Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
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Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe

Автор: Levin Schücking

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075838650

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СКАЧАТЬ hatte, dieselbe, die auch der alten Margret so gut stand, eine seidene Nebelkappe mit silberner Tresse, ein Tuchrock mit schweren Falten, an den Aermeln offen, die Jacke von demselben Stoff und ein schweres Silberkreuz an einem Samtbande auf der Brust.

      »Ist das gnädige Fräulein zu Hause? Guten Tag, Anne- Marie, wie geht's?« sagte Bernhard, durch die halbgeöffnete Tür schlüpfend.

      »Ach, junger Herr, ja wohl, gewiß wohl, sie hat schon zweimal gefragt, ob Ihr noch nicht da wäret. So, hier nur herein, ich will sie gleich rufen.« Bernhard pochte das Herz, als er das Empfangszimmer, den sogenannten Saal betrat, den Anne-Marie aufschloß. Weshalb? wußte er selbst nicht; er sah sie ja zweimal in jeder Woche, seine Gönnerin, und stolz war sie auch nicht, sondern die Freundlichkeit selber; aber er war beklommen, als er wieder in dem bekannten Räume wartete und, ohne zu schauen, seine Blicke auf den ernsten Herrn im blauen Fürstenmantel heftete, der über dem Kamine hing und auf die Domtürme von M. wies, die man hinter einem zurückgeschlagenen Vorhang im Hintergrunde des lebensgroßen Gemäldes erblickte. Es war der letzte Fürstbischof, der Oheim der Stiftsdame, die Bernhard erwartete. Sonst war das Zimmer einfach; weiße Wände, an der Decke das Gebälke sichtbar, aber mit Stukkaturarbeit bedeckt, Kanapee und Stühle von rotem Plüsch mit gelben Nägeln beschlagen; auf der Kommode Porzellanfiguren, ein Topf mit Potpourri in der Mitte und eine bronzene Uhr, an die sich ein flötender Schläfer lehnte mit einem Geschöpf zu seinen Füßen, das ebensogut Fidel, das treue Tier, als ein Lamm sein konnte – das und noch zwei Konsolen zu beiden Seiten des Kanapees mit großen blauen Vasen aus chinesischem Porzellan machten das Ameublement aus, alles in dem hübsehen und phantasiereichen Geschmack, der nicht allein das Bedürfnis befriedigt sehen will durch eckige, schneidende Linien, wie wir sie vorziehen, sondern auch geschweifte Schönheitslinien, Schnitzarbeiten und Schnörkel verlangt, zum Zeichen, daß ein übriges vorhanden, das zugunsten der Zierlichkeit verwendet werden mag.

      Das Stiftsfräulein trat herein. Sie begrüßte ihn mit einem sehr feierlichen Knicks und einem freundlich-ernsten: »Guten Tag, wie geht es Ihnen, Herr Doktor?« – so hieß in den guten alten Zeiten jeder, der von der Universität heimkam – und setzte sich dann. Anne-Marie stand an der Tür, um auf ihre Befehle zu warten, als diese gegeben waren, ging die Alte und brachte gleich darauf eine Flasche Landwein mit einer Zuckerdose und einem Teller voll geschälter Mandelkerne und Traubenrosinen herein; ein andrer voll duftiger blauer Pflaumen, von der eignen Hand des Fräuleins für ihren Gast gepflückt, stand schon auf dem Tische. Sobald Anne-Marie aus der Tür war, stand die Dame wieder auf, ergriff mit ihren spottkleinen weißen Händen die beiden Bernhards und sagte: »Wie geht's meinem Jungen?« mit einem viel weicheren Tone, als ihre erste Begrüßungsformel trug. Bernhard sah sie mit einer schweigenden Innigkeit an und es konnte nun nur ein innerliches Seelenergötzen verursachen, ein Paar dieser treuen blauen Augen so in das andre blicken zu sehen, als ob es darin die Seele wiedersuche, die aus dem eignen hinüberschlüpfe.

      Habt ihr wohl je eine Stiftsdame gesehen? ich meine eine rechte ordentliche Stiftsdame, die von einer jetzigen gerade so verschieden ist, wie ein jetziger Johanniter-Ordensritter von den panzerklirrenden Söhnen des heiligen Johannes von Jerusalem, damals, als sie noch den weißbekreuzten Mantel trugen und ihrer zwei auf einem Pferde saßen. Nein, eine solche Stiftsdame habt ihr noch nicht gesehen, ihr seid zu jung dazu, ihr seid sogar jung und eure Gedanken sind Wickelkinder; wenn sie schon im Jahre 1830 ein Schattenspiel angeschrien haben, so ist es viel, sehr viel.

      Ich muß euch die Stiftsdame beschreiben. Sie trug ein weißes faltiges Kleid, das die volle, schöne Büste bis an den Hals hoch hinauf umschloß und von der schlanken Taille bis über den Fuß niederhing; es war schade für den Fuß. Die Aermel waren an den Ellbogen offen und mit langen herabhängenden Spitzen-Engageanten geziert; auch die Schürze hatte einen breiten Spitzenbesatz. Das Haar war zum Teil von dem Wimpel bedeckt, was wieder schade war für das goldne, fabelhaft reiche und seidenweiche Haar. Der Wimpel ist ein weißes gefälteltes Tuch von sehr dünnem, Linon genanntem Zeuge, das, um das Kinn gelegt, auf dem Scheitel zusammengenestelt wird und dann seine zwei Enden lang auf den Rücken hinabhängen läßt. Am Nacken, mitten zwischen den Schultern, war ein schmales Stück schwarzen faltigen Zeuges befestigt, das bis auf den Boden hinabflatterte, ganz wie ein Domherrnmantel.

