Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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Diese Bemerkung war an diesem Abende noch nicht gemacht worden und gewiß geeignet, die überaus große Heiterkeit hervorzubringen, welche ihr auf der Stelle folgte.
Der Kurfürst sah nun nicht ein, weshalb er nicht in diesem Tone fortfahren solle und richtete die nächsten seiner scherzhaften Worte an Herrn von Schemmey, welche, da sie nicht sehr zart waren, diesen endlich in einen Zustand der wütendsten Aufregung brachten. Er entfernte sich, ließ Herrn von Kraneck aus der Gesellschaft rufen und zog ihn zum Hause hinaus.
»Sie müssen mich begleiten,« sagte er, »ich will auf der Stelle zum Schlosse Ihrer Eltern. Kommen Sie mit mir, Sie sollen Zeuge sein, wie ich mich rächen will; sie soll sich bis ins Innerste ihrer Seele schämen!«
Dem Kammerherrn von Kraneck war dieser Vorschlag ganz willkommen; es war ein Abenteuer, das ihn noch einen Abend zum glücklichen Löwen der Gesellschaft machen konnte. So eilten beide nach ihren Wohnungen, um satteln zu lassen, und eine Stunde später trabten sie, nur von Peter, dem Stallmeister, begleitet, zum Tore hinaus.
Katharinens Verweilen auf Hohenkraneck war durch den Umstand veranlaßt, daß die alte Margret krank geworden war und in wirren Phantasien lag; man hatte einen Notar kommen lassen, um ihr Zeugnis aufzunehmen, mußte aber von Tag zu Tag abwarten, bis ihr Fieberanfall sich gebrochen habe. Dabei war es nicht möglich gewesen, die gastliche Schloßherrschaft länger im Dunkel über alle Umstände zu lassen, die Katharina hergeführt hatten. Sie war es ihrem Rufe schuldig, der Frau von Kraneck endlich – nachdem aber jener Brief an den Kammerherrn längst abgesandt war – eine rückhaltlose Offenheit zu zeigen; diese weihte ihren Gemahl und dieser sogar den treuen und teilnehmenden Vikar in das Geheimnis ein. Die guten Leute waren nicht wenig erstaunt und erfreut, wie sie auch nicht unterließen, ihren Abscheu gegen Margret in harten Ausdrücken an den Tag zu legen. Ganz besonders freute es sie, daß sie gegen Bernhard immer so aufmerksam gewesen seien und Jetzt keineswegs dem Reichsfreiherrn von Schemmey beschämt gegenüberzustehen brauchten. Frau von Kraneck behauptete auch, sie habe es gleich gemerkt, daß dieser nicht de basse extraction sein könne; sie habe es auch oft gesagt, was Herr von Kraneck aber niemals gehört hatte, gewiß, weil er fast immer so nachdenklich und zerstreut zum Fenster hinausschaute.
Man kann sich nun die Ueberraschung der sämtlichen Bewohner des Schlosses Hohenkraneck denken – auch Bernhard war gebeten worden, sein früheres Zimmer wieder als das seine anzusehen, –, als eines Tages ein Paar Kavaliere auf dem Hofe hielten und gleich darauf ungestüm über die Stiegen heraufeilten, die sich als niemand anders erwiesen, denn Herr von Kraneck der jüngere und Katharinas Anbeter aus der Residenz. Der erstere warf sich in die Arme seiner Eltern und stellte dann Herrn von Schemmey vor, der erhitzt und im höchsten Grade aufgeregt aussah. Es war ein höchst peinlicher Moment; Herr und Frau von Kraneck zeigten bei der Vorstellung ihrem Sohne ein zweifelhaft fragendes Gesicht, Katharina war sich eines Unrechts gegen den Ankommenden bewußt und kam aus der Fassung; dieser selbst fühlte sich verlegen, als er der letztern Aug' in Aug' gegenüberstand. Bernhard aber war aufgesprungen und maß, todbleich vor Zorn, den Eindringling, der ihn gar nicht sah. Ein Glück, daß Herr Gerhards, der immer in seinem Leben gerade auf das Ziel gegangen, da war. Er blickte erstaunt einen nach dem andern an, und als keiner zuerst das Wort nehmen wollte, näherte er sich dem Fremden und faßte ihn plötzlich mit einer sehr breiten und sehr kräftigen Hand an dem gestickten Rockkragen.
