Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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Jedenfalls stand sie mit allen ihren Liebhabereien und geistigen Beschäftigungen, die ebensowohl bei den römischen Dichtern verweilten, als bei den spanischen und französischen, und nur die deutschen ausschlossen, die damals in der Tat zu langweilig waren – außerhalb der Kreise ihrer Umgebung. Bernhard war ihr eine desto willkommenere Erscheinung. Sie hatte ihn zuerst bei einem der Canonici ihres Stiftes – denn auch für einen Dechanten und sechs Canonici hatte das reiche Stift Pfründen – gesehen, war mit ihm befreundet geworden, hatte immer größere Teilnahmen für ihn bekommen und sich endlich immer fester verpflichtet gefühlt, für den jungen, unerfahrenen Menschen, der gar nicht in die Welt paßte und sich schicken konnte, der wie eine exotische Pflanze war, die nie aus dem mütterlichen Treibhaus in die rauhe Luft gestellt werden darf, Sorge zu tragen. Wer sollte es auch anders? Seine Mutter war ja eine so wunderliche Frau. Dazu haftete ein Flecken auf seiner Geburt. Er war nur um so schlimmer daran. Und sie war unabhängig, eine Heirat hatte sie sich aus dem Sinne geschlagen; wozu hätte eine einzelnstehende Dame einige Tage ihres Lebens besser anwenden können, als die geistige Entwicklung und die äußerliche Wohlfahrt eines jungen Mannes befördern zu helfen, der es verdiente? Sie hatte ihm gesagt, weil er nun einmal eine so wunderliche Mutter habe, wolle sie sein Tantchen sein.
Ich weiß nicht, ob alle so jugendlichen und hübschen Tantchen ein so merkwürdiges Herzpochen und eine fast unerträgliche Spannung aller Nerven fühlen, wenn sie einem Neffen entgegensehen, wie Katharina von Plassenstein, an den Tagen, wo sie Bernhard erwartete. Gewiß ist aber, daß sie sich hütete, diese Frage an sich selbst zu stellen.
Als Bernhard das nächste Mal zu ihr kam, wurde er in ihr Wohnzimmer im zweiten Stock geführt; sie war nicht darin, aber ihre Stimme, die hinter einem grünen Vorhange her erscholl, rief ihn in das Allerheiligste ihres Gedankentempels. Er hob den Vorhang, der statt einer weggenommenen Tür diente, die früher die spitzbögige Maueröffnung geschlossen hatte, und trat in ein rundes Turmzimmer; es war ein allerliebst ausstaffiertes Gemach. Die Fenster hatten noch die runden bleigefaßten Scheiben mit Wappenmalereien; die Nachmittagssonne fiel schräg hindurch und legte einen blauen Glanz auf einen an der gegenüberstehenden Wand hängenden runden Ritterschild von Eisen mit getriebenen Figuren, in deren Mitte ein zürnender Achill mit einem großen Federbusch prangte. Ein schöner Speer mit zerrissenem Fähnchen hing darunter; zur Seite ein Helm von seltsamer Form; an der andern Seite hing eine kleine schottische Harfe, wie man sie damals viel gebrauchte. Dem Vorhang gegenüber stand eine Rüstung wie ein vollständiger Ritter, an dessen Brust sich die Ranken einer wuchernden Passionsblume schmiegten, die von ihrer Konsole bis zu dem Helden hinangeklommen waren.
»Sie haben beinahe eine Rüstkammer aus Ihrem Zimmer gemacht!« sagte Bernhard, sich umschauend. »Es muß sich hier gut und selig träumen lassen.«
»Versuchen Sie's einmal.«
»Mir ist bange, meine Gedanken machen es wie die Blume und ranken sich um Dinge, die tot sind, und darüber könnten sie leicht zu denselben blassen Schmerzenskelchen aufblühen, die an dem Gewächs dort niederhangen.«
»Armer Schelm, weshalb denn? Sind sie hier nicht gut aufgehoben?« sagte Katharina, indem sie von ihrem Taburett aufstand und ihm mit der Hand das Stirnhaar scheitelte und plötzlich wie verlegen zurücktrat.
Er sah sie eine Weile schweigend an, dann trat er an das Fenster und blickte auf Wiesengründe hinaus, wo sich Buben zwischen frischgemähten Grumthaufen umtrieben.
