.
Eine Viertelstunde lang mochte Richard so hin und her geschritten sein, als die Ermüdung, welche er im Anfang nicht beachtet hatte und die nach all seinen Wanderungen am heutigen Tage sehr erklärlich war, ihn zwang, sich niederzulassen.
Er setzte sich auf eine Ecke der Pritsche, entfernt von den zwei flüsternden Männern.
Ohne СКАЧАТЬ