      Das Stiftsfräulein – sie hieß Katharina und war eine geborne Reichsfreiin von Plassenstein – war eine große, volle und blühende Gestalt. Das Gesicht war ein regelmäßiges Oval, die Stirne hoch und schön geschwungen, das große blaue Auge hatte etwas Träumerisches; wenn sie die langen Lider schloß, konnte man deutlich darunter die Bewegungen sehen, die der Apfel machte. Die Nase war lang und fein geschnitten, und der Mund klein; die ganze Partie umher hatte einen weichen kindlichen Charakter behalten. So nannte jeder das Fräulein von Plassenstein schön; freilich, man hätte manches gegen die unbeschränkte Anwendung dieses Beiworts auf ihre Züge einwerfen können, zum Beispiel, daß die Röte der Gesundheit nicht auf ihre Wangen sich beschränkte, ferner, daß die Nase, ganz scharf betrachtet, eine geringe Abweichung von der geraden Linie zeige, wie das gewöhnlich bei klugen Leuten der Fall ist. Aber, wer hätte das bei einem Gesichte, wie das ihrige, bemerkt? Es verschwand unter dem Eindrucke, den das Ganze machte, und dieser Eindruck war im höchsten Grade anziehend. Das Alter der Frauen ist zwar ein Geheimnis, außer bei den armen Prinzessinnen, die im Staatskalender stehen; aber man konnte es bei ihr doch ungefähr bestimmen. Sie hatte vor zwei Jahren ihre eigne Kurie bekommen; das geschah, wenn die Stiftsdamen fünfundzwanzig Jahre zählten; so lange mußten sie als Residenzfräulein bei einer ältern Chanoinesse wohnen: also war sie mindestens siebenundzwanzig Jahre alt. Aber Menschen mit umfassendem Geiste, wie der Katharinens war, sind jung und alt zu gleicher Zeit; sie haben alle inneren Schätze und Gefühle des Kindes, seine lebhaften Empfindungen und seine Lust an allen kräftig gefärbten Erscheinungen sich gerettet und zugleich durch Intuition alle Erfahrungen des Alters vorweggenommen. Sie umfassen auf einem Standpunkte das ganze Leben. Das ist das Geheimnis des Genies.

      Uebrigens hatte Katharina von Plassenstein mehrere Gesichter; am auffallendsten war das, wenn sie auf dem Klavier phantasierte; es war nicht das schönste, denn sah man auch in ihren emporgeschlagenen Augen dann eine innere, Zeit und Erde überflügelnde Erhebung, so war doch damit der Ausdruck eines Stolzes verbunden, der sie unschön machte. Sie fühlte sich alsdann zu sehr als Kaiserin über ein Gebiet von Tönen und Gefühlen, über eine ganze, ihr gehörende Welt; dies nahm ihren Zügen an gewinnendem Reiz, was es ihnen an imponierender Hoheit zurückgab. Sie sah dabei aus wie eine Prätendenten-Majestät. Schöner war ihr Gesicht beim Nachsinnen, wobei leicht ihre Wimper naß wurde. Sie bekam dann etwas Veledaartiges, das die ernste Ordenstracht nur noch mehr hervorhob; auch dann, wenn sie erzählte, was meist höchst seltsame Geschichten waren, die man besser bei Tage, als an dunklen stürmischen Abenden hört. Sie hatte noch ein Gesicht, das hatte Bernhard aber erst einigemal gesehen; einst, als er Abschied von ihr nahm, um eine Reise zu machen. Dann sah sie so freundlich – sie sah aus wie eine trauernde Lachtaube.

      Sie hatte kaum eine Weile mit ihrem Gaste sich unterhalten, als der Schäfer an der Bronzeuhr flötete; gleich darauf schlug die Glocke der Abteikirche vier Schläge an und das Vesperglöckchen läutete. Ein Kammermädchen trat ein und küßte ihrer Herrin die Schürze. Dann stellte sie sich mit dem Brevier derselben an die Tür, um ihr zum Chore zu folgen. Bernhard begleitete sie dahin, durch einen etwas feuchten und modrig duftenden Kreuzgang, der das enge, immer im Schatten begrabene Quadrum neben der Abteikirche mit seinen gotischen Arkaden umschloß. Am Ende desselben führte eine hohe Steintreppe durch eine kleine Spitzbogentür auf das Chor, das wie eine Emporkirche die hintere Hälfte des Münsters einnahm und eine Art zweiten Stockwerks darin bildete, vorn nach dem Altar hin mit einem niedern Geländer geschlossen, aus dessen Mitte ein großes steinernes Kruzifix hervorragte. Die andern Fräulein saßen zumeist schon in ihren geschnitzten Chorstühlen; keine verriet, daß sie dem Begleiter Katharinens irgend Aufmerksamkeit schenke. An der linken Seite des Chors, etwas in die Kirche hinausragend, war der Erker, in dem die Frau Aebtissin steckte, von den Fräulein ungesehen, aber mit scheuen Bücken bewacht; ihm gegenüber an der rechten Wand der Kirche hing das lebensgroße Bild des Schutzheiligen, recht gut in Oel gemalt; einige der älteren Damen schienen eine besondere Andacht zu ihm СКАЧАТЬ