Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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Das Spiel dauerte fort. Johannes spekulierte schweigend; Herr v. Driesch mit den mannigfaltigsten Ausrufungen, halben Zitaten und Gedankenstrichen dazwischen: »Mach, mach, voran, du träumst, Junker; so? aha – so ziehst du – eheu fugaces – nun will ich diesen Springer auf dies schwarze Feld – quatit ungula campum – nein, diesen Turm will ich – halt – mal – quadrupedante sonitu, der Springer soll doch vor; so, nun du wieder, flink, Junge!«
»Ja, ja, Papa, nur Geduld – nur Geduld!« sagte Johannes gedehnt. Er zog. Herr von Driesch wurde stiller nach diesem Zuge; er kaute heftig an der Spitze seiner langen irdenen Pfeife, zog dann eine sehr große Wolke Rauchs auf, die er mit Lippen und Atem nachhaltig heftig von sich stieß und musterte, bald hierhin, bald dorthin das Auge aussendend, den Stand, die Hilfsquellen und die Verluste seiner Heeresmacht; sie war augenscheinlich von einer empfindlichen Schlappe bedroht, deren Abwendung alle Kaltblütigkeit und Geistesgegenwart des leitenden Feldherrngenies verlangte.
»Junker, wirst du mir die Königin« – knack – die Pfeifenspitze brach zwischen seinen Zähnen ab; in einem andern Augenblicke wäre der ganze Rauchapparat nicht sicher gewesen, zur Strafe dafür an die Wand zu fahren und in tausend Stücke zu zerklirren; jetzt spuckte Herr von Driesch ganz sanft die Splitter aus und sann weiter. Er zog. Johannes zog auch und fing an, leise ein Stücklein zu pfeifen, wobei er auf der Stirne einige Hautfalten sich kräuseln ließ, die er nach Gefallen langsam in die Höhe und wieder herunterrollen lassen konnte, was die ganz unbezweifelte Anmut seines Gesichts um ein Bedeutendes erhöhte und einen Eindruck machte, als wenn ein gewisses achtbares und nützliches Geschöpf, bald das eine seiner langen Ohren vor, das andre zurück, bald jenes wieder zurück und dieses vorschlägt, was ebenso dienlich zu seinem Zeitvertreib, als passend zu einem entsprechenden Ausdruck innerer Heiterkeit sein mag.
»Schach!« sagte Johannes.
Noch ein Zug und Johannes stellte sein Pfeifen ein, stand auf, schob den Stuhl an die Wand und ging zur Tür hinaus.
Herr von Driesch sah ihm verwundert nach: »Wo willst du hin, Junker?«
Johannes antwortete nicht; als er aber draußen stand, steckte er den Kopf wieder durch die Tür und lächelte mit einem Ausdruck unendlicher Pfiffigkeit: »Gnaden Papa,« sagte er.
»Hä?«
»Matt!« rief Johannes mit Nachdruck, schlug die Tür hinter sich zu, stürzte die Treppe hinunter, um sich in Sicherheit zu bringen, und fand für gut, auf der Stelle eine kleine Tour mit dem falben Fritz ins Freie zu machen.
Die Zornausbrüche, die Herr von Driesch auf jenes Donnerwort folgen ließ, hat niemand belauscht; man konnte zwar im ganzen Hause und auch in einer nicht zu weiten Entfernung draußen ganz vernehmlich ein Rumoren hören, das aus dem Innern seiner Gemächer drang, aber die Domestiken waren daran gewöhnt und achteten nicht darauf. Als nach einer guten halben Stunde jemand in sein Zimmer trat, ging er auf und ab, eine andre Pfeife im Munde und mit den Fingern Bewegungen machend, als ob er Verse skandiere.
