Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
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Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe

Автор: Levin Schücking

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075838650

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СКАЧАТЬ Ihr da, junger Herr, so wollen wir fort. Hast du den Wagen bestellt, Lene?«

      »Ja, Frau Fahrstein, auf morgen früh; um elf Uhr will der Bauer mit den Pferden kommen. Ihr müßt jetzt noch ruhen; Ihr seid nicht wohl, auch bin ich mit dem Einpacken nicht fertig.«

      Margret lag eine Weile apathisch da. Dann fuhr sie mit der Hand über die Stirn und faßte Bernhards Rechte.

      »Kind,« sagte sie, »wir müssen fortreisen; seid nicht traurig darum; die Welt ist groß und weit, und wir haben beide gesehen, daß die Sonne auch anderswo am Himmel steht, und daß ein warmes Herdfeuer flackert, wo man's anzündet. Ein Kind, das seine Mutter hat, ist nicht verlassen. Ich habe Lene gesagt, daß sie Eure Bücher einpackt. Wir haben schon so viel, daß wir uns durchschlagen.«

      Bernhard warf sich ermüdet in einen Stuhl neben ihrem Bette und bewachte ängstlich ihr Wesen. Sie hatte ein Fieber, das immer heftiger wurde. Gegen zehn Uhr aber schlief sie ein; ihr Schlummer war ruhig, und die Krankheit schien vorüber ziehen zu wollen. Bernhard wagte jedoch nicht, sie zu verlassen; er beschloß, die Nacht über bei ihr zu wachen; er war überhaupt viel zu aufgeregt, um an Schlaf denken zu können.

      Es ist ein seltsam unheimliches und trauriges Gefühl, wenn man den Ort verlassen soll, wo man seine Jugend oder einen großen Teil seines Lebens zugebracht hat. Das Dach, das sich so lange über uns wölbte, die Wände, die uns so lange beschützt haben, alle die Stellen, welche die Zeichen unsrer Neigungen, unsrer Tätigkeit tragen, alle die Geräte, die zur Befriedigung unsrer Bedürfnisse beitrugen, haben etwas Lebendiges, haben eine Sprache für uns bekommen. Die Eindrücke, die sie auf uns machten, waren die Hebel vieler unsrer Gedanken, und weil Gedanken den Charakter bilden, wie viele Blätter eine Blume, so ist es von dem wesentlichsten Einfluß, ob ihr in einem Schlosse, wo alles um euch weit, groß und licht, wo dieses an ein großartiges Gebiet des menschlichen Geistes, jenes an ein andres ebenso imposantes euch erinnert, oder ob ihr in einer Dorfschenke erzogen seid.

      Immer aber haben unsre Umgebungen, wie sie auf uns Einfluß üben, auch von unserem Leben einen Teil zurückbekommen. Sie sind die sicheren Bewahrer von Gefühlen geworden, die ohne sie in die Winde zerflattert sein würden. Gedanken und Erlebnisse können in stumme schweigende Räume eingeschlossen sein, wie lebendige Geister durch ein Salomonssiegel in eine Flasche, wie geheimnisvolle Geschichten in dunkle Herzkammern. Ihr habt sie vergessen und ganz andres zu denken, zu tun – bis ein Zufall euch das rostige Schloß öffnen und die knarrenden Angeln aufschieben läßt. Dann weht es euch an, als wäret ihr plötzlich in einem bestimmten Moment der Vergangenheit zurückversetzt; es ist, als tönte das Wort, dem ihr einst darin gelauscht, noch von den Wänden nach.

      Hat man sie nun auf immer zu verlassen, die Räume, die man mit seinen eignen Gedanken und Eindrücken lebendig gemacht hat, dann bekommen sie etwas leichenhaft Unheimliches; sie sind wie ein Körper, aus dem die Seele fortgezogen ist; die Erinnerung an sie spricht nur von einem Stück toter Vergangenheit. Was ein Tempel eurer Phantasien war, wird ein leerer Steinhaufe; und auf euren Weg nehmt ihr das Bild von einem Zustande mit, der ein Ende nahm, ohne daß – für euch – sich ein andrer an seiner Stelle entwickelte – der gestorben ist, ohne wieder zu erwachen. Der Gedanke an den Tod ohne Unsterblichkeit tritt in euer Leben.

      Durch Berhards Seele mochten derartige Betrachtungen ziehen, als er die Nacht über bei seiner kranken Mutter wachte. Er saß stille und in sich gekehrt, von einem schwachen Nachtlichte angeflimmert und das Haupt zuweilen müde, mit geschlossenen Augen, auf die hohe Rückenlehne seines Armsessels zurücklegend. Mit einer größern Lampe ging Lene ab und zu, um Sachen aus dem Zimmer zu holen, die sie draußen in Koffer einpacken wollte.

      »Da ist der Mantel für morgen«, sagte sie, indem sie sich dicht an Bernhards Stuhl mit den auf einer Kommode liegenden Kleidungsstücken Margrets zu schaffen machte. Dann trat sie an einen Koffer und öffnete ihn.

