Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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»Soll ich nicht meinen Sohn rufen lassen?« fragte sie leise und sanft. »Ihr seid ihm immer so freundlich gewesen, wie er mir gesagt hat, und es würde dem armen Blut eine Freude sein, wenn er Euch wiedersähe und Ihr ihn so gütig einmal wieder anredetet, wie er früher von Euch gewohnt gewesen; er ist so allein und verlassen hier!«
Es war Katharina nicht wohl möglich, ihr: nein, nein, noch nicht! mit so viel Ruhe auszusprechen, wie sie sich bestrebte; ihre Worte stockten, wie vom Schluchzen unterbrochen.
»Wenn Ihr eine Frau wie Margret Fahrstein fangen wollt, so steht nächstens früher auf, Kind!« rief die Alte mit einem heiseren Lachen. »Bleibt nur sitzen, ich weiß genug«, fuhr sie darauf fort. »Mit Eurer Durchreise durch Kraneck ist es nichts, auch mit Eurer Verlobung nichts, denn Ihr liebt meinen Sohn. Ihr tut recht daran, er verdient es, und Euer Herr von Schemmey ist ein Betrüger; was hat er für Beweise? Sie sind falsch! Ihr aber seid hierher gekommen, um meinen Sohn zu sehen. Und um einen Vorwand zu haben, habt Ihr Euch eine Geschichte erdacht, als sei jemand in M., der sich für einen Sohn der Familie ausgebe, in der ich so lange diente und deren Kinder alle dahin sind, wo ihre Eltern. Es lautete ganz gut, daß ihr gekommen seid, die alte Fahrstein um Auskunft anzugehen! Es ist kein Herr von Schemmey in M.« Die Alte lachte wieder und blickte triumphierend auf Katharine herab.
»Das kann ich beschwören«, rief diese aufspringend.
»So? Dann ist er ein Schuft!«
Margret wurde wieder still und murmelte eine Weile unverständliche Worte vor sich hin. »Mein Junge hat Euch im Herzen,« sagte sie dann lauter, »und deshalb siecht er. Ihr liebt ihn auch, ich will Euch die Papiere geben, denn er soll am Leben bleiben, und ich will nicht auch noch schuld sein, daß Ihr auf schlechte Wege kommt, Kind. Wir sind schwache Menschen, und niemand weiß, wann seine Stunde kommt. Ich will wieder beichten gehen. Ich will Euch die Papiere geben; sagt auch nur – aber, wollt Ihr meinen Sohn heiraten?«
»Margret, wie denkt Ihr daran?«
»Wenn mein Sohn ein Kavalier ist, so adlig wie Ihr, und noch reicher?«
»Ihr scherzt!«
»Seh' ich aus, als ob ich scherze? Einfältige Ziererei! Sagt ja, und gebt mir die Hand!«
Katharina reichte ihr in freudigster Angst und Spannung auf ihre weiteren Worte die Hand, ohne einen Laut hervorbringen zu können.
»Ich will Euch die Beweise geben, aber laßt mich mit Fragen ungeschoren. Sagt nur, ich hätte Bernhard gerettet, daß ihm nicht auch der Hals umgedreht würde; ich habe ihn aufziehen lassen auf einem Dorfe bei Paris – es war eine kleine Meierei, die Frau ging in die Stadt, Milch zu verkaufen, und kam auch in unser Haus damit. Es war um diese Zeit, im Frühling, und eine dunkle, regnerische Nacht, als ich hinausging. Am Tore zündeten sie die Laternen wieder an, die der Wind ausgelöscht hatte, und deshalb sahen sie mich nicht. Das Kind wimmerte, ja, ja, ich weiß es noch, als ob es gestern geschehen wäre. Es war ein saurer Gang, aber ich hatte schon schlimmere Nächte durchwacht!« Sie schwieg wieder.
