Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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Als die Vesper geendet, waren Katharina und Bernhard fast die letzten, die das Chor verließen. Sie gingen eine Zeitlang in dem schmalen und düstern Kreuzgang auf und ab. Bernhard besah die vielen Epitaphien, die an Wänden eingemauert waren, die meisten in dem schlechten Jesuitenstil des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts, einige aber weit älter, deren Unterschrift kaum mehr leserlich und auf denen der Donatar noch im Ringelpanzer und der Halsberge kniete, einen Helm von der Form des elften Jahrhunderts neben sich; ihm gegenüber sein wohl verhülltes steinernes Ehegemahl und hinter ihr eine ganze Reihe kleiner Burgfräulein wie Orgelpfeifen nach ihrer Größe geordnet; Katharina wußte von den meisten irgendeine seltsame Geschichte. »Das hier ist ein Miles von Schwalenberg«, sagte sie: »Sie sehen ihn allein, ohne Gespons. Er hatte in seiner frühesten Jugend einer Verwandten Treue gelobt, die einer verarmten Familie abgenommen und von seinen Eltern aufgezogen war; er hatte ihr hundertmal geschworen, sie allein solle alle seine Güter haben, und werde dann reich genug sein, wenn sie ihm einwarf, sie sei zu arm, um an eine Verbindung mit ihm denken zu dürfen; die schwalenbergischen Besitzungen waren ausgedehnt und das Gesohlecht gehörte zu den angesehensten jener Zeit. Aber eines Morgens war Agnes verschwunden; seine Eltern hatten sie in diese Abtei gesehickt, die damals noch ein Nonnenkloster war und eine strenge Klausur hatte; und nun half kein Beten, Agnes mußte den Weihel nehmen. Der junge Edelknecht sollte eine andre Jungfrau aufsuchen, mit der er den Namen fortsetze, aber ein Ritter des zwölften Jahrhunderts wußte sein Wort zu halten; er wollte nicht und es war nichts mit ihm anzufangen. Er wartete den Tod seiner Eltern ab und dann war das erste, was er tat, daß er alle seine Güter ohne Ausnahme diesem Kloster schenkte, mit der Bedingung, daß bei der nächsten Wahl Agnes zur Aebtissin gekoren werde, worauf der Konvent natürlich gern einging. So hatte Agnes doch seine Güter bekommen. Er selbst behielt sich nur eine Jahrrente und seine väterliche Burg vor, auf der er die Bücher der damals berühmtesten Dichter abschrieb. Eines davon besitze ich, das Sie nächstens sehen sollen; seine Handschrift ist nicht besonders; aber die Bilder werden Sie freuen. Er war der letzte Schwalenberg; darum ist das Wappen umgekehrt. – Sehen Sie, dieser hier ist mein Held,« fuhr sie fort, indem sie auf einen Ritter deutete, der ganz aufrecht an der Wand stand, dunkelbraun bemalt und auf zwei gelbe Hündchen seine Eisenstiefel stellend, »das ist Bernhard von Horstmar, auch der letzte dieses Dynastengeschlechts; er war ein Hauptanführer im zweiten Kreuzzuge und der westfälische Coeur de Lion; was mir ihn so lieb macht, ist, daß er neben seiner Tapferkeit so klug und brav war, und gewiß nicht seinen Vater totgeärgert hätte, wie der englische. – Aber nun kommen Sie, Sie haben ja alle diese Geschichten schon einmal gehört.«
»Aber Sie wissen, ich bin wie ein Kind, das am liebsten die Geschichte wieder hört, die es schon kennt.«
»Gut, Sie sollen alles noch einmal hören, aber nur draußen in der frischen Luft; es ist abscheulich feucht und dunstig hier.« Sie gingen durch einen von Rebenlaub umzogenen offenen Spitzbogen in einen großen Gemüsegarten hinaus, der durch einen Baumhof am Ende eine fast unabsehbare Verlängerung erhielt.
»An jenem Brunnen, dort unter den drei Mispelbäumen,« erzählte Katharina weiter, »spukt es in einigen Nächten des Jahres: vorzüglich zwischen Weihnachten und Dreikönigsfest will abends keiner der Leute mehr hinaus, um frisches Wasser zu holen. Man sagt, eine weiße Nonne komme dann dort aus der Kurie des Dechanten her, gehe quer durch die beiden nächsten Blumengärten trotz Geländer und Hecken, dann über den Hof, durch das Tor, bis an diesen Brunnen, wo sie einen Eimer Wasser nach dem andern schöpfe und nur zuweilen einhalte, um die Hände zu ringen. Einmal im Winter hat ein Knecht behauptet, eine ganze Flut Wasser habe, zu einem Eishügel gefroren, morgens neben dem Brunnen gelegen, der, das könne er beschwören, am Abende vorher nicht dagewesen sei.«
»Was mag sie denn daraus schöpfen wollen?«
»Die Sage behauptet allerlei Widersprechendes; ich weiß es nicht«, sagte Katharina.
