Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
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Читать онлайн книгу Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe - Levin Schücking страница 146

Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe

Автор: Levin Schücking

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075838650

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      Bevor Traudchen geantwortet hatte, wurden draußen Stimmen und Schritte laut. Man hörte in dem Auditorium des Professors die Stimme der Hausfrau, welche einen Fremden zurechtwies, und gleich darauf klopfte es an des Professors Stüblein.

      Auf Brachts: Herein! öffnete sich die Tür und eine wohlbeleibte Gestalt trat ein; niemand anders als unser guter Bekannter, Herr Stevenberg, der Künstler und Heraldikus.

      Der Gelehrte bot ihm einen Stuhl.

      Herr Stevenberg setzte sich und sah mit düsterer, gerunzelter Miene, seinen Hut zwischen die Knie geklemmt und die Hände auf seine Schenkel stützend, zuerst den Professor, dann Traudchen Gymnich und sodann das bescheiden bürgerlich eingerichtete Stübchen an, in welchem er sich befand. Nach dieser Rundschau stürzte er mit einer merkwürdigen Hast die Frage hervor:

      »Ist der Studiosus Bender nicht hier? ... hat mir gesagt, er wäre um diese Stunde hier zu finden ... damit ich nicht so weit zu laufen habe, bis ... ha, ha, ha ,.. bis hinter St. Georg ...«

      »Kennen Sie den Studenten Bender? Was wollten Sie ihm sagen?« fragte eifrig Traudchen, die bei dem Namen hoch aufgehorcht hatte.

      »Kennen? ... den Studiosus Bender? Wie sollt' ich ihn kennen! Er ist nur einmal vor mehreren Wochen bei mir gewesen. Hat mich um einen Gefallen gebeten.«

      »Und worin bestand der Gefallen?« fragte Traudchen Gymnich, welche aufgestanden war, sich vor den Tisch gestellt hatte, an dem die beiden Männer saßen, und, indem sie ihre Hand darauf stützte, gespannt in das Antlitz des Wappenmalers blickte.

      »Worin er bestand? ...« versetzte Herr Stevenberg; »er wollte wissen, ob ich ihm nichts sagen könne über eine Familie Walrave von drüben her, aus dem Süderlande ...« »Walrave?« rief Traudchen Gymnich höchst überrascht aus.

      »Nun ja, Walrave«, fuhr Herr Stevenberg fort, und es war augenscheinlich, daß der Klang dieses Namens das Gepräge einer tiefen Melancholie auf seine Züge drückte ...

      »Ich habe erfahren,« sagte er dann, »und wenn Sie den Studenten sehen, so sagen Sie's ihm ... daß die Walrave ausgestorben sind. Schon seit vielleicht zwanzig Jahren oder noch länger. Der letzte von ihnen ist Wilbrand Goswin von Walrave gewesen, ein ruchloser Patron, der in seiner Jugend drüben im Lande auf eine für andere friedfertige Leute höchst unbequeme Art seinen Mutwillen ausgetobt hat. Zuletzt«, fuhr der Wappenmaler fort, »hat er aus lauter Übermut sich ... ha ha ha ... das Vergnügen gemacht, sich aufzuhängen!«

      Herr Stevenberg mußte erst einem Anfall seiner Lachlust nachgeben, bevor er fortfahren konnte:

      »Es ist das eine wunderliche Geschichte, von der man nicht recht weiß, wie sie zusammenhängt. Es ist ein Fräulein von Stovelar zu Equordt und Dudenrode da im Lande gewesen, eine reiche Erbtochter, nach der hat ein Baron von Averdonk gefreit.«

      »Das sind ja die Leute, von denen Sie uns gesprochen haben, als wir Ihnen das Siegel mit dem großen Wappen brachten«, fiel hier der Professor ein.

      »Ganz dieselben«, sagte Herr Stevenberg, mit einer Miene, als ob die Erinnerung an diesen Umstand etwas tief Schmerzliches für ihn habe, und dann setzte er hinzu:

      »Sie sind auch schon verlobt gewesen, da ist dieser Wilbrand von Walrave dazwischengekommen und hat das Erbfräulein für sich gewonnen, und man hat gesagt, der Bräutigam, der Herr von Averdonk, habe die Angst vor dem tollen Walrave bekommen und sich gar nicht mehr außerhalb seines Hauses – ich meine, Amelsborn muß sein Gut heißen – sehen lassen. Das hat nun eine Weile allerlei Hader und Span gegeben zwischen dem Erbfräulein von Stovelar und ihren Eltern, die den Walrave sich nicht haben über die Schwelle kommen lassen wollen, und dem Averdonk – bis eines schönen Tages gar plötzlich und unvermutet der alte Herr von Stovelar auf Dudenrode, der Vater des Erbfräuleins, gestorben ist. Nun hat jedermann geglaubt, der Walrave werde jetzt seinen Willen durchsetzen und das reiche Fräulein heimführen; aber die Mutter hat darauf angetragen, daß ihres seligen Mannes Freund, ein alter Herr von Eggenrode, zum Vormund ihrer Tochter gesetzt werde, und der hat gewußt, der Sache auf irgendeine Weise ein Ende zu machen; der Walrave hat weichen müssen und nach kurzer Zeit ist er, wie man gesagt hat, im Walde gefunden worden, an einem Eichbaume aufgehängt. Anfangs hat es geheißen, er habe sich selber ums Leben gebracht, denn sein Hab und Gut sei verzehrt und verschleudert gewesen, und seine Juden hätten nicht Lust gehabt, für seinen weitern standesmäßigen Unterhalt zu sorgen. Später aber hat man gesagt, der alte Eggenrode sei noch einer von den alten Wissenden und Freischöffen da aus der Gegend, der hätte mit einigen seiner Bauern Gericht über ihn im Walde gehalten und ihn an die Eiche gehängt, um seiner vielen Missetaten willen! Daran ist nun freilich nicht zu glauben; ich habe, so oft ich drüben im Lande gewesen bin, niemals eine Silbe mehr von dem alten Wesen gehört; und es ist auch gesagt worden, es sei alles nicht wahr, der Walrave sei gar nicht tot gefunden worden, sondern habe sich still aus der Gegend verzogen. Dem sei nun wie ihm wolle, mag der Walrave an der Eiche gehangen haben oder nicht, genug, das Erbfräulein hat den Averdonk heiraten müssen, und auf dem Schlosse Dudenrode wohnen sie noch heute, und das ist, was ich mir habe erzählen lassen, und wenn der Studiosus damit nicht zufrieden ist, so muß er sich an den Herrn Kanonikus Klevesahl an St. Aposteln wenden, der, wie mir gesagt worden ist, vor Jahren als Pfarrgeistlicher im Süderlande, in derselben Gegend, gestanden hat und vielleicht Genaueres weiß!«

      Professor Bracht versicherte ihm, daß er zwar nicht wisse, welches Interesse sein abwesender fleißiger Zuhörer und Scholar an dieser Geschichte gehabt haben könne, daß sie aber jedenfalls merkwürdig genug sei, um sie sich einzuprägen, und daß er sie dem Studenten getreulich berichten wolle, sobald er ihn wiedersehe; und da ihm Herr Stevenberg nicht der Mann schien, von dem in der Angelegenheit Huberts eine besonders praktische Auffassung zu erhoffen, noch irgendein guter Rat einzuholen, so ließ er es bei diesen Worten bewenden, was den Wappenmaler dann veranlaßte, ohne weiteres Zürnen oder ferneres Gelächter seinen Aufbruch einzuleiten und sich endlich zu verabschieden. Als der Professor ihm über den Vorsaal geleuchtet hatte und zurückkam, fuhr das junge Mädchen wie aus einem Traume auf – sie legte hastig die Hand auf den Arm des Professors, und indem sie mit der andern Hand ein Papier aus ihrem Busen hervorzog, sagte sie in einem Tone, durch den etwas wie ein lauter Jubel klang: »Jetzt weiß ich alles, alles ... diese Menschen sind in meine Hand gegeben ... Professor, lesen Sie das – lesen Sie ...«

      Der Professor sah sie betroffen an, dann nahm er das Papier, schlug es auseinander und las, indem er es der Lampe nahe brachte, die folgenden Zeilen, die auf einem von oben an beschriebenen Folioblatt standen:

      »Demnach mir mitgeteilt ist, daß hiesigen Orts obrigkeitlich dem vorübergehenden Aufenthalt des Herrn Wilbrand von Walrave, jetzo genannt von Ripperda, Schwierigkeiten in den Weg gelegt werden wollen, so bezeuge ich demselben auf sein Ansuchen, daß selbiger, obwohl anitzo Emigrant, doch von teutscher Herkunft und aus dem Gelderland daheim ist. Derselbige ist mir als solcher seit vielen Jahren von Person wohl bekannt, und traute ich selbsten ihme Anno 1777 mit dem hochwohlgebornen Freifräulein Gebharde Josephe von Stovelar zu Equordt und Dudenrode. Solches geschah am 13. Augusti adcitirten Jahres in der Pfarrkirchen zu Wolfshagen. Nachderhand um eine Anstellung in Frankreich zu suchen, verließ Herr von Ripperda das teutsche Vaterland, wurde Capitaine des chasses des Herzogs von Condé und kehret anitzo, weil der Herzog sich hat flüchten müssen, zurück. Ich bitte deshalb, ihme, als mir wohlbekannten und respectabeln Manne kein Hindernuß in den Weg zu legen, wenn er hiesigen Ortes zu verweilen wünschet.

      Augustin Klevesahl, Canonicus ad S. S. Apostolos

      Nachdem der Professor dieses seltsame Instrument halblaut für sich hin gelesen hatte, sah er verwundert zu Traudchen auf.

      »Das ist eine verwunderliche Sache!« rief er aus. »Herr Hubert Bender СКАЧАТЬ