»Herr!« sagte er, »wer sind Sie? Sie sind ja ein sauberer Gesell! Sie stehlen Papiere, Herr!«
Der Angegriffene trat einen Schritt zurück: »Mensch, was wollen Sie? Herr von Kraneck, ich verlange Genugtuung für den Schimpf, der mir in Ihrem Hause widerfährt!«
»Ich bedaure,« sagte der Gutsherr mit einem verlegenen Lächeln, aber der Vikar ließ ihn nicht aussprechen; es war das erstemal in seinem Leben, daß seine schlummernde Galle aufgeregt worden, und sein Zorn war deshalb nichts weniger als leicht zurückzuweisen. »Herr,« fuhr er fort, »sind Sie Herr von Schemmey? Herr von Strauchdieb mochten Sie wohl sein, aber –«
Bernhard schob ihn in diesem Augenblick mit einem »Schweigen Sie!« zur Seite und nahm das Wort: »Mein Herr, Sie haben sich auf eine Weise in Besitz von gewissen Urkunden gesetzt, die mir gehören, daß ich nicht weiß, welche Rechenschaft ich von Ihnen verlangen soll und ob es mir erlaubt ist, diejenige zu fordern, die man nur von Männern von Ehre annimmt.«
»Sie verderben alles!« rief Katharina aus.
»Das ist der Reichsfreiherr von Schemmey!« sagte Herr von Kraneck, auf Bernhard deutend und näher tretend; »wir haben die unzweifelhaftesten Beweise, daß Sie den Namen widerrechtlich usurpieren, und begreifen weder Ihre Handlungsweise, noch was Sie hierher führt.«
Der so von allen Seiten Bedrängte stand wie vernichtet; mit einem klagend flehenden Blick sah er in Katharinas Antlitz, und als auch dies keine Spur von dem Erbarmen zeigte, zu dem er sich jetzt in seiner Herzensangst hätte flüchten mögen – mit welchen feindlichen Plänen er auch gekommen war –, so wankte er zurück, warf sich auf einen Stuhl und rief schwer atmend: »Lassen Sie mich nur zu Worte kommen! Fräulein von Plassenstein, ist dies alles wahr? O, sprechen Sie ein Wort, halten auch Sie mich für einen Betrüger?«
»Ich hoffe, ich wünsche mindestens, daß Sie ehrlich genug sind, nicht länger Ansprüche zu machen, die einem andern seine heiligsten Rechte nehmen.«
Der falsche Herr von Schemmey hatte sich wieder insoweit gefaßt, daß er recht wohl bemerkte, wie Katharina zaghaft und in höchster Unruhe diese Worte stotterte; dies ermutigte ihn, und er erhob sich, um mit ruhiger Stimme zu sagen: »Ich sehe Ihnen allen an, daß Ihre Beweise nicht viel wert sind und daß der Besitz der Urkunden, die der Zufall mir in die Hände spielte, mich dreist abwarten lassen kann, welche Schritte Sie gegen mich zu nehmen vorhaben. Dies ist mir von einem außerordentlichen Troste.«
Er machte eine Pause, in der Herr Gerhards sich an die Tür stellte und sie mit der Breite seines Rückens deckte, um dem Feinde die Flucht abzuschneiden.
»Denn,« fuhr jener fort, »ich habe jetzt um so eher Hoffnung, daß Sie der Rechtfertigung meiner Handlungsweise, die ich mir und Ihnen schuldig bin, den Glauben beimessen werden, der mein einziger Trost in dieser Klemme ist, worin das, was ich selbst Leichtsinn nennen muß, mich gebracht hat. Hören Sie mich: Ich bin unter dem Namen St. Pond in einem Pariser Findelhause erzogen worden, ohne je eine Andeutung über meine Herkunft erhalten zu haben, außer daß man mir oft sagte, nach meinem blonden Haare und meinem ganzen Wesen müsse ich aus deutschem oder bretagnischem Blute stammen. Auch fühlte ich schon als Knabe eine besondere Vorliebe für Deutschland, und als ich den Rest einer bedeutenden Geldsumme, die mit mir in dem Findelhause deponiert war, ausgezahlt erhielt, wandte ich mich nach Deutschland, um mir eine Kornettstelle in der P***schen Armee zu erkaufen. Meine Tauglichkeit für den Dienst verschaffte mir bald die Beförderung zum Leutnant. Als solcher ward ich zu einem Werbekommando in dieser Gegend beordert. Hier – es mußte nicht fern von diesem Schlosse sein – stieß ich auf einen Burschen, der zum Soldaten wie geschaffen schien; ich ließ mich auf Unterhandlungen mit ihm ein und fand bei ihm Briefschaften, durch die sich der Besitzer als Erbe eines Namens und eines Vermögens legitimieren konnte, zwei Dinge, die mir gerade das Wünschenswerteste auf der Welt schienen. Während ich las, entwischte der Träger; ich verfolgte ihn, um von ihm nähere Auskunft zu erhalten, aber vergebens; die Urkunden blieben ohne weiteren Schlüssel in meinen Händen. – Ich weiß nicht, was mir in jenem Augenblicke vorspiegelte, eine Laune des Schicksals oder eine höhere Fügung habe mir in die Hände gespielt, was nur in die meinen gehöre; ich war in Paris СКАЧАТЬ