Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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Herr von Driesch hatte immer ein unheimliches Gefühl der Alten gegenüber; um sich zu beruhigen, begann er zu sprechen und erzählte ihr von seinem Abenteuer mit dem Hofrat. Bei dem Namen Katterbach zuckte das Gesicht der Alten leise zusammen; ihre grauen Augen blickten wie bohrend durch die langen weißen Wimpern den Gutsherrn an.
»Herr,« sagte sie, »ich bin eine alte Frau und weiß nicht, ob die Diependähler oder ob Ihr das Recht habt, auf dem Berge zu jagen; aber das weiß ich, daß Ihr den Mann, so Ihr da nanntet, in Gottes Namen jagen lassen würdet, wo er will, wenn Ihr sehen könntet, was ich sehe –« sie stockte.
»Was habt Ihr gesehen, Margaret?« sagte Driesch gespannt.
»O Herr, ich bin alt geworden und habe vieles gesehen in diesem Lande und auch in andern Ländern bei den Welschen.«
»Ja, Margret, das mein' ich nicht; Ihr könnt mehr sehen als andre Leute, und ich möchte wissen, was Ihr von Katterbach gesehen habt – Ihr versteht mich wohl – so des Naehts,« flüsterte der Gutsherr und fügte laut hinzu: »Lene, geh mal hinaus.«
»Laßt das Mädchen nur bleiben,« sagte die Verwalterin, »ich habe nichts gesehen.«
Der Schein der Flamme fiel in ihr Gesieht, in dessen markierten Zügen der Freiherr eine starke innere Bewegung sich abspiegeln sah; vielleicht täuschte er sich auch, denn es konnte der grelle gelbe Lichtschein sein, was die Wirkung hervorbrachte.
»Aber Margret,« hub der Freiherr, dem alles daran gelegen war, die Frau zum Sprechen zu bringen, nach einer Pause wieder an, »wie war es, als Ihr den Gellers Kotten brennen sahet, der ein Halbjahr später wirklich in Asche lag?«
»O Herr, es ist keine Freude, so in der Nacht heraus zu müssen; in den Mondstrahlen ist viel scharfes Gift für manche Leute, wenn sie ihnen auf dem Kopfe stehen. Die Nächte sind kalt; aber man merkt es nicht, daß man friert, und ging es auch bis auf die Knochen.«
»Und dann seht Ihr die Flammen und die Menschen so deutlich, als wenn es wirklich geschehe? Und könnt Ihr das Rufen und das Glockenläuten auch hören?«
Die Verwalterin stand auf, rückte einen Stuhl und zündete die Oellampe an, die ein hölzerner Arm, der aus der Außenseite des Rauchfangs sich in die Küche erstreckte, vor einem gebräunten Magdalenenbilde hielt: »Es ist morgen Schutzengelfest,« sagte sie. Dann nahmen ihre Züge plötzlich einen sehr heitern Ausdruck an: »Guten Abend, junger Herr, da setzt Euch, Ihr seid gewiß kalt geworden. Mein Sohn, Ew. Gnaden!«
Der Eintretende war ein junger Mensch von etwas über zwanzig Jahren; in seiner Haltung lag viel Schüchternheit, etwas sehr Befangenes; er war so verlegen, daß er zur Begrüßung des Gutsherrn nur einige rasch wiederholte Verbeugungen, aber keine Worte hatte. Herr von Driesch hätte freilich für sein Leben gern mehr von der Alten vernommen, was sie denn eigentlich von seinem Feinde wisse; aber dennoch war ihm der Eintritt des jungen Menschen willkommen, weil er ihm einen Anflug von ängstlichem Grausen vertrieb, das bei den Reden der Frau ihn immer kälter angeweht hatte. Beide waren bald in ein Gespräch vertieft, das des Gutsherrn Ideen eine ganz andre Richtung gab und großes Interesse für ihn bekam. Der Sohn der Verwalterin war ein Dichter wie er, aber statt daß Herr von Driesch darüber eine gewisse Unbehaglichkeit gefühlt hätte, mit einem Plebejer auf demselben Felde sich zu begegnen, beteuerte er, der junge Mann sei der einzige, von dem man etwas lernen könne, das nicht in Büchern stehe.
