Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe - Levin Schücking страница 96

Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe

Автор: Levin Schücking

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075838650

isbn:

СКАЧАТЬ sich auf seinen Strohstuhl, um sofort einen langen Brief an die Gräfin von Epaville zu schreiben.

      Die Gräfin erhielt noch an demselben Abend den Brief Richards. Mit der Enthüllung, daß der Deserteur Johannes Selke heiße, ward der Mord ihres Gatten alles Rätselhaften für sie entkleidet. Sie wußte, daß dieser Mensch ihm den Tod geschworen, weil Graf Antoine vor Jahren, als er sich am Hofe seines Oheims, des Herzogs von Anglure, aufhielt, den bittersten Haß des Mörders sich zugezogen hatte.

      Vierzehntes Kapitel

       Eine Hofgesellschaft

       Inhaltsverzeichnis

      Großherzog Murat hatte seinen Hof um sich versammelt. Seine Offiziere, Beamten, Diplomaten, Hofchargen, Leute, die aus den verschiedensten Enden der Welt zusammengewürfelt waren und die mannigfaltigsten Physiognomien zeigten – den deutsch-sächsischen und den rheinländisch-fränkischen Typus, den der Franzosen und den des Sohnes des südlichen Gallien, der mit dem spitzen Schädel, den dunkeln mandelförmigen Augen und dem gelben Teint sein Anrecht auf die Abstammung von den alten keltisch-gallischen Stämmen dartut – sie füllten die Säle des am Ende des Hofgartens bei Düsseldorf liegenden kleinen Schlosses »Der Jägerhof«. Man spielte, man machte Konversation – und dies ziemlich laut für eine Hofgesellschaft, oder man machte den Damen den Hof, und dies noch lauter und ungenierter. Murat hatte von Jugend auf die Gewohnheiten des Feldlagers zu sehr in sich aufgenommen, um nicht etwas davon an seinen improvisierten Hof zu bringen. Wie sein kaiserlicher Schwager aus den zurückgebliebenen Elementen der alten hohen Aristokratie den Kern einer neuen Hofgesellschaft um sich zu versammeln und diese mit einer neuen strengen Etikette zu umgeben – dazu hatte er weder die Lust noch auch die Möglichkeit, denn er fand jene Elemente gar nicht vor; sein neuer Herrschersitz hatte stets nur sehr wenig davon besessen. Was etwa davon heute um ihn versammelt war– die hervorragendste Gestalt darunter war jedenfalls sein Minister Nesselrode – das war höchst eifrig beflissen, seine »steifen« deutschen Manieren zu verstecken und in den ausgelassenen französischen Ton einzustimmen, um an den Tag zu legen, daß, wenn man auch nicht zu dem bevorrechteten glorreichen Volke der Franzosen gehöre, sondern leider nur ein Deutscher sei, man doch wenigstens verdiene, die Ehre zu haben, der großen Nation anzugehören! Wer Zeuge war, mit welchem Eifer die Bewohner und namentlich die höhern Klassen der zu den politischen Schöpfungen Napoleons, wie das Königreich Westfalen oder das Großherzogtum Berg, geschlagenen Lande beflissen waren, sich zu verfranzösieren – der mußte zu der Ueberzeugung gelangen, daß, wären es Deutsche gewesen, die unser Herrgott in alle Länder der Welt zerstreut, wie er die Juden zerstreut hat, es um das Deutschtum heute schlecht aussähe. Allen möglichen fremden Nationen unterworfen, von ihnen gedrückt und verachtet, würden wir Deutsche sicher längst alles das abgeschworen haben, was die Juden sich mit achtungswertem Volksbewußtsein bis auf diese Stunde nicht haben rauben lassen, ihre Sprache, ihre Sitten, ihren Glauben, und ihren Gottesdienst ... wir Deutschen, fürchten wir, hätten das alles längst abgeschworen, wir hätten uns das blonde Haar gefärbt und unsere Sprache würde nur noch aus alten verschollenen Urkunden den Gelehrten bekannt sein!

      Daß in den strahlend hellerleuchteten Sälen des Jägerhofs kein deutsches Wort laut wurde, brauchen wir nicht zu erwähnen. Die Herren in den glänzenden Uniformen debütierten ihre Fleuretten, ihre Bonmots und ihre Zweideutigkeiten auf französisch, und die Damen in ihren weitausgeschnittenen, engen, kurzen Roben erwiderten sie in demselben Idiom ... es war bewundernswürdig, wie schnell sie es gelernt hatten!

      In einem der letzten Zimmer der Reihe, einem großen Kabinett, stand der Spieltisch des Großherzogs. Graf Beugnot, dessen Gemahlin und der Graf Nesselrode bildeten die Partie des glücklichen Soldaten, der in dem Schloß der bergischen Herzoge als Souverän gebot.