»Ich will Kapuziner werden«, sagte er nach einer Weile halb im Scherze, halb im Ernste.
»Dann können Sie eine so fromme Seele werden, Wie hier in dem Buche abgemalt ist; schauen Sie her. Das nenne ich noch Frömmigkeit; so wahrhaft kindlich sollen Sie werden und dem lieben Gott ›die Sorge lan‹. Schauen Sie, das ist das Buch, das der letzte Schwalenberg abgeschrieben hat.«
Katharina öffnete die schweren Holzdecken einer alten, etwas vergilbten Pergamenthandschrift, die sie bei Bernhards Kommen fortgelegt hatte. Sie mußte sehr alt sein, denn die Schrift war schön und leserlich. Randzeichnungen hatte sie nicht, dafür aher sehr schöne und auffallend gut gezeichnete Miniaturgemälde jedesmal auf der vierten Seite; nur hatte man leider hier und da eines, wahrscheinlich um es Kindern zu schenken, herausgeschnitten. Der Inhalt war ein Gedicht von Jesus und der Seele und beider Liebe zueinander. Auf dem ersten Bilde stand der Herr zu Füßen des kleinen Bettes der Seele – sie war ein hübsches, rotwangiges Kind mit blondem Haar und blaßblauen Augen; er, im violetten, goldgestickten Gewände, groß und schlank, ein blasses, ernstes Jünglingsgesicht. Er hatte mit der Rechten ihre seidene Decke gefaßt und darüber stand geschrieben;
Hie haist er sy uffston
und zu der Metten gon.
Auf einem andern Blatte saß sie, in einem rotsamtnen, faltigen Kleide, über das tief hinab die reichen, vollen Locken niederhingen, auf einem Schemel; der Herr hatte ihr scheltend den Rocken fortgenommen:
Hy wil er sy nit lan spinnen.
Noch vil zittlichs Gut gewinnen.
Nun kam ein Bild, wo er das arme Seelchen gar mit einem Stricke um den Hals an einen Galgen in die Höhe zog:
Hy wil er sy hencken,
Das sy von im nit mug wenken.
Sie hatte die Hände über der Brust gefaltet und ließ sich verschämt und sittig die harte Prüfung ihrer Zärtlichkeit gefallen. Dann ein Blatt, worauf die Seele einen großen golden Pokal aus seinen Händen nahm, worüber geschrieben stand:
Hie gitt er ir ain liebe trank,
Das sy von im tun mug kainen wank.
Bernhard hatte eine innige Freude an diesen kindlich naiven Auffassungen und Katharina legte sie ihm mit allerlei halbernsten Scherzen aus, wobei sie in ein seliges Schwatzen geriet, das kein Ende nahm, aber Bernhard um desto lieber war.
Er besah das folgende Bild: Die gute Seele lief hochgeschürzt und flink wie ein Reh lachend über die blumige Aue, der Herr ebenso rasch hinter ihr drein, um sie zu erhaschen. Dann kam, wie sie mutwillig einen großen Bogen gespannt hatte; der Pfeil war mit den Widerhaken mitten in sein rotes Herz gedrungen, darüber stand:
Mit der Minne stral schusset sy in.
Das wil sy han für ainen gwin.
»Wenn es solche Bogen noch gäb', es wär gefährlicher einem Stift nahe zu kommen, als im Mai in den Wald zu gehen, wenn die Gräser schießen und die Bäume ausschlagen«, sagte Bernhard lachend. Dann schlug er das letzte Blatt auf; die Seele und der Herr waren jetzt alles Neckens überdrüssig, sie drückte ihn an ihr Herz und er hatte um das rote Samtgewand die Arme geschlungen:
Hie sind sy kommen yber ain
Vnd wend nun alle ding han gemain.
»Nein, nein«, rief Katharina; »sehen Sie erst dies, das ist allerliebst!« Sie schlug ein früheres Blatt auf: zwischen der minnenden Seele und dem Herrn hing ein großer, blauseidner Vorhang mit goldgestickten Sternen darauf; zur Linken dahinter stand sie, er an der andern Seite:
Hie verbirgt er sich vor ir,
Das entzündet werd ihr begir.
»Ist das nicht hübsch? Wie sie traurig ist und klagt! Aber das ist СКАЧАТЬ