Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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»Nun,« sagte Nesselrode, »eine dieser Tatsachen scheint eben vorzuliegen. Es wird von mehreren Leuten versichert, daß unser Prophet, dessen volkstümlicher Name der Spielberend ist, den Sarg mit fürstlichen Wappen, feierlich von Militär und Herren in gestickten Uniformen begleitet, aus dem Portal der Rheider Burg hat tragen sehen; und Sie werden nicht in Abrede stellen, daß dies, Schauspiel am morgenden Tage in Wahrheit und Wirklichkeit dort statthaben wird – an den Sarg des Grafen von Epaville gehören die Wappen des Hauses Anglure.«
Es entstand jetzt eine lebhafte Debatte über Möglichkeit und Wahrheit solcher Geschichten, die von Beugnot und seiner Gattin geleugnet, von Murat und Nesselrode behauptet wurde.
Beugnot war ein witziger sarkastischer Kopf; er war ein glücklicher Erfinder von Bonmots oder glänzenden Phrasen – er war es auch, an den man viele Jahre später bei der Rückkunft der Bourbonen nach Frankreich sich wendete – Ludwig XVIII, mußte in diesem großen Augenblick, beim Wiederbetreten des französischen Bodens, ein schönes geistreiches Wort sagen, und deshalb nahm man seine Zuflucht zu Beugnot, der dann jenes: »Il n’y a rien de Changé, il n’y a qu’un Français de plus« vorschlug, welches darauf der Moniteur als des Königs Ausruf in jenem denkwürdigen Moment in alle Welt verkündete. An Gespenster aber glaubte Beugnot nicht, Murat jedoch setzte den Behauptungen Nesselrodes keinen völligen Unglauben entgegen, obwohl der kirchliche Glaube der Generation und der Zeit, welcher er angehörte, ganz und gar abhanden gekommen war. Er war Soldat, und der Soldat ist abergläubisch. Jene ganze kriegerische Epoche war es. Man weiß, wie zu derselben Zeit die Lenormand einen europäischen Ruf hatte und wie alle Welt von der Krone zu erzählen wußte, welche eine Zigeunerin der jungen Josefine Tascher de la Pagerie versprochen.
Während des lebhaften Gesprächs, welches sich über diesen Gegenstand entsponnen hatte, trat einer der Offizianten hinter den Stuhl des Großherzogs und machte ihm flüsternd eine Meldung, welche Murat aufmerksam anhörte.
»Was kann sie wollen, so spät noch?« rief er dann aus, »führen Sie sie ins Nebenzimmer; ich komme!«
Und aufstehend, während der Offiziant sich entfernte, sagte er zur Gräfin Beugnot gewendet: »Verzeihung, Madame – für wenige Augenblicke. Duhamel kann unterdes meine Karten nehmen!«
Er winkte einem jungen Mann in Marineuniform, den er in der Tür des Kabinetts erscheinen sah, und übergab ihm seine Karten; dann verließ er das Gemach durch eine Tapetentür, welche ein herbeispringender Lakai vor ihm öffnete.
Die Tapetentür führte in einen kleinen runden, nur matt erhellten Salon, in welchem sich in diesem Augenblicke niemand befand.–Als Murat über die Schwelle trat, öffnete sich ihm gegenüber eine Flügeltür und in ihrer seidenen Trauerrobe, im Mützchen von schwarzem Krepp, schwebte graziösen Ganges die Gräfin von Epaville herein. Ihre Züge waren leicht gerötet, sie war augenscheinlich sehr erregt und während der Großherzog ihr entgegentrat, um sie an der Hand zu einem seitwärts stehenden Diwan zu führen, bat sie inständig für den Frevel um Vergebung, daß sie in so später Stunde die Hoheit zu belästigen sich erdreiste.
»Und was ist es, was mir dies Vergnügen verschafft, Madame?« fragte Murat sie unterbrechend.
»Hoheit,« versetzte sie, »ich komme Ihnen anzuzeigen, daß ich im Besitze des Schlüssels zu dem Geheimnis der ganzen schrecklichen Begebenheit bin, welche mir so plötzlich und vor der Zeit meinen Gatten entrissen hat ...«
»Wie,« fiel der Großherzog lebhaft ein, »Sie hätten den Urheber des Verbrechen« ...
