Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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»Bleib, sage ich oder« – fuhr Herr von Driesch zornig auf; dann bekreuzigte er sich: »Gott verzeih' mir die Sünde!«
»Aber Papa, wenn ich nur wüßte, was es bedeuten soll?«
»Sollst es erfahren, nachher; steh nur, steh!«
»Soll ich den falben Fritze haben, Papa? – Ich kann's gar nicht mehr aushalten.«
»Nimm ihn, nimm ihn, lieber Sohn, Herzensjunge, aber steh!«
Johannes stand wie der Koloß von Rhodus in verjüngtem Maßstab, die Beine über seinen Vater spreizend, der unten im Gleise lag und nur zuweilen hin und her ruckte, wenn das Wasser in gar zu starken Güssen auf ihn zubrodelte; sooft aber ein Blitz und fast im Augenblicke darauf der Donnerschlag kam, schnellte er vor Angst aus der Flut in die Höhe wie ein Fisch an warmen Sommertagen. So verging fast eine halbe Stunde, worauf die Zwischenräume zwischen Blitz und Donner länger wurden und das Rollen des letztern aus knatterndem Rasseln in ein dumpfes und fernes Getöse überging.
»Gott sei Dank!« sagte Herr von Driesch; »laß mich jetzt aufstehen, Johannes!« Er erhob sich; sein Schäfername, der Säuberliche, war im eigentlichen Wortverstande beschmutzt, und alle Versuche, ihn wieder zu Ehren zu bringen, blieben ohne Erfolg.
»Papa,« sagte Johannes und schlenkerte rechts und links seinen Hut, um das Wasser daraus zu spritzen; »weshalb habe ich so stehen müssen, Papa?«
»Das will ich dir jetzt sagen, mein Sohn. Sieh, der Blitz trifft immer die höchsten Gegenstände und fährt an ihnen herunter in die Erde hinein, wo er den Donnerkeil stecken läßt. Hätte der Blitz nun heute hier einschlagen wollen, so wäre er unfehlbar in deinen Kopf, als den höchsten Gegenstand in der Nähe, geschlagen und hätte alsdann seinen weiteren Verlauf durch deinen Leib, ferner durch eines deiner Beine genommen und das Bein hätte ihn ganz unschädlich in die Erde abgeleitet.«
»O?!« sagte Johannes voll Verwunderung über die tiefe Naturkunde seines Vaters. – »Aber, Papa, ich wäre doch totgeschlagen?«
»Lieber Sohn, du hättest das neidenswerte Los gehabt, für deinen Vater den Heldentod zu sterben; dulce est pro patre mori!«
»Aber 's nächste Mal tu' ich's nicht wieder, Gnaden Papa,« brummte Johannes.
Drittes Kapitel
Das Gut Bechenburg liegt nahe bei dem Städtchen L. in Westfalen. Man geht an einem breiten Graben her, den ein Wald alter gewaltiger Kastanienbäume beschattet, wendet sich dann rechts und hat nun nach zwanzig Schritten eine tiefliegende Mühle, mit Wiesengründen dahinter, zu seiner Linken; zur Rechten das erste Tor des Gutes, zwei Steinsäulen, auf deren einer ein wappenhaltender Löwe, ein höchst blutdürstiges Ungeheuer, kauert, während sein Nachbar, von der andern heruntergefallen, im Schilf des versumpfenden Grabens liegt, von einer üppig grünenden Vegetation Schlammpflanzen bedeckt. Die Zugbrücke war ehemals in gutem Stande; man kann noch die eisernen Rollen oben an den Torsäulen sehen, über die ihre Ketten liefen. Das zweite Tor bildet eine niedere Durchfahrt, so niedrig, daß ein verdeckter Wagen vergeblich versuchte hindurchzukommen; man darf daraus auf das Alter der Burg schließen, die, klein und eng zusammengebaut, nicht jünger als das fünfzehnte Jahrhundert sein mag und jedenfalls für Menschen mit bescheidenen Ansprüchen auf Bequemlichkeit und äußeren Glanz gebaut ward, als unsre Generation hegt.
Unsre Reisenden hatten nach ihrem Unfall ein Unterkommen für die Nacht gesucht und im nächsten Kirchdorfe bei dem Pfarrer gefunden. So schritten sie erst am andern Tage, fast gegen Mittag, in den Hof ihres Gutes ein und gelangten, um einige Haufen aufgeschichteten Bauholzes her, durch ein ganzes Volk durcheinanderstäubender Hühner, endlich über eine auf den Treppenstufen sich sonnende Katze, der Johannes nicht unterließ auf den Schwanz zu treten, in das Innere. In der kirchengroßen Küche saß eine Frau am Feuer und reihte Zwiebeln auf.