Das Stück Bekenntnis, das Margret abgelegt hatte, gewährte ihr eine Erleichterung, daß sie immer heftiger den Drang fühlte, sich ganz auszuschütten. Der Gedanke an den Tod erschütterte sie, nachdem jemand anderes sie daran gemahnt hatte, mehr wie je vorher, wie uns immer das, was ein dritter sagt, tief ergreift, und haben wir es uns auch hundertmal vorher selbst gesagt. Die frühe Angewöhnung, in den Heilmitteln ihrer Kirche die Beruhigung zu suchen, die sie jetzt so lange von sich gewiesen hatte, ward mit einer unbezwinglichen Gewalt in ihr rege. »Ja, ich will beichten,« sagte sie flüsternd, »wir können über Nacht sterben; ich will Euch beichten, kniet da wieder auf den Schemel. Wenn ich's einen Pfaffen sage, der versteht mich nicht und weiß nichts von dem, was ein junges Mädchen für Leid haben kann. Deshalb hab' ich's so lange nicht getan; allein deshalb; glaubt Ihr mir nicht?«
»Ja, Margret, ich glaube Euch.«
»Das wüßt' ich wohl. Ihr seid ein Weib, und Ihr liebt ihn; Ihr könnt nicht so lieben, wie ich es getan habe, aber Ihr werdet mich verstehen. Wollt Ihr sagen, daß ich die Schuld habe? Nein, ich habe die Schuld nicht –«
»Und wer hat sie denn?«
»Er hat sie, Bernhards Vater hat sie. Er war ein schöner Mann, groß und schlank, und seine Augen waren dunkel wie Kohlen; er konnte auch sprechen, wie ich es von keinem Manne gehört habe. Ich stand einmal im Garten, in der Dämmerung war es; er ritt an der anderen Seite der Hecke vorüber, und da fiel mir zuerst ein, daß er so schön sei, obwohl seine Mutter mir es schon oft gesagt hatte. Gleich nachher kam er zu mir; er schwor, daß er mich lieber habe als alle adligen Damen im Lande zusammengenommen. Damals hatte er es auch, und auch später hat er mich immer angesehen, als wolle er sagen, es tu' ihm nicht leid, daß er mich so lieb gehabt. Er hatte mir versprochen, mich zu seiner rechten Frau zu machen; seine Mutter, das falsche Weib, hatte es mir auch versprochen, daß ich ihre Schwiegertochter werden sollte, was ich vor Gott schon war. Er müsse nur erst majorenn werden, sagte sie, um seiner Vormünder willen. Jawohl, als er majorenn war – die alte Frau von Schemmey war unterdes gestorben –, da ging er hin und nahm eine andere, eine einfältige, dumme Gans, die ins Haus zog und anfing zu regieren, als sei ich mit allen anderen ihre Leibeigene. Konnte ich das dulden, ich, die seine Frau war, der er es geschworen hatte, daß ich es sei? Nein, ich hatte ein heißes Blut damals; ich schwur auch und habe meinen Schwur besser gehalten! Ich schwur, daß sie keine Freude mehr auf Erden haben sollten, daß ich ihre Brut vertilgen wollte. Zwei Kinder sind gestorben; sie glaubten, die Alte gehe spuken und drehe ihnen den Hals um. Das dritte Kind – es war in Paris –, da konnte ich's nicht mehr; ich habe es fortgeschafft, und die Milchfrau hat es aufgezogen. Die Eltern starben beide bald nacheinander; ich ging nach Diependahl zurück und diente dort bei dem neuen Herrn, der sich von Katterbach schreibt. Das ist ein rauher, gewalttätiger Mann; wir bekamen Streit zusammen, und ich gab ihm zu verstehen, was ich wisse, daß noch ein Schemmey am Leben sei und daß ich ihn von seinen Gütern vertreiben lassen könne, wenn ich reden wollte. Seitdem konnte ich ihn um den kleinen Finger wickeln. Doch mochte ich endlich nicht mehr auf dem Hofe sein, obwohl ich's gut genug bei ihm hatte. Es wurde so schauerlich öde und verfallen dort. Ich heiratete, um ein gutes Werk zu tun, wonach ich ruhiger wurde. Den Knaben hatte ich mir von Paris abgeholt, und Katterbach gab mir zu bestimmter Zeit Geld für ihn, weil ich ihm drohte, ich wolle sonst beichten gehen; er traute den Geistlichen nicht. Das Geld habe ich ganz für Bernhard verwendet; ich habe ihn liebgewonnen wie mein eigenes Kind. Er ist ein guter Mensch, und er wird Euch keinen falschen Eid schwören wie sein Vater. Katterbach und ich kamen überein, wir wollten, wenn es sein müsse, sagen, das Kind sei von ihm und mir erzeugt; aber geschworen hab' ich's ihm nicht, das immer zu sagen, nein, Gott behüte mich, daß ich's dann jemals verriete. Nein, ich habe niemals einen Eid gebrochen; das ist die schlimmste Sünde auf der Welt, ist es nicht?«
»Ich glaube, Margret, aber die Beweise, daß es so ist, wie Ihr sagt?«
»Die Beweise? Ich habe sie in meinem Koffer. Ich habe den Geburts- und Taufschein Bernhards, den ich mir von dem Pfarrer holte, als hätten mich die Eltern des Kindes danach geschickt. Als die Eltern tot waren und ich nach Paris ging, den Knaben mit mir zu nehmen, bin ich mit der Milchfrau, die ihn von mir bekam, zu einem Notar gegangen und habe ihm gesagt, daß ich im Auftrage des Herrn und der Frau von Schemmey das Kind, worauf der Taufschein laute, bei der Frau geborgen habe, damit es gesichert werde vor der sonderbaren und unerklärlichen Todesart, die seine älteren Geschwister betroffen. Das hat die Frau bezeugt und beschworen, und der Notar hat ein Protokoll darüber aufgesetzt. Mit dem Kinde und den Papieren bin ich nun eines Tages zu Katterbach gegangen und habe mir eine Schrift von ihm geben lassen, daß er um das Dasein von einem rechtmäßigen Kinde der Schemmeys wisse und es anerkenne, auch ihm, wenn es sich СКАЧАТЬ