»Ich habe ihn entdeckt, Hoheit, und wenn keine Zögerung eintritt, so ist es möglich, noch von den eigenen Lippen des Mörders das Geständnis seines Verbrechens zu erhalten.«
»Erzählen Sie mir das, Madame!«
»Vor allen Dingen bitte ich Ew. Hoheit, daß dieselben geruhen wollen, den Polizeibeamten, welcher mit der Untersuchung der Sache beauftragt ist, herzubescheiden ... es ist Eile notwendig!«
»Das soll geschehen, Madame!«
Er erhob sich, um eine neben der Flügeltür hängende Klingel zu ziehen; gleich darauf trat ein Kammerlakai ein, dem der Großherzog den Befehl erteilte, sofort Monsieur Ermanns herbeizuschaffen.
»Und nun?« wandte sich Murat an die kleine Dame, nachdem der Lakai verschwunden war.
»Nun könnte ich Eure Hoheit eine lange, sehr lange Geschichte erzählen, wenn ich nicht befürchten müßte ...«
»Erzählen Sie immerhin – wenn diese Geschichte Sie betrifft, so ist ihr meine lebhafte Teilnahme von vornherein, gewonnen.«
»Nicht mich, und doch auch wieder mich,« versetzte die Gräfin mit einem schmerzlichen Lächeln. »Vielleicht ist Ihnen bekannt, Hoheit, daß ich mit meinem verstorbenen Gemahl eine Zeitlang am Hofe seines Verwandten, des Herzogs von Anglure, in Westfalen lebte. Nun wohl, an diesem Hofe mangelte es meinem Manne durchaus an einer passenden Beschäftigung; der Herzog, statt einem so nahen Verwandten zu vertrauen, ihm einen Einblick in seine Verhältnisse, eine tätige Teilnahme an seinen Geschäften zu verstatten, überließ ihn völlig sich selber, und diese schädliche Muße verführte ihn dazu, Bekanntschaften anzuknüpfen, welche seiner nicht würdig waren. So machte er unter anderm einem jungen Mädchen in untergeordneter Dienststellung den Hof ...«
Murat nickte lächelnd.
»Wir kannten ihn von der Seite,« sagte er, »obwohl es ihm hier an Dienstgeschäften gar nicht fehlte!«
»Das junge Mädchen aber,« fuhr die Gräfin fort, »hatte ein eigentümliches Verhältnis zu einem verwegenen, in der ganzen Gegend gefürchteten Menschen. Diesen Menschen, der ein Schmuggler, Wilddieb, Vagabund, was weiß ich alles, war, hatte das unglückliche Geschöpf eines Tages bei einem einsamen Gange durch den Wald schwerverwundet liegen gefunden; sie war ihm zu Hilfe gekommen, hatte sein ausströmendes Blut gestillt, seine Wunde verbunden, ihn erquickt – kurz der Schmuggler hatte annehmen dürfen, daß sie ihm das Leben gerettet, und von diesem Augenblicke an war sie der Gegenstand einer eigentümlichen Verehrung für denselben geworden, die sich zwar, wie es scheint, scheu in der Ferne hielt, denn unter Menschen durfte der Verbrecher sich nicht sehen lassen; aber er muß nicht minder darum seine Schöne stets im Auge gehalten haben, und gewiß ist, daß er Mittel fand, sie fortwährend zu überwachen...«
»Ich begreife,« fiel hier Murat ein, »dieser dankbare und eifersüchtige Sohn des Waldes nahm die Aufmerksamkeiten übel, welche bei Graf von Epaville seiner jungen Schönen widmete!«
»So ist es, Hoheit; und er stieß zum Unglück eines Tages mit meinem verstorbenen Gatten zusammen in einer Weise, über die ich niemals genau unterrichtet worden bin, und mich auch nicht bestrebt habe, genaues Licht zu bekommen, denn, wie Sie denken können, mußte ich mich wenig geneigt fühlen, das ganze Verhältnis zu ergründen. Genug, der verwegene, von der Gerechtigkeit verfolgte Mensch drohte meinem Gatten, er werde ihn töten, wo er ihn finde!«
»Und er hat ihn gefunden, ihn ermordet?«
»Wir verließen kurz darauf jene Gegend, und die ganze Angelegenheit schwand mir fast aus dem Gedächtnis, bis ich vor wenig Augenblicken diesen Brief hier erhielt, den ich Eure Hoheit zu lesen bitte.«
Bei diesen Worten zog die Gräfin von Epaville den Brief hervor, den wir vorhin Richard von Huckarde an sie absenden sahen, und überreichte ihn dem Großherzog.
Der Großherzog überblickte das СКАЧАТЬ