Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
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Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe

Автор: Levin Schücking

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075838650

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СКАЧАТЬ oben gewesen, seit der Sohn des Freiherrn als Kammerherr am kurfürstlichen Hofe sich aufhielt – und ferner ein geschickter Partner für eine Partie L'hombre zu sein, womit sich Herr von Kraneck die Abendstunden schon lange gern vertrieben hätte, wäre nur jemand dagewesen, der es verstanden – war er die Gefälligkeit und Freundlichkeit selbst.

      Er saß einige Tage, nachdem Herr Gerhards sich mit der gehorsamsten Vorstellung des fremden Herrn beehrt hatte, in einem Lehnstuhl am Fenster seines hohen Wohnsaales und schaute auf das reizend schöne Tal mit seinem Kranze dichtbewaldeter Berge vor und unter ihm hinaus, über das seine Blicke jetzt oft gestreift, um von ganz bedeutender Langeweile gesättigt zurückzukehren. Ihm gegenüber auf einer Chaiselongue ruhte seine Gemahlin, eine Dame, die nahe an den Sechzigen war; klein, stark, aber fein gebaut und zierlich in allen Bewegungen. Sie hatte eine Stickerei vor sich, in der sie mit großer Ruhe von Zeit zu Zeit einen Stich anbrachte, ebenso schweigsam wie ihr Gemahl, mit der Ausnahme, daß sie zuweilen ein freundliches Wort ihrem dicken Mops zuflüsterte, der neben ihr wie ein Igel zusammengerollt in der Ecke der Polster lag und bald in tiefem Schlafe befangen schien, bald ganz lebendig mit dem Kopfe auffuhr, wenn ihm eine Fliege um die Nase summte, mit den klugen Augen blinzelte und augenscheinlich dann die wichtige Frage im stillen Gemüte wälzte, ob mit glücklichem Erfolg danach zu schnappen sei oder nicht.

      Der Freiherr nahm eine schwere, goldene Dose, klopfte mit dem Finger daran und öffnete sie; dann erhob er sich, trat vor die Dame hin und sprach, indem er sein schwarzes Samtkäppchen von den kargen, schneeweißen Locken nahm: »Ma chère, peux-je vous offrir une prise de tabac?«

      Die Dame tunkte zwei ihrer zarten kleinen Finger, an deren einem ein Rubin glänzte, in die dargebotene Dose und versetzte: »Mon cher, tout ce qui vient de vous ne peut-être qu'agrèable.«

      Der Mops dankte durch ein freundliches Gekläff für die Aufmerksamkeit, die seiner Gebieterin wurde.

      Diese Szene wiederholte sich mindestens jede halbe Stunde an jedem Abend, den Gott kommen ließ. Die guten Leute hatten sich über Freud und Leid, das sie nun seit langen Jahren treu miteinander getragen, vollständig ausgesprochen. Es war alles in Vertrauen auf Gott und mit Dankbarkeit ertragen oder angenommen und nun mit der Zeit dahingeschwunden; und wenn auch ein Leid geblieben war, die Langeweile nämlich, so hatten sie sich dieselbe doch sehr erträglich gemacht, indem sie von Zeit zu Zeit durch diese freundliche Anrede gegenseitig ihre fortdauernde Teilnahme füreinander an den Tag legten.

      Für heute aber war das Gespräch damit nicht beendigt. Als der Freiherr wieder Platz genommen hatte, sagte er: »Es ist ein recht angenehmer Mensch.«

      »In der Tat, recht angenehm,« erwiderte Frau v. Kraneck.

      »Beaucoup de modestie.«

      »Er hat sehr viel Bescheidenheit,« fiel die Dame ein.

      »Ich finde, daß diese Eigenschaft eine sehr schätzbare sei!«

      »Assurement!«

      »Erlaubt ma chère amie, daß wir ihn ein für allemal des Abends zur Tafel hier behalten?«

      »Tout comme is vous plaira, mon cher.«

      Hätte Bernhard, der in diesem Augenblicke eines Zuwachses an innerer Weihe wohl bedurfte, diese Aeußerungen des Wohlwollens für ihn angehört, sie würden ihn gewiß innig gerührt haben. Er saß oben an der Waldkapelle, die über dem Schlosse am Abhange eines Berges lag und blickte dort bald in die scheidende Sonne, bald in den stillen Raum hinter ihm. Durch eine Tür, deren obere Hälfte aus bloßen Gitterstäben bestand, fiel der Schein auf den staubigen Altar im Hintergrunde des kleinen Gotteshauses; der alte Schrein war mit Spinnengeweben überzogen, in denen gelbe Ulmenblätter, vom Winde durch die zerbrochenen Fenster hineingeweht, sich im Luftzuge wiegten. Ein Bild an der einen Wand war unkenntlich schwarz geworden; dem heiligen Aegidius, der aus Holz geschnitzt, ihm gegenüber stand, fehlte Kopf und Arm, und man hätte auch ihn nicht mehr kennen können, wäre nicht noch das Reh dagewesen, das sich vertrauend an ihn schmiegte. Einige Bänke lagen wirr übereinander geworfen, eine zerfetzte Fahne lehnte in der Ecke neben dem ausgetrockneten Steinbecken, das früher das geweihte Wasser enthalten hatte; das Ganze war die schönste Staffage für eine rührende Ostereiererzählung.