Viertes Kapitel
Es war eine wunderliche Frau, die Verwalterin von Bechenburg, Margret Fahrstein oder auch die Römische Margret genannt. Einige sagten gerade heraus, sie sei nicht besser als eine Hexe, und der Pfarrer schüttelte bloß den Kopf und zuckte die Achseln, wenn man das sagte, aber gar nicht so, als wolle er mit dem Kopf schütteln die Behauptung in Abrede stellen. Sie saß immer auf dem alten Kastell und kam nicht einmal in der österlichen Zeit herunter, um in ihrer Pfarrkirche, wie es doch deutlich in den fünf Geboten der heiligen Kirche geschrieben steht und eines jeden Christenmenschen Pflicht ist, zur Beichte und zur Kommunion zu gehen. Sie könne die Kirchenluft nicht vertragen, sagte sie. Das war aber nur ein leerer Vorwand, denn wäre sie in der Tat so kränklich gewesen, dann hätte sie's nur sagen dürfen, und der Pfarrer wäre gern zu ihr gekommen und hätte ihr das Sakrament ins Haus gebracht. Nun wäre kein altes Weib männlichen oder weiblichen Geschlechtes, von jungen oder alten Jahren, in dem Städtchen L. gewesen, das nicht dreist behauptet hätte, der Teufel habe es ihr verboten in Gottes Kirchen zu gehen, wenn nicht ein merkwürdiger Umstand laut dagegen gesprochen: Frau Margret war nämlich vor vielen Jahren, als sie noch kräftig und gesund und blühend gewesen, einmal nach Sankt Jago di Compostella in dem fernen Lande Galicia, das noch hinter den Spaniolen liegt, einmal sogar nach Jerusalem und zweimal nach Rom gewallfahrtet; das letztemal, nach Rom, mit nackten Füßen; auf dem Wege hatte sie zur Ehre Gottes gebettelt und nachts ein Obdach in den Klöstern erhalten, da man damals noch gar keine lange Tagereise zu machen brauchte, um von einem Kloster zu dem andern zu kommen. Später war sie noch jedes Jahr um Pfingsten zu dem wundertätigen Christus nach Coesfeld gepilgert. Freilich sagten die Leute, das habe sie nur getan, um ihren Mann tot zu beten. Aber das sei dummes Zeug, meinte die Küsterin, die sich immer ihrer anzunehmen pflegte; dann hätte sie nach Werl zu der heiligen Mutter Gottes gehen müssen, denn die Mannsleute ständen immer einander bei.
So viel war gewiß, daß die Römische Margret – diesen Namen hatten ihre Pilgerfahrten ihr eingebracht – aus einer Familie war, auf der kein Segen lag. Dies verhielt sich so: Ihr Vater, ein wohlhabender Schulze in einem mehrere Stunden entfernten Dorfe und ein sehr stolzer, hartnäckiger Mann, dessen Nacken so steif schien wie das Holz seiner hohen Eichen, stand eines schönen Nachmittags auf dem Anger vor seinem Hause. Es war ein warmer Tag, auf Kreuzerhöhung, wenn die Gemeinde jährlich einen feierlichen Umzug mit dem Sakramente und den Fahnen hielt, daß der liebe Gott eine gesegnete Ernte verleihe. Die Prozession zog dann um die sämtlichen Getreidefelder des Dorfes und auch über ein Kornstück des Schulzen, durch das ein schmaler Fußpfad von seinem Hofe nach der Kirche und dem Mittelpunkt des Dorfes lief. Eigentlich brauchte der Schulze den Fußpfad nicht zu leiden, denn niemand konnte sagen, daß er dies als Servitut auf seinem Grundstücke habe; aber da es zur Bequemlichkeit seines eignen Hofes war, hatte er es so einreißen lassen und auch geduldet, daß andre Kirchengänger sich des Richtweges bedienten. Seit einigen Jahren war nun auch die Prozession denselben Pfad gezogen. Das war aber ein andres; das war eine ganze Flut von Leuten, die ihm seine Saat zwei Ellen breit an jeder Seite niederstampften. Der Schulze wollte das nicht ferner dulden und war jetzt da, um seine Protestation einzulegen. Er hatte das Wams abgeworfen und ging, eine lange Tabakspfeife im Munde, unter den Eichen seines Kampes auf und,ab, aus deren Schatten er die üppig aufgeschossenen Saaten seiner Felder überschauen konnte. Aus der Ferne hörte er das Singen; helle, etwas kreischende Stimmen der Frauenzimmer und dann als Chor den tieferen Gesang der ganzen Gemeinde; von seinen Leuten war niemand dabei, er hatte sie alle zu Hause gehalten, und sie kamen jetzt heraus und stellten sich auf die Wallhecke des Kampes, um zuzuschauen. Die Prozession kam näher; zuerst ein Chorknabe mit dem Kreuz, nach ihm zwei andre mit den beiden Kirchenfahnen und nun die Weiber zuerst, alle in buntem Sonntagsstaat. Dann schritt der Pfarrer heran, unter dem Baldachin, und die Männer schlossen mit der Bruderschaftsfahne den Zug. So gingen sie eine Strecke zwischen den Eichen und dem Ackerfelde den grünen Rain entlang; als die vordersten nun da angekommen waren, wo der Weg links abbog und über des Schulzen Grundstück lief, entstand ein Gedränge; die Fahnen- und Kreuzträger hielten СКАЧАТЬ