Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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Fünftes Kapitel
Der Grundzug im Charakter Bernhards war ein sinniges, tiefes Gemüt, das still und ohne äußern Prunk wie eine zarte, rotblühende Erika auf den Heiden Westfalens erwachsen. Seine rätselhafte Abstammung, deren Geheimnis die Mutter nicht lüften wollte, diese still und wechsellos dahinfließende Kindheit – die Mauern eines alten verfallenen Ritterschlosses, dem nur der dunkle Wald drüben seine Grüße zurauschte, an dessen Toren nur der kalte Nordwest, wie ein durchfrorener Pilger, um Einlaß pochte, den ihm die klappernden Bohlen nicht verwehrten; – die wunderlichen Bilder, welche die abergläubische und abenteuerliche Gestalt der Römischen Marget in einer empfänglichen Phantasie wecken mußte; die Erziehung, die eine solche Frau nur geben konnte, alles das hatte seinem Gemüt eine ganz eigentümliche Richtung erteilt. Wer zweifelt, daß die fessellosen Aussprudelungen desselben originell, tief wehmütig und voll echter Poesie gewesen, wenn sie auch formlos waren? – Sie waren voll der Poesie, die auf der Heide wächst, die mit schlichten, gelben Ginsterblüten sich begnügen muß, voll Muttersorge über das Nest der Lerche sich beugt und das Rieseln und Pfeifen des Windes in den Aesten einer einsamen Föhre belauscht; die aber, wenn sie ihren Aufschwung nehmen will, gleich zum blauen Himmel hinauf muß, weil die Heide keine andern Höhen hat.
Als Bernhard größer geworden und von den Schulen zurückgekommen war, begann sein Leben reicher an Ereignissen zu werden, als seine Kindheit gewesen. In der Nähe von Bechenburg war ein adliges, freiweltliches Damenstift, zu dem er häufig von seiner Mutter gern gesehene Ausflüge machte. Wir wollen ihn auf einem derselben begleiten.
Es war ein heißer Nachmittag am Tage nach Herrn von Drieschs Ankunft auf seinem Gute. Als Bernhard aus dem Forste trat, der nach zwei Seiten hin das Gut umgibt, flimmerte die Luft wie lauter Silberfäden über den Pflanzen der Heide. Sie lag wie ein großes braunes Tuch ausgespannt vor ihm, von den Blüten der Immortelle hier und da rötlich überhaucht; dazwischen hielt eine Orchis den stämmigen Stengel mit der Blütenperücke dem Luftzuge entgegen oder ließ die Gentiane ihre tiefblauen Glocken im Winde spielen. Den Horizont besäumten blaue Waldungen; aus näheren Baumgruppen lauschten einzelne Strohdächer hervor, hier und dort auch mehrere zusammen, von denen das größte dann zum Teil mit Ziegeln gedeckt war, ein ansehnlicheres Gehöft. Auf der Mitte des Weges stand eine alte Buche mit einem Marienbild am Stamme und darunter eine Steinbank. Bernhard rastete dort, denn es knüpften sich liebe Erinnerungen für ihn an diese moosige Steinplatte; er überblickte seinen Pfad, den er so oft jetzt, trotz Regen und Wetter, trotz prellender Sonnenstrahlen zurückgelegt hatte; er kannte jeden Stein, jeden Baumstumpf am Wege, und jedes Ding hatte ein besonderes Auge, mit dem es ihn ansah; vor allen das Muttergottesbild, das nicht schlecht gehauen, wenn auch etwas verwittert war und ihm mit den Zweigen, die es oben schützten, zu sprechen schien. Als Knabe hatte er es oft genug mit dem Kopfe nicken gesehen, vorzüglich in der Dämmerung; und wenn er fortgegangen, winkten ihn die Zweige zurück.
Er schritt weiter, immer über die Heide fort; als er fast eine Stunde zurückgelegt, kamen Wiesengründe mit Erlengebüsch, dahinter eine Mühle an einem von Schwertlilien umgebenen Weiher, auf dem Enten in der grünen Wasserlinsendecke schnatterten und lange Fäden aus dem Grunde zogen. Am Ufer stand ein zwölfjähriges Mädchen mit hochblondem Lockenhaar und wasserblauen Augen, das einen zierlichen Knicks machte und dem jungen Herrn eine Kußhand gab; sie war nett gekleidet, ein Drahthäubchen mit Bandschleifen, ein weißes Fürtuch – sie sah nicht aus wie ein Bauernmädchen, sondern wie eine Kammerzofe in Miniatur.
»Wie heißt du, Kleine?« fragte Bernhard.
