Gesammelte Werke. Ricarda Huch
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Ricarda Huch

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

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isbn: 4064066388829

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СКАЧАТЬ doch noch nicht möglich. Noch war England vom Kapital der deutschen Kaufmannschaft so abhängig, daß die englische Königskrone längere Zeit an Dortmunder Kaufleute versetzt war. Ferner war der englische Handel durch Englands hundertjährigen Krieg mit Frankreich gelähmt. Es zeigte sich, wie günstig für die deutschen Städte die lockere Verfassung des Reiches war, die den einzelnen Gliedern eine selbständige Entfaltung ermöglichte, indem sie nicht gezwungen waren, an allen Schicksalen eines Gesamtstaates teilzunehmen. Obwohl unter den Hansestädten, abgesehen von Mühlhausen und Nordhausen, die wenig in Betracht kamen, nur eine, nämlich Lübeck, Reichsstadt war, so waren die niederdeutschen Seestädte doch, wenn auch Fürsten Untertan, Republiken. Den Schutz, den ein mächtiger Staat verleihen kann, entbehrten sie. Umgeben von Feinden und Nebenbuhlern, hatten sie keinen Freund als etwa irgendeinen Fürsten, der mit einem anderen in Fehde geraten war und deshalb den Bund mit den Städtern suchte. Sie wußten, daß das nur vorübergehend sein konnte; denn während die Streitfälle zwischen den Fürsten ausgeglichen werden konnten und wurden, blieb der Gegensatz zwischen den Fürsten und Städten bestehen. Es ist bewundernswert, daß sie in einer so gefährdeten Lage ungefähr 200 Jahre lang die Vorherrschaft auf der Ostsee halten konnten. Sie verdankten diesen Sieg teils der Schwäche ihrer Gegner, mehr noch ihrer Umsicht und Tüchtigkeit auf allen Gebieten.

      Am reinsten ist das hansische Genie in Lübeck zur Entfaltung gekommen. Die Ursache davon ist vielleicht, daß Lübeck Reichsstadt und Bischofsstadt war, daß es von den edlen Säften einer mannigfaltigen Kultur gespeist war. Die Bevölkerung von Rostock, Wismar, Stralsund, Greifswald war in der Hauptsache westfälisch wie die Lübecks, wenn auch vielleicht mehr gemischt. Daß sie so verschieden von Lübeck waren, ist nicht aus dem Stammescharakter zu erklären, selbst wenn man annimmt, daß ein Zuschuß wendischen Blutes namentlich in die Handwerkerkreise der östlichen Städte eingedrungen sei. Sie waren mehr als Lübeck Kolonialstädte, schnell aus dem feuchten slawischen Boden aufgeschossen, angesichts des Meeres, nur der Meereshantierung zugewendet. Es kamen Jahre, wo sich Stralsund neben Lübeck als Haupt der Hanse betrachten konnte; aber seine Größe behielt immer etwas Wikinghaftes, Unbändiges, Unberechenbares. Das zeigte sich auch in den Führern. Bertram Wulflam, der während erfolgreicher Jahre hansischer Herrschaft an der Spitze von Stralsund stand, wurde als Greis durch das mit der finanziellen Verwaltung unzufriedene Volk gestürzt. Die Verwaltung war in der Tat anfechtbar. Ein strenger Unterschied zwischen öffentlichem und privatem Vermögen wurde nicht gemacht. Die meisten fühlten sich wohl im großen Sinne eins mit der Stadt, feilschten nicht mit ihrem Leben und Gut, wenn es das Wohl der Stadt galt, schöpften dafür aber auch aus dem Vermögen der Stadt, was sie brauchten. Bertram Wulflam brauchte viel, mehr noch brauchten seine Söhne; das, glaubten sie, komme ihnen zu. Durch den Stolz, mit dem er die Zumutung ablehnte, Rechenschaft über die Finanzverwaltung abzulegen, reizte der alte Wulflam die empörte Menge. Vor dem Tode schützte ihn der Anführer der Aufständischen, der junge Bürgermeister Carsten Sarnow, ein Mann aus dem Volke, der durch einen glänzenden Sieg über die Seeräuber zu Ansehen gekommen war; in Fässern, aus denen ihre Köpfe hervorstarrten, hatte er die Gefangenen auf den Markt von Stralsund gebracht. Den Leichnam des alten Wulflam, der in der Verbannung starb, führten seine Söhne zurück und setzten ihn auf den Stuhl, den er bei den Ratssitzungen eingenommen hatte, um ihm öffentlich seine Ehre zurückzugeben. Karsten Sarnow wurde gerädert; so schnell opferte das Volk seinen Liebling. Bertram Wulf lams Sohn Wulf wurde Bürgermeister und zeichnete sich in der Führung hansischer Geschäfte aus; aber durch Hochmut, Verschwendung und Wildheit machte ersieh zu Hause verhaßt. Er starb ermordet, weil der Sohn eines Freundes, mit dem er sich verfeindet hatte, und den er umbrachte oder umbringen ließ, die Blutrache vollzog. Bald ging dies königliche Geschlecht in Elend und Schande unter.

