Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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Antons Rührung suchte einen Ableiter und der unglückliche Bello ward heulend der Depositor seines Schmerzes.
Bernhard eilte wieder zum Wagen zurück. Das Schrecklichste der Schrecken war damals in unsrer Gegend der Zustand der Wege und Heerstraßen. Ganze Strecken führten den Namen »Briserie«, weil es nicht wahrscheinlich war, hindurchzukommen, ohne ein Rad oder die Achse oder mindestens Arme und Beine zu brechen. Doch hatte jetzt eine anhaltende Dürre sie erträglich gemacht, das heißt, man lief nicht so leicht Gefahr, ganz stecken zu bleiben, und der Wagen kam doch weiter, freilich mit denselben Bewegungen wie ein Schiff auf stürmischem Meere sie macht, wenn es in einem Wogenabgrund niederschießt und gleich darauf über den nächsten Hügelkamm fortgeschoben wird. Es mag in der Tat wahr sein, daß ein Bischoff von Osnabrück einst ein Jahr lang gereist sei, um auf dem Reichstage zu Worms anzulangen; er kam freilich immer noch früh genug.
Um den Wagen und Frau Margret vor den Stößen der schlimmsten Stellen zu behüten, gab Bernhard dem Fuhrmann fortwährend Weisungen, wie ein sorgfältiger Kundschafter vorausschreitend. Wo das Haselnußgesträuch der Wallhecken zu beiden Seiten seine Zweige zu weit vorstreckte, war er bedacht, sie an die Seite zu schieben oder abzubrechen, daß sie Margret nicht verletzen konnten. Diese war in ziemlich zufriedener Stimmung; den Krankheitsanfall hatte ihre feste Natur völlig überstanden, und die Sorge ihres Sohnes für ihre Bequemlichkeit schien ihr innerlich wohlzutun, und wenn sie selbst auch schweigsam war und wenig antwortete, so mochte ihr doch zu großer Beruhigung dienen, daß Bernhard so heiter und mutig schien, ja eine gewisse Art Lustigkeit verriet, die sie sonst nicht an ihm gekannt hatte. Hätte Margret in seiner Seele lesen können, so würde sie gesehen haben, daß auf die Schwelle seines Gemüts das Leben jenen Findling gelegt hatte, den wir nach trüben und durchwachten Nächten uns dort mit seinem halb weinenden, halb lächelnden altklugen Kindergesicht anschauen sehen, den heimatlosen Vagabunden, den Leid und Lust erzeugt haben und der nur äußerlich der leichtsinnigen Mutter wie aus den Augen geschnitten scheint, innerlich aber vielmehr den Vater gleicht; Margret würde gesehen haben, daß in der melancholischen Seele ihres Kindes sich der Humor entwickelte.
Die Reisenden hatten bald die Regionen der Heiden hinter sich gelassen und kamen durch ein angebautes, fruchtreiches und anmutiges Land; sanft schwellende Hügel mit weidenden Viehherden, Wälder, die mit aller Pracht herbstlicher Färbung, an ihren Weg traten, in der Ferne stattliche Rittersitze mit dunkeln Schieferdächern und kleinen Türmchen, meist am Fuße der Hügel und von breiten Wassergräben umgeben, Gehöfte, die blaue Rauchsäulen steil recht in die sonnige Luft emporsandten, oft über die Wipfel der Bäume hinauf, als nicke über dem Waldturban, der die Scheitel des Hügels krönte, ein hellblauer Reiherbusch; hier und da ein Weiher mit einer Schar schnatternder Gänse am Ufer; dann ein verwitterter Heiligenschrein am Wege, an dem abgeblühte Kränze niederhingen; das alles trat zu einem lieblichen Gemälde zusammen, über das der Sonnenglanz eines wunderschönen Herbsttages seinen Firnis legte. Die Landschaft war nicht eigentlich still zu nennen. Von den Gasthöfen her hörte man das helle Geklapper und den dumpfen Niederschlag im Takt geschwungener Dreschflegel oder den ähnlichen Lärm, den eine Schar junger Mädchen mit ihren Flachsbrechern machte; Hunde bellten dazwischen, auf den Aeckern tönte der Ruf der Pflüger oder das helle Wiehern eines Gaules, der aus offenen Nüstern Wolken Hauches in die frische Morgenluft schnaubte; aber trotzdem schien ein stilles sonntägliches Feiern über all den Fluren zu liegen, jene schlummernde Ruhe eines Landes, das die Kultur noch nicht zum Aufbieten aller seiner Kräfte zwang, das eine Art jungfräulicher Frische und ursprünglicher Unverletztheit bewahrte.