      Bernhard hätte sich früher herzlich über die Entdeckung einer solchen poetischen Waldklause gefreut, jetzt überblickte er mit einer stumpfen Kälte die zerstörte Stätte. Seine Gedanken waren in eine wilde Irre davon gezogen und fühlten einen Ekel vor allem, auf dem sie früher so gern gehaftet. Wie die Sonne, die so leuchtend stolz den blauen Himmel sich entlang gewiegt und jetzt so blutend versank, schien ihm alles Sein ein wunderbares und unendlich trauriges Gemisch von Lust und Schmerz, das wie von einem Urwelthohne, von einem schöpferischen Behagen an Teufeleien zusammengeschmolzen; ein ewiges Ringen nach stolzem und frohem Aufschwung, ein ewiges Niedergeschleudert- und Zertretenwerden gleich darauf; die Natur hatte nur einen Ton, nur eine Sprache mehr für ihn, ein Nachtigallenlied, worin die fröhlichsten kecksten Wirbel von einer bis zum Sterben schwermütigen Stelle überwältigt und niedergedrückt werden; und dieses rätselhafte Gemisch von Lust und Schmerz, von Kraft, die im nächsten Augenblick ohnmächtig wird, von Jämmerlichkeit, die unversehens beim nächsten Sonnenschein einen prunkenden Pfauenschweif auseinanderschlägt, erbitterte ihn, reizte ihn zu einem unversöhnlichen Grollen jetzt – er kannte sich selbst nicht mehr. Er streckte mit geballter Faust den Arm aus, wie um zu prüfen, wie viel Kraft in ihm wohne; er ließ krampfhaft die Muskeln daran aufschwellen, als gelte es ein Gladiatorspiel mit einem nahenden Feinde zu beginnen; und das Gefühl, daß die Natur eine Stärke hineingelegt habe, mit der er zufrieden war, hatte, zum erstenmal in seinem Leben, etwas Angenehmes, Beruhigendes für ihn. Seine Augen bohrten blitzend ihre Blicke in einen Punkt der Ferne ein.

      Sein Gemüt war tief wie ein See; es war spiegelglatt gewesen wie ein See, bis vor wenig Tagen; eine klare Fläche, über der die azurblauen und hellroten duftigen Farbenstreifen lagen, welche stille Luftströmungen und die sachten Züge der Wolken darüber werfen; aber jetzt war ein Blitz hineingeschlagen, es stürmte, es wogte in ihm, und mit einem zornigen Behagen tummelte sich der Leviathan durch diese Wogen – die Leidenschaft.

      Der Abend sank immer mehr hinab; die Sonne war geschieden und an ihrer Stelle flammte über dem Bergsattel im Westen eine dunkle Glut, wie ein gewaltig loderndes Osterfeuer. In dem grauen Turm im Dorfe wurde die Abendglocke geläutet. Ein langer Nachhall noch, der durch die Ulmenwipfel über der Kapelle zu summen schien, und die Stille kehrte zurück; dafür fing der Wind stärker in den Zweigen zu rauschen an. In dem Dorfe unten, in den einzeln und zerstreut auf den Halden umher liegenden Häuschen flatterten Lichter an und Schossen zuckende kleine Strahlenpfeile durch das Grün ihrer Baumhöfe; Bernhard gerade gegenüber, auf einem jenseits schwellenden Bergabhang, lag eine Hütte, deren Tür offen stand; er sah das lodernde Herdfeuer im Hintergrunde; zuweilen bewegte sich eine dunkle Gestalt davor; dann eine Zeitlang rasch nacheinander zwei Kinder, die umher zu tanzen schienen, bis die Mutter den Milchtopf darüber hing; ein gebückt schreitender Mann kam und setzte sich in einen Lehnstuhl hart daran. Es war ein freundliches Bild, das durch die grellen Kontraste von Finsternis und Licht einen traumhaften Anstrich bekam.

      Es wurde völlige Nacht umher, aber eine milde und mondhelle; hinter Bernhard, in einem morschen Ständer der Kapelle, begann ein Holzwurm zu ticken; ein Wiesel schlich durch das Gras und hüpfte in langen Sätzen an seinen Füßen vorüber; aus dem nächsten Gebüsche tönte das leise Grunzen eines Igels. Dann wieder alles so stille rings, daß das Säuseln der welken Blätter an den Digitalenstämmen hörbar wurde, die über einen Schutthaufen an der Mauer aufgeschossen waren.

      In Bernhards Seele ward es ruhiger; die frühere Stille seines Gemütes voll Ergebung, voll Glauben und auch voll jenes vergeistigten Aberglaubens, der in allen tieferen Charakteren irgendein Fleckchen findet, wo er Wurzeln schlagen und seine seltsamen lianenhaften Ranken treiben kann, kehrte in ihm zurück. СКАЧАТЬ