»Müllers Veronika«, antwortete sie ohne Anstand.
»So, Veronika? Dann ist wohl die gnädige Frau Aebtissin deine Pate?«
»Ja, Onkel, sie hat mir noch heute etwas geschenkt.« Die Kleine zeigte ein auf Pergament gemaltes Bildchen mit einem Rand, der künstlich durchbrochen war, wie die sauberste Filigranarbeit. Man sah, die Kleine war gewohnt, von vorüberwandelnden Fremden angeredet zu werden und zugleich zu einem jüngferlich sittigen Betragen angehalten worden.
Bernhard hatte die Immunitas sancti Cyriaci oder die Abteifreiheit betreten, wie eine am Wege stehende Steinsäule zeigte; nun kam ein langer, hölzerner Steg, der wie eine Brücke über sumpfige Wiesengründe führte. Die ganze Fläche unten war blau von Vergißmeinnicht; an den tieferen Stellen standen kleine Wasserflächen, in denen gelbe Nymphäen sich auf ihrem breiten glänzenden Blatte schaukelten, wie eine Orange auf ihrem Fruchtteller. Geißblatt und weiße Winden überrankten das Weidengebüsch, das sich hier und dort an den Steg drängte und wie müde Arme seine Aeste auf das Geländer gelegt hatte: es war ein Spaziergang, wie ein Stiftsfräulein mit Trillers Gedichten in der Hand ihn nur wünschen konnte. Der Steg endete an dem Gehölze, das unmittelbar die Abtei umgab; ein recht gut gehaltener Forst, in dem sich an vielen Bäumen saubere Täfelchen mit Nummern zeigten, als Beweis, daß die Aebtissen ihren Förster hielt, der ein sehr ordentlicher Mann war und unter tausend unnützen Umständlichkeiten – Kapuzinerarbeit nennt man's bei uns – seinen Mangel an eigentlicher Arbeit zu verbergen suchte. Hier und dort waren Alleen angelegt und Points de vue ausgeschlagen; in alle Bäume am Wege waren Namenszüge und brennende Herzen eingeschnitten, auch Verse an Phyllis oder Chimene in Ueberfluß, wo sich irgendeine glatte Rinde zeigte. Auf einer Rasenbank in einer der Alleen saß eine Stiftsdame, ein Buch, in dem der Wind blätterte, in der Hand. Sie stand auf und entfloh bei der Annäherung des jungen Mannes in das Gebüsch wie eine scheue Hinde; doch sah Bernhard bald nachher, wie sie in einem Seitenwege, der parallel mit dem seinen lief, gleichen Schritt mit ihm hielt und zuweilen durch die Lücken des Unterholzes verstohlene Seitenblicke nach ihm aussandte. Wo die Wege zusammentrafen, war sie verschwunden.
Vor dem Tore begegneten ihm drei Zofen, die Arme umeinander schlagend, wie drei Grazien, mit feinen Drahthäubchen und glänzend weißen Schürzen, deren Bruststück nonnenhaft bis an die Schultern hinaufging, daß sich das gekrönte Herzchen von Goldfiligran mit den blutroten Tiroler Granaten in der Mitte desto glänzender abhob. Bernhard zog artig sein Käppchen vor ihnen; sie gingen knicksend und mit niedergeschlagenen Augen an ihm vorüber, aber drei Schritte weit hinter seinem Rücken hörte er sie lebhaft flüstern und kichern.
Der Hof war groß und von den Häusern der Stiftsdamen umschlossen, von denen immer eines von dem andern durch den Garten, der es umgab, getrennt war. Die Kurien waren ansehnlich, jede mit einer hohen Treppe und ihrem Wappen über der Eingangstür. Nur die Abtei hatte auch einen Balkon und bekam dadurch den vornehmern Charakter; auch stand eine ausgespannte, schwerfällige Karosse davor, und ein Knecht war beschäftigt, das Leder einer Sänfte abzuseifen. Hinter ihr sah man die drei spitzen Türme und die Giebel der Abteikirche sich emporheben. Das Ganze bot ein stilles Bild: das Klappern von Flachsbrechen, das aus den Oekonomiegebäuden scholl, und einige Pfauen, die auf dem Hofe gellend das Wetter anschrien, machten den einzigen Lärm darin, wenn man die Kanarienvögel nicht rechnet, denn an jedem Fenster hingen mindestens drei Käfige voll dieser gelben Musikanten.
Bernhard öffnete ein Gitter vor einer der Kurien, die rechts nahe bei der Abtei lag, und schritt über den gelben Sand des Blumengartens, an verblühten Aurikelbeeten her, durch zwei lange Reihen СКАЧАТЬ