      Während Beugnot die Karten mischte, erzählte Murat von seiner Fahrt in Gesellschaft der Gräfin von Epaville nach der Rheider Burg, und dann schilderte er sehr lebhaft, wie er am Morgen die Dame zuerst empfangen, wie er natürlich geglaubt, es sei eine Schwester des Ermordeten, wie er sie als solche angeredet, und wie er dann Mühe gehabt, sie zu beruhigen, als sie auf diese Weise erfahren, daß der Graf von Epaville den Garçon gespielt und seine treue Gattin in der Ferne vollständig verleugnet habe.

      Er lachte herzlich bei dem Gedanken an diese Szene und sagte: »Der Zorn über den Ungetreuen hatte von diesem Augenblicke an die kleine Frau auf wunderbare Weise über ihren Verlust getröstet. Ihre Tränen waren plötzlich getrocknet, und ich sah zu meinem Verdruß, daß mir die Aufgabe, die hübsche Witwe zu trösten, viel zu leicht gemacht worden!«

      »Es muß das,« bemerkte Nesselrode, »aber auch für ein treues Frauenherz eine höchst bittere Erfahrung sein! Was würden Sie tun,« wandte er sich an seine Partnerin, die Gräfin Beugnot, »wenn Sie so etwas von Beugnot hörten, gnädigste Gräfin?«

      »Daß er den Junggesellen spielte? Ich würde ihn bitten, nun auch in der Rolle zu bleiben und nie mehr – nie mehr sich einfallen zu lassen, den Ehemann zu spielen!«

      Die Herren lachten.

      »Was wird die kleine Frau nun beginnen?« fragte Nesselrode. »Wird sie hier bleiben oder ihr Hoflager in ihrer Burg aufschlagen?«

      »Ich weiß es nicht,« versetzte Murat. »Als sie ihr Schloß in Augenschein genommen, fand sie die Besitzung etwas melancholisch, aber die Lage scharmant. Wir fanden dort einen Monsieur de Huckarde, den Ermanns für den Mörder des Grafen gehalten hatte – der Mensch hatte auch die absurde Marotte, sich zu der Tat zu bekennen – er hatte die kindische Vorstellung von unserer Justiz, sie werde sich dadurch auf die unrichtige Fährte bringen lassen. Zu meiner Ueberraschung aber waren Madame d’Epaville und dieser Monsieur de Huckarde alte Bekannte, gute Freunde... und auf der Rückfahrt in die Stadt entwickelte die kleine Dame eine große Beredsamkeit, um mir die Liebenswürdigkeit dieses Herrn – den ich, nebenbei gesagt, für seine Lüge ins Polizeigefängnis geschickt habe – zu schildern. Sie wußte nicht aufzuhören von dem, was er gesagt und getan während einer langen Reise, welche sie mit ihm gemacht haben wollte ... ich glaube fast, sie hatte große Lust, mit ihm das Duett aus Don Giovanni aufzuführen: Là ci darem la mano

      »Nur mit dem Unterschiede, daß hier es Zerlina ist, die das Schloß in der Nähe hat,« fiel Beugnot ein.

      »Erinnern sich Eure Hoheit,« nahm Nesselrode das Wort, »der Unglücksweissagung, welche das junge Mädchen neulich dem Grafen Epaville machte?«

      »Sicherlich ... was ist damit?«

      »Der Umstand, welcher anfangs so gravierend für die Ritterhausen schien, ist mir heute aufgeklärt worden. Man hat mir erzählt, baß unser Landesprophet, ein wandernder Geiger, der nebenbei den Geisterseher spielt, schon seit längerer Zeit die Weissagung machte, es werde aus der Rheider Burg ein Sarg, mit fürstlichem Wappen daran, fortgetragen werden.«

      »In der Tat?« fragte Murat überrascht. »Weshalb hat man dann den Menschen nicht mit in die Untersuchung gezogen?«

      »Was würde es gefruchtet haben? Man muß sich hüten, Schlüsse daraus zu ziehen. Dieser vagabundierende Geisterseher ist ein Prahler, ein Aufschneider, der sehr gut die abergläubische Scheu auszubeuten weiß, welche bei seinem Anblick die Gemüter des Landvolks erfüllt. An vielen haarsträubenden Geschichten, deren Mittelpunkt er sein soll, ist er dagegen sicherlich unschuldig; sie sind von ländlichen Freigeistern erfunden, um ihn zu verspotten. Es gibt namentlich eine höchst pittoreske darunter, die ihn nachts im Mondenschein im Bereiche eines Kirchhofs auf einem Leichensteine sitzen läßt, seiner Geige tolle, wilde Tanzmelodien entlockend, wozu die Toten rund um ihn her ausgelassene Reigen und Tänze aufführen, bis der erste Hahnenschrei dem tollen Spuk ein Ende macht. Ganz unbestreitbar gewiß ist jedoch, СКАЧАТЬ