      »Was hast du in dem Koffer zu suchen, Lene«, fragte Bernhard, ohne die Augen zu öffnen.

      »Ich will nur reines Nachtzeug herausnehmen, daß er auf der Reise nicht aufgeschlossen zu werden braucht.«

      »Hat meine Mutter dir den Schlüssel gegeben?«

      »Ja, Herr.«

      »Hast du da nicht Papiere, Lene?« fragte Bernhard einige Augenblicke später und blickte auf.

      »Hier? Nein, das ist ein reines Schnupftuch.« Sie zeigte ihm ein weißes Tuch.

      »Ah so, ich glaubte, ich hätte Papiere rispeln gehört.«

      Es war Morgen. Margret war erwacht, wie sie behauptete, durchaus genesen. Lene sagte, sie sei mit dem Einpacken fertig und ging, sich etwas auszuruhen. Bernhard stärkte sich ebenfalls durch einen kurzen Morgenschlummer, und als es spät genug geworden, um ohne Auffallen einen Besuch im Stifte machen zu können, ging er dorthin, um von Katharinen Abschied zu nehmen, ihr die Wendung die sein Geschick genommen, mitzuteilen und mit ihr zu verabreden, wann er sie wiedersehen könne. Um elf Uhr konnte er längst wieder da sein. Er stand bald auf der Heide unter dem Baume mit dem Muttergottesbilde. Auch von ihm mußte er Abschied nehmen; von dieser Steinbank, auf der er so oft gesessen, wenn ihn das Wetter überrascht; dann hatten ihn die Zweige überdacht, daß er ganz behaglich und warm über die Ebene hinausgeschaut, wo die Tropfen niederrieselten und dunstig von dem Heidekraut wieder aufsÿtäubten, wo das leise Plätschern ihn in allerhand Träumereien gelullt hatte. Aber er hatte jetzt nicht Zeit, sie fortzuspinnen; er wollte sich nach wenigen Minuten von der Bank wieder erheben, als er hinter dem Baume, in einiger Entfernung, eine lustige Hörnerfanfare schmettern hörte; gleich darauf Hufschläge, die über die Heide pochten; zwei Pikörs in glänzender, scharlachroter Livree sprengten vorüber, hinter ihnen her kam nach einer Weile der »Meisterjäger« mit seinem großen Leid- oder Spürhunde, den eram Seile hielt, beide in vollem Laufe, der Jäger von den wüsten Rüden gezogen und gezerrt, daß er jeden Augenblick sich der Länge nach auf den Boden legen zu wollen schien. Das Tier hatte die Fährte und setzte jetzt in schweren Sprüngen, die Nase immer am Grund, lautlos an Bernhard vorüber. Dieser überschaute die Heide und sah, daß sie zum Schauplatz des ersten Aktes einer Tragödie ausersehen war, die sich durch rasche Handlung vor allen andern vorteilhaft auszeichnet und immer endet mit dem beweinenswerten Tode des einzigen, nicht ganz unvernünftigen Wesens, das auf die Bühne kommt und deshalb auch billig der Held ist.

      Der Kurfürst Klemens August, Erzbischof von Köln, Hoch- und Deutschmeister, zugleich Fürstbischof von Münster und aller andern Bistümer in Norddeutschland, so gewiß, daß er nur bedauern konnte, daß Karl der Große ihrer nicht mehr gemacht, ein Mann, reicher als der Kaiser – der übrigens sein Bruder war –, baulustiger und prachtliebender als Ludwig XIV., war ein gewaltiger Jäger vor dem Herrn. Er jagte allerlei Wild, gleichviel, ob es zur hohen oder zur niedern Jagd gehörte; vorzüglich aber Hirsche, und nur diese parforce.

      Solch eine Parforcejagd hatte heute die Heide zum Sammelplatz erlesen. Hier und da, in großen Entfernungen, sah man Gruppen von Reitknechten mit Sattelpferden aufgestellt oder weiter voranziehen. Fern am Walde trabte ein Trupp uniformierter Träger mit mehreren Sänften ihnen nach; es waren also auch Damen bei der Hetzjagd, für deren Ermüdung man vorgesehen.

      Der Kern des Zuges begann an Bernhard vorüberzustürmen; es war die Meute, mindestens zweihundert Bracken. Der Spürhund hatte noch nicht angeschlagen oder Laut gegeben, sie waren deshalb noch in der Koppel und bellten, heulten, zerrten an den Seilen – schmiegten sich unter den Peitschenhieben, die wie Pistolenschüsse jedesmal in den dicksten Haufen klatschten, sprangen und schlängelten die gegeißelten Leiber – es war eine fast ekelhafte Herde, wie eine zahllose Menge Blutegel. Jäger zu Pferde mit Hörnern an bunten Fesseln, Büchsenspanner, Jagdschmiede, Sattelknechte, Piköre, Stallmeister und Bereiter mit losen Pferden, zahlloses Volk, jeder in demselben scharlachroten, mit Goldtressen reich besetzten СКАЧАТЬ