Dieser Eintretende war der Hausgeistliche des Gutsherrn, ein starker Mann von mittlerer Größe mit einem vollen und freundlichen Gesicht, das übrigens nichts hatte, was ein Vorurteil für oder wider seinen Besitzer erweckt hätte, wenn nicht allenfalls einen Ausdruck von Wohlwollen und Heiterkeit, der selten in seinem einfachen und ruhigen Leben getrübt sein mochte. Er hatte übrigens eine nicht gar zu angenehme Stellung bei Herrn von Driesch, der in ihm, als einem studierten Manne, fortwährend Teilnahme und Verständnis für seine gelehrten Beschäftigungen voraussetzte und in sein Gespräch allerlei Zitate, Anspielungen und Mitteilungen mischte, die der Vikarius nicht begriff, so daß er einen Bock über den andern schoß. Doch war er ein ziemlich guter Lateiner und half sich damit durch, so gut es gehen wollte; auch wußte er eine Menge »Lepider« Stücklein, wie er sich ausdrückte, zu erzählen. Seine Predigten waren dagegen nicht viel nutz und Herr von Driesch pflegte ihn, weil niemand sie anhören mochte, einen großen Kirchenleerer zu nennen.
»Da sind Kohlen im Komfort,« sagte Herr von Driesch und fuhr in seiner Beschäftigung fort. Der Vikar hatte eine Tabakpfeife mitgebracht, aber aus Respekt beim Eintreten ausgehen lassen, bis ihm der Gutsherr erlauben würde, sie wieder anzuzünden. Er legte nun eine Kohle auf den Meerschaumkopf, rieb diesen mit seinem Aermel glänzend und setzte sich dann. Nachdem er eine Weile das Schachspiel betrachtet, begann er mit den Fingern auf dem Tisch zu trommeln.
»Der gändige Herr haben gewonnen!« sagte er freundlich. Herr von Driesch blieb stehen, sah ihn an, als ob er sich versichern wolle, daß dies kein Spott sei und sagte: »Sieht Er nicht, daß ich dichte?« Er brachte seine und seiner Verse Füße wieder in Bewegung.
Der Vikar strich die Manchesterbeinkleider über seinen Knien glatt, nahm eines der Schachpüppchen und beschaute es, sah dann nach dem Kanarienvogel, der im Bauer an der Wand hing, nun auf das Stilleben ihm gegenüber und versank endlich in die Anschauung des gemalten Affen, der darauf höchst possierlich in einen Apfel biß.
»Die Aepfel sind doch dieses Jahr sehr schlecht geraten,« sagte er nach einer Viertelstunde, seiner Langeweile nicht mehr Meister.
Der Mann der fruchtbringenden Gesellschaft hatte andre Aepfel im Kopfe und antwortete nicht.
»Ew. Gnaden, ich habe eben mit Anton gesprochen; es ist doch in der Tat ganz wunderlich!«
»Dummes Zeug!« sagte Herr von Driesch und skandierte weiter; dann blieb er stehen: »Nun sela! nächstens mehr!« Er wandte sich zu dem Geistlichen: »Was, Herr Vikar, sagt Er, ist denn so wunderlich?« Man sah, die Alexandriner summten ihm noch durch den Kopf.
»Nun, Anton behauptete steif und fest, er hätte es an den mondhellen Fenstern hergleiten sehen, gestern nacht, als er vom Anstande zurückgekommen.«
»Anton ist ein Narr! Habe ich deshalb die Hexe aus dem Hause gejagt, um andre alte Weiber wieder zu bekommen?«
»Ew. Gnaden, Anton hat ein scharfes Gesicht und nicht viel von Einbildungen zu leiden.«
»Er ist selbst ein Narr, Vikarius; ich sag' Ihm ein für allemal, ich will das dumme Geschwätz von meinem Hause nicht mehr wissen.«
»Man kann den Leuten den Mund nicht schließen. Mit dem Hütchen, das ist doch gewiß, Ew. Gnaden.«
»Den Mund nicht schließen? ich will ihn aber dem dummen Volke schließen!« fuhr Herr von Driesch auf; »ich will selbst diese Nacht im Saal aufbleiben, und Gott steh' dem bei, der mir Spukereien darin macht!«
»Ew. Gnaden selbst? ich glaube nicht, daß das Ihr Ernst ist!«
Dieser Zweifel an seinem Mute brachte Herrn v. Driesch vollends außer sich, nachdem ihn der Verlust der Schachpartie und des Vikars Unterbrechungen seiner Alexandriner schon früher hinlänglich gereizt hatten.
»Ei, das glaubt er nicht?« rief er aus; »so will ich nicht Driesch heißen, wenn ich's nicht tue und Ihm zeige, was Courage ist. Schäm' Er sich, Vikar, Er ist eine Memme!«
Herr СКАЧАТЬ