»Guten Morgen, Frau Fahrstein,« sagte Herr von Driesch.
»Ach, Ew. Gnaden! Sieh mal, sieh mal, schon da! Ich wußte wohl, daß Ew. Gnaden kommen würden.«
»Ihr wußtet das?« fragte Johannes.
Herr von Driesch stieß ihn in die Seite.
»Frag' doch nicht nach ihren Hexenstücken,« flüsterte er.
»Ei freilich, Junker,« sagte Frau Fahrstein; »das kleine Hütchen hat schon alles in Bereitschaft gesetzt, auch den Großvaterstuhl für den jungen Herrn abgestäubt und an den Kamin geschoben; dann weiß ich immer, wieviel die Uhr geschlagen.« Sie war aufgestanden und suchte nach ihren Schlüsseln. Johannes blickte unterdes in der Küche umher; dann ging er in den Hintergrund und schaute durch die Fenster in den Garten, zuletzt durch eine halb offenstehende Tür in das Schlafkämmerchen der Frau Fahrstein: »Wer schläft denn da noch?« sagte er.
»Johannes, Johannes!« rief Herr von Driesch ängstlich.
Frau Fahrstein näherte sich der Kammertür und schaute mit verschmitzten Blicken hinein.
»Still, still, Junker,« flüsterte sie, »mein Mann schläft noch; der arme Schelm ist schwachen Leibes.«
»Aber,« sagte Johannes, »ihr Mann? Der ist ja lange – er hat ja tote Augen!«
Johannes starrte den Schläfer an, der ihn mit hohlen gläsernen Augen aus den Kissen anblickte; es war nichts als eine Maske, über einem, wie es schien, ausgestopften Biberwams befestigt und eine Schlafmütze darüber. Der Junker sah fragend nach dem Vater hin, der noch am Herde stand und hinter Frau Fahrsteins Rücken seinem Sohne ein Zeichen nach dem andern machte. Die Frau schien Johannes' letzte Worte überhört zu haben und klapperte in ihren Holzschuhen zur Küche hinaus, um ihrer Herrschaft die Wohnzimmer aufzuschließen.
Herr von Driesch trug der Verwalterin auf, ihm einen Boten zu besorgen, der seine Domestiken und Sachen von Grünscheidt nach Bechenburg beordern sollte. Als sie gegangen war, sagte er: »Johannes, was deines Amtes nicht ist, da laß deinen Fürwitz. Was geht es dich an, wenn die Alte lieber einen Strohmann mit sich zu Bette nimmt als gar keinen. Reize sie nicht; ihr ist nicht zu trauen. Sonst ist sie ein gutes Weib, und wenn sie etwas wirre ist, so hat sie in ihrer Jugend auch viel aushalten müssen, wovon mehr Leute zu viel bekommen haben würden; laß sie in Frieden, sag' ich dir.«
Johannes setzte sich in seinen Großvaterstuhl und Herr von Driesch machte Anstalten zu einem Bericht wegen Mordanfalls und Landfriedensbruchs von Seiten des P. P. von Katterbach auf Diependahl an eine Kurfürstlich Pfälzische hochpreisliche Landesregierung zu Düsseldorf.
Den Nachmittag brachte der Gutsherr mit Schreiben zu, während Johannes draußen wilde Holztauben jagte. Als der Abend eingebrochen war, fühlte er schmerzlich den Mangel seines Vergil und Horaz; er hatte nur des Erasmus Colloquia in die Jagdtasche gesteckt, als er zu seiner glorreichen Wahrung der possessio novissima des Mühlenbergs ausgezogen war; leider war es eine Elzevirausgabe in Duodez; und Herr von Driesch konnte die kleinen Lettern abends nicht mehr lesen. Die Langeweile führte ihn zu der Verwalterin hinunter. Die Frau saß wieder allein an ihrem Herde, hatte ihre Katze auf den Schoß genommen und sprach leise Worte vor sich hin. Das knisternde Holzfeuer, das hoch um eine aufgehängte Eierkuchenpfanne lohte, erleuchtete den weiten Rauchfang voll Wintervorräte an Zwiebeln, Fenchelbüscheln, Würsten und Speckseiten; der große übrige Raum wurde nur zuweilen СКАЧАТЬ