      Die großen Bürgermeister von Lübeck, Johann Pleskow, Heinrich Westhof, Heinrich Rapesulver, waren Männer ganz anderer Art. Sie ließen die Leidenschaften nicht über sich zusammenschlagen, sie berechneten ihre Kräfte und die Kräfte der anderen und handelten danach. Vor allem hatten sie die Fähigkeit, politische Gedanken zu fassen und durchzuführen. Die Lübecker Herren beherrschten andere, weil sie sich selbst beherrschten, sie machten so sehr den Eindruck von Überlegenheit, daß sich die Städte willig ihrer Leitung unterwarfen: Lübeck wurde das anerkannte Haupt der Hanse. Irgendeine Machtbefugnis wurde ihm nicht eingeräumt: sein persönliches Schwergewicht war seine Macht. Die tatenreiche Gemeinschaft der Hanse war auf den guten Willen ihrer Mitglieder angewiesen; keine Verfassung, keine Urkunde, kein Gesetz, nicht einmal eine gemeinsame Kasse hielten sie zusammen. Als im Jahre 1418 auf einem großen, von 55 Städten besuchten Hansetage ein zwölfjähriges Bündnis, eine sogenannte Tohopesate geschlossen wurde, glaubten die Städte selbst, es gebe eine Gründungsurkunde, die sich aber natürlich nicht fand. Das Entstehen der Hanse war eine Folge der Verbindungen der Kaufleute im Auslande, der im Mittelalter herrschenden Neigung zu genossenschaftlichen Bildungen, die die Neigung zur Bewahrung individueller Besonderheit und Selbständigkeit ergänzte. Alle Städte nahmen in Nöten die Hilfe benachbarter Städte in Anspruch, sprangen auch wohl notleidenden Städten hilfreich bei, aber sie haßten es, sich zu binden und den gemeinsamen Interessen regelmäßige Opfer zu bringen. Daß jeder sich selbst der Nächste sei, wurde als ein heiliger Grundsatz angesehen. »Es were unsir schade czu gros«, sagten einmal die preußischen Städte, »sulde wir unsir und unsir stete gut so grobelich in den gemeinen nutz usgeben.« Der gemeine Nutzen wird hier offenbar als ein verächtlicher Irrweg betrachtet. Auch Köln, das im Bewußtsein seiner rühmlichen Geschichte sich überhaupt zurückhaltend benahm, sagte gelegentlich, es sei unerhört, daß es um des gemeinen Besten willen auf Sonderrechte verzichten solle. Daß trotzdem große gemeinsame Leistungen vollbracht und gemeinsame Erfolge errungen wurden, kam daher, daß gemeinsame Interessen vorhanden waren, sich geltend machten und entsprechende Maßnahmen bewirkten, dann aber war es der Klugheit, Stetigkeit und Willenskraft Lübecks zu danken.

      Eines der hansischen Kontore schrieb einmal an die Stadt Danzig: »Ihr Herren mögt euch merken, wenn der Kaufmann betroffen wird, dann verliert niemand mehr als ihr Herren von den Städten, denn ihr seid der Kaufmann!« So war es wirklich; wenn die Kaufmannschaft den Städten im ganzen Reich den Charakter gab, so war das ausdrücklich in den niederdeutschen Seestädten der Fall. Das Interesse des Handels einschließlich der Gewerbe, die dem Handel zugrunde lagen, beherrschte die Politik. Dementsprechend war der Grundsatz Lübecks, dessen Regenten Grundsätze aufstellten und befolgten, mit allen Mitteln den Frieden zu erhalten und das, was im Interesse des Handels zu fordern war, durch diplomatische Verhandlungen zu erreichen. Verfingen diese nicht, so wurde das Mittel der Handelssperre angewendet, das in der Mitte des 14. Jahrhunderts in Flandern so bald zum Erfolg führte. Zum Kriege entschloß man sich nur, wenn das Interesse des Handels auf keinem anderen Wege gewahrt werden konnte, dann aber wurde er energisch, mit Anspannung aller Kräfte betrieben. Ein solcher Fall trat ein, als im Jahre 1340 König Waldemar Atterdag in Dänemark zur Regierung kam. Es wiederholte sich mehrmals, daß die Könige des Nordens mit Hilfe der deutschen Seestädte ihren Thron eroberten und sich gegen sie wendeten, sobald sie sich sicher fühlten. Das lag in der Natur der Tatsachen, dem Kampfe Dänemarks und der Städte um die Beherrschung des Baltischen Meeres. Der begabte und tatkräftige Waldemar, der die Städte verachtete und nach der Art der Territorialfürsten seiner Zeit die Kräfte des Landes in seiner Hand vereinigt hatte, unternahm es, den gesunkenen Einfluß Dänemarks wiederherzustellen. Nacheinander nahm er Helgoland, Schonen, Wisby. Durch die Besetzung Helgolands fühlte sich Hamburg bedroht, der Verlust der deutschen Niederlassungen auf Schonen, wo die Heringe, damals ein Volksnahrungsmittel, in Massen gefangen wurden, bedeutete eine unleidliche Einbuße. Die Eroberung des alten, mächtigen Wisby mit seinen 48 Türmen und 18 Kirchen, von denen die Marienkirche, die Kirche der Deutschen, noch vollständig erhalten ist, war ein eindrucksvolles Ereignis, das die Sage ausschmückte. Waldemars mit Beute beladene Schiffe soll ein Sturm im Meer versenkt haben; man glaubte die Karfunkelsteine, die, in die Fensterrosetten der Nikolaikirche eingelassen, den Schiffen als Leuchte gedient hatten, zuweilen aus der Tiefe des Meeres hervorglühen zu sehen. Obwohl der König die Freiheiten der berühmten Stadt nicht antastete und sie nach wie vor nicht als dänische, sondern als Hansestadt betrachtete, verlor sie seitdem an Bedeutung und wurde schließlich zu einem Stützpunkt für Seeräuber.

      Als sich Waldemars Absicht, die Deutschen aus dem Baltischen Meere zu verdrängen, СКАЧАТЬ