Margret wurde am Abend wohlbehalten vor dem Wirtshause eines ziemlich ansehnlichen Dorfes abgesetzt; dort wurden frische Pferde gemietet, und so konnte am andern Morgen ohne Anstand die Reise fortgesetzt werden, über deren eigentliches Ziel die alte Frau sich nicht weiter äußerte, als daß sie noch eine oder zwei Tagereisen fürder wolle. An diesem Tage mußte der Wagen in einer Fähre über die Ruhr gesetzt werden; in demselben Nachen trafen unsre Reisenden mit einem andern Wanderer zusammen, dessen Aeußeres den Landgeistlichen ankündigte und der desselben Weges zog Bernhard bot ihm seinen Platz auf dem Wagen an, von dem er keinen Gebrauch machte. Der geistliche Herr aber lehnte es ab: »Das würde wohl etwas zu viel sein,« sagte er; »ich gehe zu Fuß, weil ich mir eine Motion machen will.«
Der gute Herr, aus dessen Zügen und schlichtem Wesen eine rührende Einfalt und Gutmütigkeit sprach, schien mit der hochdeutschen Sprache, die ihm als Kind eines »plattdeutschen« Landes nicht angeboren war und in der Bernhard ihn anredete, nicht recht fertig werden zu können. Trotzdem war er ziemlich gesprächig, und Bernhard fand, als er ihm den Zweck seiner Reise, eine neue Heimat zu suchen, mitgeteilt hatte, eine große Teilnahme bei ihm.
»Das würde ja ganz schön sein,« sagte er, »wenn –« er blieb stehen, um den Tabak seiner halbausgebrannten Meerschaumpfeife zusammenzustopfen, und ging eine Strecke schweigend weiter.
»Kann der Herr Messe dienen?« hob er dann wieder an.
»O ja, recht gut.«
»Das würde ganz schön sein,« sagte er nachdenklich. »Also Sie reisen, um kein Haus zu haben?«
»Ja, um eins zu finden, Herr Vikar.«
»Jawohl, um eins zu finden – das mochte schon wohl gefunden sein,« versetzte er mit bedeutsamem Nachdruck, und indem er eine innere Freude mit einer wichtig tuenden, aber etwas schalkhaften Miene zu verstecken bemüht war.
»So, und wo denn, ehrwürdiger Herr?«
»Wenn's dem jungen Herrn und der Frau Mutter gefallen konnte, ich habe ein kleines Vikariehaus leer stehen. Ich bin aus Kraneck hinten im Sauerlande, und weilen der gnädige Herr haben wollen, daß ich bei ihm auf dem Schlosse wohne, steht mein Haus ganz leer. Es ist auch ein kleiner Garten dabei, den hab ich aber vermietet, und der bringt wohl zwei Taler alle Jahr' zu Lichtmeß ein. Den konnte ich also nicht umsonst weggeben, aber das Haus möchte Ihnen wohl gefallen.«
»Aber umsonst? Das würden meine Mutter und ich nie zugeben, Herr Vikar.«
»Aber um ja doch leer zu stehen!« warf der gutmütige Geistliche ein. »Es ist auch nur klein; eine gute Küche, ein großes Wohnzimmer und zwei Schlafkammern, eine Stallung« – der Vikar fuhr fort, eine ganz anständige Zahl bewohnbarer Räume zu nennen.
Bernhard ging zu seiner Mutter zurück und besprach sich mit ihr; diese willigte gern in den Vorschlag ein, wenn der ehrwürdige Herr den Mietzins von zehn Talern jährlich annehmen wolle.
»Zehn Taler,« sagte Herr Gerhards, so hieß der gutmütige Geistliche. »Ja, so, zehn Taler jährlich!« Die Sache schien ihm bedenklich vorzukommen; Leute, die heimatlos in einem andern Lande einen Aufenthalt zu suchen gezwungen waren, hatten so viel Geld allein für die Wohnung zu bieten; das mochte ihn etwas beunruhigen. Die Summe war zwar so bedeutend nicht; aber es ausgeben zu wollen für etwas, das umsonst angeboten würde – es kam dem geistlichen Herrn etwas verdächtig vor, und er war halb entschlossen, sein Anerbieten zurückzunehmen. Es ist charakteristisch für jene Zeit und jenes Land, daß man mit vollem Herzen und mit vollen Händen beistand, wenn der Bedürftige des Nachbars Kind war und zu bekannten guten, christlichen Leuten gehörte; daß man aber mit einem gewissen verachtenden Haß alles ansah, was etwas Fremdartiges mitbrachte und nur eine leise Färbung eines andern Dialekts in seiner Sprache verriet.
Herr Gerhards war jedoch zu gutmütig, um irgendwo etwas andres als das Beste vorauszusetzen. Als er deshalb einigemal Bernhard angeblickt und aus seiner ganzen Erscheinung die vollständigste Beruhigung gesogen hatte, gab er seine Einwilligung zu erkennen, und man war des Handels einig.
Nach und nach nahm die Gegend, durch die der kleine Zug sich langsam fortbewegte СКАЧАТЬ