Sie gingen an einer Hecke entlang. An der andern Seite kam ihnen das lesende Fräulein von Vorhin entgegen, das vor Bernhard entflohen war. Sie erwiderte seinen Gruß mit großer Nachlässigkeit, schritt aber jetzt mit erhöhter Anmut und Würde drüben auf und ab. Auf Katharinens Gesicht zeigte sich ein Anflug von lächelndem Spott, sie wußte, daß jenseits an der Hecke kein Pfad herlief, sondern daß das majestätische Fräulein mühsam mit den Füßen durch ein weiches Feld voll Kraut und Rüben sich arbeiten mußte. Katharina lenkte bald darauf in einen andern Pfad ein, bis sie eine Rasenbank erreicht hatten, die in dem Baumhofe angelegt war und sich an den mächtigen Stamm einer prachtvollen Buche lehnte, die über die birnen- und äpfeltragenden Nachbarn weit hinausragte. Diese Höhe und der majestätische Umfang des Wipfels hatte sie wahrscheinlich vor dem Untergange gerettet, als man den Baumhof anlegte. Katharina setzte sich und fuhr in ihren Erzählungen fort. Bernhard stand vor ihr und bemerkte, wie sie einigemal verstohlen nach einer Stelle des Baumstammes blickte. Er brachte sein Auge näher an die Rinde und fand mit einem Bleistift darauf geschrieben:
Wenn du anhero kommst, o göttliche Celinde,
Und in dem Schatten ruhst von dieser breiten Linde,
Bedenke, daß dein Hirt so manche Sternennacht
Mit kläglichem Gestöhn an diesem Stamm vollbracht.
Darunter war ein von zwei Pfeilen durchschossenes Herz gezeichnet. Bernhard fühlte einen Anflug von Aerger über die Verse, weil er an Katharinens Miene zu sehen glaubte, daß sie auf diese selbst von irgendeinem vornehmen und zierlichen Anbeter gemünzt seien; auf ihrem Gesichte zeigte sich übrigens wieder derselbe Ausdruck lächelnden Spottes, den eben das krautdurchwatende Fräulein hervorgerufen hatte.
Sechstes Kapitel
O Zeit der goldenen Tabatieren und der gestickten Westen mit den großen, großen schönen Blumen darauf! Deine Menschen hatten selber etwas Blumenhaftes; sie dufteten ja so süß – von Bisam und Poudre à la Maréchale; schimmernde Tauperlen lagen in den Kelchen dieser Blumen, jene Perlen, welche die zarte Empfindung weint. Es war nicht bloße Mode, daß die Poesie jener Tage immer im Schäfergewande auftrat und alle Verhältnisse mit dem roten Hirtenbande durchflocht. Diese Menschen der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts waren in der Tat sehr nahe den Lämmern verwandt.
Die gescholtene Unnatur jener Zeit bestand darin, daß man in jedem Schloßpark ein Arkadien sah, daß jedes Hoffräulein eine Celinde, jeder gepuderte Kavalier ein Damöt werden mußte, wenn man irgendeine der verschiedenen Situationen, in die ein Kavalier mit einem Hoffräulein in einem Park geraten kann, poetisch verklären wollte. Nun, was ist denn so viel Lächerliches daran? Kann denn eine solche Situation nicht in der Tat und Wirklichkeit sehr schäferlich ausfallen?
Und sind wir weniger unnatürlich? Wir nehmen die konkave Schale des Himmels in die Faust und schlagen den konvexen Erdball hinein, daß es klappt; und zu dem Donner blitzen wir Gedanken. Hat je einer – die Hand aufs Herz! – einen dieser Blitzkerle in der Tat und Wirklichkeit Gedanken blitzen gesehen?
Katharina von Plassenstein gehörte dieser Zeit an und wieder nicht an. Sie teilte die zarte Empfindung derselben; auch in dem Kelche ihres Gemüts lagen viele jener Tauperlen, die leicht in ihre Augen traten; schon als Kind hatte sie viel Weiches, Anschmiegsames, ja Liebeseliges gehabt und zuweilen ganz ernsthaft die Mutter um die Erlaubnis gebeten, jetzt etwas weinen zu dürfen. Wenn die erteilt wurde, stieg sie ruhig die Treppe zu einem Bodenkämmerchen hinauf, schloß bedachtsam die Tür ab und sobald der Riegel vorgeschoben, schossen die Tränen in Strömen über ihre Wangen, bis gerade zu dem Augenblick, wo die erlaubte halbe Stunde vorüber war. Das konnte СКАЧАТЬ